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Kein Ersatz. Die Berlin Challenge am vergangenen Sonntag brachte kaum echtes Marathon-Feeling.
© Imago

Kolumne „Losgelaufen“: Berlin ohne Marathon ist nicht mein Berlin

Es mag kitschig klingen, aber Berlin ohne Marathon fühlt sich für unsere Kolumnistin einfach nicht richtig an. Das habe das vergangene Wochenende gezeigt.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Nun ist es also Geschichte – das erste Berlin-Marathon-Wochenende ohne Berlin-Marathon. Wie befürchtet, hat es bei mir ein seltsam beklemmendes Gefühl ausgelöst. Obwohl ich gar nicht hätte mitlaufen können, hat mich die Stille am letzten Sonntag mehr getroffen, als alle anderen Einschränkungen, die wir aufgrund der Corona-Pandemie bisher erlebt haben.

Richtig erwischt hat es mich, als mir auf meiner 30-Kilometer-Wanderung, die ich als Ersatz für den Tag geplant hatte, auf Höhe Breitenbachplatz zwei als Clowns verkleidete Läufer mit einer Startnummer entgegenkamen. Sie wirkten so deplatziert. Und dass sie so bunt und ausgelassen waren, stand in absolut krassem Gegensatz zu dem ganz normalen sonntäglichen Alltagstreiben an einem Ort, den normalerweise um diese Zeit gut 40 000 Läuferinnen und Läufer aus aller Welt passiert hätten. Ich hätte heulen können.

Mir war bis dato überhaupt nicht bewusst, wie sehr ich mich mit dem Berlin-Marathon identifiziere, wie sehr er Teil meines Berlin-Lebens und -Erlebens ist. Vielleicht klingt das in Ihren Ohren kitschig oder übertrieben, aber Berlin ohne Berlin-Marathon ist einfach nicht das Berlin, das mir vertraut ist.

Vielleicht können wir ja alle gemeinsam dazu beitragen, dass bald wieder Läufe stattfinden

Als ich dann ein paar Stunden später noch lesen musste, dass der SCC als Ausrichter um seine Existenz bangen muss, war meine Sonntagslaune ganz im Keller. Da half auch die Freude darüber nicht, dass ich letzten Dienstag zum ersten Mal seit langer Verletzungspause wieder knapp fünf Kilometer gelaufen bin.

Aber ich will nicht Trübsal blasen, sind doch gerade wir Läuferinnen und Läufer jene, die den Schwierigkeiten und Herausforderungen des Lebens dynamisch begegnen. Vielleicht können wir ja alle gemeinsam dazu beitragen, dass die Läufe im nächsten Jahr wieder stattfinden und dass der SCC keine Angst vor der Zukunft haben muss.

Wie das aussehen kann? Na, zum Beispiel kann man den Verein mit einer Mitgliedschaft unterstützen oder durch eigenes rücksichtsvolles Verhalten dazu beitragen, dass die Infektionszahlen nicht weiter in die Höhe schnellen. Vielleicht können wir Freizeitläuferinnen und -läufer uns auch auf eine andere Art solidarisch zeigen, indem wir unsere gelaufenen Kilometer in Geld ummünzen, um so den Verein zu unterstützen. Vielleicht haben Sie aber auch eine ganz andere Idee, die Sie in die Welt bringen können. Schließlich kommen doch die besten Ideen beim Laufen.

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Ganz abgesehen von den wirtschaftlichen Verlusten, die nicht nur den SCC, sondern auch unsere Stadt treffen, geht es doch auch um einen ideellen Verlust, den kein noch so klug geplanter Ersatz aufwiegen kann. So ein Lauf ist für viele ein Statement, das sie in die Welt tragen.

Wer kennt sie nicht, die KinderHerz-Läuferinnen und Läufer, die auf die Arbeit der Stiftung „KinderHerz“ aufmerksam machen oder die unglaublich vielen berührenden Randgeschichten, die so einen Marathon flankieren.

Und nicht zuletzt das ansteckende Lauffeeling, das die Teilnehmenden verbreiten und mit dem sie zeigen, dass es sich lohnt, hart für ein Ziel zu trainieren, weil am Ende der Strecke viel mehr wartet, als nur ein alkoholfreies Bier und eine Medaille. Aber um das zu erfahren, muss man den Berlin-Marathon erleben. Sorgen wir doch gemeinsam dafür, dass das 2021 möglich ist.

Jeannette Hagen

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