Krise unter Pal Dardai: Bei Hertha BSC spielt der Kopf nicht mit
Berlins Bundesligist erlebt erstmals unter Trainer Pal Dardai eine Krise. Den Spielern ist das Zutrauen abhanden gekommen.
Irgendwann zirkelte Pal Dardai den Ball von der Strafraumlinie in den Winkel – ein herrliches Tor. Die zehn, zwölf Spieler, die den Trainer von Hertha BSC am Donnerstagmittag auf dem Trainingsgelände um sich hatte, johlten. Die 40, 50 Zaungäste am Rand applaudierten. Dardai wirkte verlegen, Knaller solcher Sorte sind ihm in seiner aktiven Karriere recht selten untergekommen. Er senkte seinen Kopf und hob seine linke Hand mit gestrecktem Zeigefinger in die Luft.
Wenn sich doch auch andere Dinge so in Luft auflösen ließen. Die ausbleibenden Resultate, die angespannte Stimmung im Verein, die Sorgen der Fans. Das peinliche Pokal-Aus vom Vorabend gegen bis dahin in der Liga sieglose Kölner hat den Hauptstadtklub in eine Krise rutschen lassen. Nichts scheint mehr so zu sein, wie in den zurückliegenden gut zweieinhalb Jahren, seit Dardai Cheftrainer ist. Immer ging es vorwärts, ja aufwärts. Eine solche Situation wie jetzt gab es noch nie unter ihm. „Angeschlagen sind wir alle wegen der Niederlage“, sagte Dardai, jetzt müsse man schnell die Köpfe der Spieler frei kriegen, viel trainieren könne man nicht. Am Samstag kommt der Hamburger SV.
Ein halbes Dutzend schwarzgekleideter Sicherheitsleute postierte sich am Donnerstag an den Ecken des Trainingsplatzes auf dem Gelände des Olympiaparks. Man kann ja nicht wissen, wird man sich bei Hertha gedacht haben. So vergiftet wie die Atmosphäre am Vorabend war. Als die Spieler nach dem 1:3 auf die Ostkurve zugingen und sich bei ihren Fans für deren Unterstützung bedanken wollten, flogen ihnen Bierbecher entgegen und böse Worte. Die Stimmung ist mindestens einmal gereizt. Er könne verstehen, dass die Fans enttäuscht sind, sagte Herthas Manager Michael Preetz, „aber was da aus der Kurve kam, werden wir nicht akzeptieren, da sind wir nicht verhandlungsbereit. Andererseits wollen wir eine gute Stimmung in der Kurve haben. Es geht nur gemeinsam.“
Am Donnerstag blieb es friedlich rund um den Schenckendorffplatz. Es gab Zeiten, da marschierten ein paar Hundert Ultras auf. Lange her, und doch nicht vergessen. Es kriselt mal wieder bei Hertha. Eigentlich ist nichts wirklich Schlimmes passiert, aber der Abwärtstrend der vergangenen Wochen und die mauen Auftritte lassen den Anhang nervös werden.
Rückschläge kennt das Team nicht
Wesentliche Teile der Mannschaft haben solche Rückschläge noch nicht erlebt. Spieler wie die aufstrebenden Niklas Stark, Mitchell Weiser oder Marvin Plattenhardt. Für sie ging es bisher in eine Richtung, nach oben. Sie bekamen in Berlin eine Chance sich zu zeigen, die nutzten sie, sie entwickelten sich und reiften. Von ihren Leistungen profitierte Hertha. Nun geht es etwas in die andere Richtung. Leistungen schwanken, Resultate bleiben aus.
Große Teile des Anhangs aber können sich noch sehr gut an raue Tage erinnern, und die beiden Abstiege 2010 und 2012 sind auch noch nicht vergessen. So dramatisch ist die Lage nicht, aber wenn am Samstag das Bundesliga-Heimspiel nicht gewonnen wird, kann aus der dicken Luft ein Knall werden. Zumindest ist der Klub eine seiner Beschäftigungen los – die Dreifach-Belastung. Demnächst dürfte auch die Europa League wegfallen. Vom ersten Tag der Saisonvorbereitung stand dieses Thema über allen anderen. Es war praktisch omnipräsent. Die Ernährung der Spieler wurde umgestellt, der Schlaf und das Training auch. Am Ende mussten die Spieler ja fast schon glauben, dass man das gar nicht wird schaffen können.
Es kann schon sein, dass allein in der Auseinandersetzung mit diesem Thema die eigentliche Belastung bestand und weniger in dem Rhythmus, alle drei Tage ranzumüssen. Spieler spielen nun mal lieber, als dass sie trainieren. Unter dem Strich hat Hertha lediglich drei Extra- Spiele gehabt, gegen Bilbao, Östersund und Luhansk. Das ist alles andere als unmenschlich.
Alles auf das Spiel gegen den HSV
Vielleicht hat das im Unterbewusstsein der Spieler dazu geführt, mit den Kräften etwas zu haushalten und nicht in jedem Spiel an die Grenze zu gehen. Dann fehlten ein paar Prozentpünktchen. Dabei fällt es Hertha schwer genug, ein Spiel zu gewinnen.
Vor allem fällt es der Mannschaft zunehmend schwerer, überhaupt ein Tor zu erzielen. Hertha kommt zu selten ins entscheidende, ins letzte Drittel, und wenn, dann fehlt zu oft ein guter letzter Pass, ein finales Anspiel. Wenn Herthas Mannschaft gegenwärtig Tore erzielt, dann aus Standardsituationen wie Ecken, Freistößen oder Elfmetern. Und weil ihr der eigene Torerfolg so schwerfällt, verfällt sie in Panik, wenn sie ein Gegentor bekommt. „Das ist eine Kopfsache, die müssen wir lösen, da müssen wir besser werden“, sagte Dardai.
Ein anderer Punkt ist die fehlende Kreativität im Spiel. Die Mannschaft findet derzeit keine spielerischen Lösungen auf dem Feld. Das Offensivspiel der Berliner ist bieder und zäh. Es offenbaren sich Schwächen in Sachen Spielverständnis und Spielgestaltung. Das rüttelt fast schon zwangsläufig am Zutrauen in die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Dieses Zutrauen muss sich Hertha jetzt erst wieder erarbeiten. Bestenfalls schon am Samstag gegen Hamburg, sonst wird es richtig ungemütlich.