Kolumne: So läuft es: Besser vegan?
Über vegane Ernährung wird in der Gesellschaft ausgiebig diskutiert. Im Profisport wird über das Thema aber lieber geschwiegen. Warum eigentlich?
Mit dem Amerikaner Scott Yurek hat das Laufen seine vegane Leitfigur. Sein Buch „Eat & Run“ wurde ein Bestseller. Als Ultraläufer ist er ein Superstar. Im Hobbybereich gibt es immer mehr Läuferinnen und Läufer, die sich vegan ernähren und darauf schwören. Ein anstrengender Kampf beginnt, wenn öffentlich über vegane Ernährung in Verbindung mit dem Sport gesprochen wird. Gerade in den sozialen Netzwerken tobt der Hass, auf beiden Seiten. Als ich vor einigen Jahren einen vierwöchigen Versuch wagte, mich vegan zu ernähren, während ich mich auf einen Marathon vorbereitete, an dieser Form der Ernährung scheiterte und dies entsprechend dokumentierte, endete der Versuch teilweise mit Morddrohungen. Sie kamen von der veganen Seite, obwohl ich mich doch vier Wochen mit ihnen solidarisiert hatte.
Im Fußball weiß man um die Brisanz der Verbindung vegane Ernährung und Sport. Dort beschreitet man den Weg des Schweigens. Ralf Blume ist seit zehn Jahren Chef-Physiotherapeut bei Hannover 96. Seit vier Jahren ist er Veganer. Auf meine Frage, welche Fußballspieler von 96 oder eines anderen Vereins denn Veganer seien, sagt er: „Kein Kommentar!“ Ich möchte nun gerne ein Stück Normalität schaffen in der Diskussion um Veganismus. Dazu gehört für mich auch eine gewisse Form der Offenheit, des aufeinander Zugehens.
„Warum kein Kommentar?“, frage ich Blume. Er antwortet: „Weil es in der mehrheitlich öffentlichen Meinung mit einem Makel behaftet ist. Und man macht sich angreifbar. Vegan – so war es bei mir früher – waren nur Weicheier, Ökos, und zumeist Frauen. Das passt nun gar nicht in ein Bild voller Kerle, Bier, Steak und Bratwurst. Man muss abkönnen, damit konfrontiert zu werden. Auf der anderen Seite kenne ich Spieler, denen das egal ist. Ihr Privatleben wollen sie aber aus der Öffentlichkeit raushalten – und somit auch das Essen. Es wird darüber getuschelt, gelacht, verurteilt.“
Mir wird bewusst, wie vorsichtig man mit dem Thema umgehen sollte. Zuhören, ernstnehmen, respektvoll sein. So lasse ich Blume erzählen, wie er Veganer wurde. „Ich war dem Vegetarischen und noch mehr dem Veganen maximal abgeneigt. Ich bin erzogen worden mit der Prämisse: Fleisch, Milch, Käse, Eier seien gesund und wichtig für den Menschen. Und Nutztiere einfach dafür da, gegessen zu werden. Ich hatte eigentlich keinen Kontakt zu Veganern, habe sie für Spinner gehalten“, sagt er.
Doch dann änderte er sein Verhalten radikal: „Als frischer Veganer habe ich genau das gemacht, was ich vorher verurteilt hatte: Jedem, der es nicht wissen wollte, meine Meinung mitgeteilt und versucht, ihn zu bekehren! Ich habe schreckliche Dinge über Massentierhaltung und Erkrankungen erzählt, bei Facebook fiese Fotos und Filme gepostet und Nicht-Veganer kritisiert.“
Blume betont: „Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass ich ziemlich heftig in die Trennung gegangen bin. Mir wurde klar, dass ich mit meinem Verhalten zwar Applaus der Veganer, aber Ablehnung der Nicht-Veganer erntete. Und somit begann ich zu verbinden! Ich ließ die Meinung des anderen zu, postete Bilder und Filmchen von leckeren veganen Gerichten. Das kam an.“
Berlin ist die heimliche Hauptstadt der Veganer
Der Gedanke des Verbindens ist ein Gedanke, der tief im Sport verwurzelt ist. Auch und gerade das Laufen verbindet Menschen, überall auf der Welt. Sobald es aber um Veganismus und Laufen geht, spalten sich oft die Welten. So ist es noch. Mit Klarheit und Offenheit schaffen wir eventuell neue Diskussionswege. Dazu gehören in der Tat klare Argumente. Und Antworten auf wichtige Fragen, wie zum Beispiel: Worauf muss man denn achten, wenn man läuft, eventuell sogar Marathon, und sich vegan ernähren möchte?
Ralf Blume ist sich sicher: „Auf das Gleiche wie auch als Nicht-Veganer: Ausgewogene Ernährung. Alles was in Fleisch- und Milchprodukten enthalten ist, findet sich in deutlich besserer Qualität in pflanzlichen Lebensmitteln wieder. Ohne die bekannten schädlichen Dinge und den Umweg über das Tier.“
Blume erwähnt als Beispiel Vitamin B12. „Weil Veganer kein Vitamin B12 über Fleisch aufnehmen, müssen sie es substituieren. Etwa über Tropfen oder Pillen. Da B12 selbst in der Tierzucht dem Futter beigemischt wird, weil die Tiere nicht mehr die B12-produzierenden Mikroorganismen von der Wiese fressen, kann man sich diesen Weg sparen. Weil die Qualität jedoch häufig minderwertig ist, wird der Bedarf selbst bei Fleischessern nicht immer ausgeglichen. Somit ist ein B12-Mangel bei Fleischessern deutlich höher als bei Veganern, die wissen, dass sie es zu sich nehmen müssen.“
Welche Vorteile hat es, sich als Läufer vegan zu ernähren? Blume sagt: „Die Verwertung geht im Körper deutlich schneller und besser vonstatten. Die Nährstoffe aus tierischer Nahrung müssen erst sehr aufwendig umgewandelt werden. Das verbraucht wichtige Energie, die der Organismus schon wieder in die Regeneration investieren könnte. Außerdem sind alle tierischen Produkte mehr oder weniger verarbeitet und mit unterschiedlichen Hormonen belastet, die für den Menschen nicht positiv sind.“
Oft habe ich in der Vergangenheit spätestens an dieser Stelle gehört: Haben wir eigentlich keine anderen Probleme? Wenn man sich so ausführlich über das Essen unterhalten muss, dann ist das wirklich ein Luxusproblem. All denen sei gesagt: Das ist es schon lange nicht mehr. Die Diskussion um Ernährung, und im Speziellen um die vegane Ernährung, ist längst in unserer Gesellschaft angekommen.
Berlin ist die heimliche Hauptstadt der Veganer. Teile der Wirtschaft haben sich des Themas angenommen. Deshalb braucht es den Dialog mit Menschen wie Ralf Blume. Deshalb braucht es Aufklärung, damit es auch als Fußballprofi eines Tages möglich ist, über vegane Ernährung zu sprechen. Damit sie ebenso offen damit umgehen können, wie es bei den Läufern schon recht lange möglich ist. So läuft es.
Mike Kleiß leitet eine Kommunikations- und Markenagentur in Köln und schreibt hier an jedem Donnerstag übers Laufen.
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