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Früher Union, jetzt Stuttgart: Simon Terodde hat in dieser Saison bereits 19 Mal getroffen.
© Kirchner/ dpa

Zweite Bundesliga: Aufstiegskrimi zwischen Union und Stuttgart

Simon Terodde war den Berlinern einst nicht gut genug. Jetzt ist der Stuttgarter der beste Zweitliga-Spieler - und könnte den Sieg gegen Union bringen.

Unter Fußballern gehört es inzwischen zum guten Ton, Tore gegen den Ex-Klub nicht zu feiern. Das soll Demut vor dem alten Arbeitgeber signalisieren und hat den praktischen Nebeneffekt, diejenigen im Stadion, die einst mal für einen selbst gejubelt haben, nicht gegen sich aufzubringen.

Das kann mitunter zu grotesken Bildern führen. Da trifft dann einer, und anstatt sich zu freuen, trabt er gelangweilt wie nach einem schlechten Kinofilm Richtung Mittelkreis, während die Mitspieler an ihm ziehen und zerren und ihm überschwänglich ins Gesicht schreien.

Terrode bejubelt Tor gegen Union

Insofern wirkte das, was Simon Terodde vergangenen November tat, wie aus der Zeit gefallen. Der Stürmer des VfB Stuttgart hatte seine Mannschaft beim 1. FC Union Berlin früh in Führung gebracht und dass er einmal drei Jahre für die Berliner gespielt hatte, war ihm in diesem Moment so egal wie nur irgendwas. Terodde riss die Arme hoch, er hüpfte in die Luft und klatsche seine Kollegen ab.

Hinterher sagte er: „Ich habe ein wichtiges Tor geschossen, was soll ich da so tun, als würde ich mich nicht freuen. Das hätte nicht der Wahrheit entsprochen und wäre unehrlich gewesen.“

Unions Trainer versucht Spiel kleinzureden

Grund zur Freude hatte Terodde in dieser Saison oft. Kein Stürmer der Zweiten Liga ist erfolgreicher, 19 Mal hat er bisher getroffen. Wenn Union das Gastspiel am Montag (20.15 Uhr, live auf Sport 1) beim VfB Stuttgart erfolgreich bestreiten will, wird es von essentieller Bedeutung sein, den 29-Jährigen zu stoppen. Daran hängen die Berliner Aufstiegshoffnungen.

Das Stadion ist mit 50 000 Besuchern ausverkauft, eine Bundesligakulisse, getragen vom Endspielcharakter. Da wirken die Versuche von Unions Trainer Jens Keller, das Spiel kleinzureden, arg gestellt. „Ich weiß nicht, warum es das größte Spiel für uns sein soll? Wir haben in Dortmund vor 80 000 Zuschauern gespielt, in Hannover waren auch 50 000“, sagt Keller.

Spiel von hoher sportlicher Bedeutung

Gemessen an der Zuschauerzahl ragt Stuttgart nicht heraus, von der sportlichen Bedeutung her schon. Union ist Vierter, Stuttgart Erster. Drei Punkte trennen beide. Verliert Union, wird der direkte Aufstieg bei dann noch vier ausstehenden, sportlich anspruchsvollen Spielen komplizierter (siehe Kasten).

Stuttgart dagegen wäre die Rückkehr in die Bundesliga bei einem Sieg so gut wie sicher. Die Hoffnungen ruhen in dieser Hinsicht auf Simon Terodde. Nach dem jüngsten 3:2 in Bielefeld, als er zwei Tore schoss, schrieb ein Fan auf der Facebook-Seite des Klubs: „Du bist unsere Lebensversicherung.“

Wie wichtig der Stürmer für den Tabellenführer ist, beweisen allein die Zahlen. Stuttgarts zweitbeste Schützen Christian Genter und Carlos Mané kommen jeder auf gerade mal sechs Tore. Trotz allen Talents, das der VfB in der Offensive vereint, ist die Konsequenz stets die gleiche: Am Ende kommt der Ball immer zu Terodde, dem besten Spieler der Zweiten Liga. „Wir werden ihn im Strafraum ganz eng nehmen, weil wir uns bewusst sind, dass er immer Tore machen kann“, sagt Keller.

Terrode größte Gefahr für die Berliner

Es zeugt von gewisser Ironie, dass Union sich in einem der wichtigsten Spiele der jüngeren Vereinsgeschichte ausgerechnet um einen sorgen muss, den man einst für nicht gut genug hielt. Als sich im Sommer 2014 der VfL Bochum nach Terodde erkundigte, machten die Berliner Verantwortlichen wenig Anstalten, ihren Spieler vom Bleiben zu überzeugen. Im Gegenteil. Obwohl noch mit einem weiteren Jahr Vertragslaufzeit ausgestattet, durfte er ablösefrei wechseln. Aus heutiger Sicht wirkt das unverantwortlich, aber wer will es Union verdenken?

Terodde war vor drei Jahren nicht jener Spieler, der er heute ist. Kaltschnäuzig, clever, „extrem abgezockt“, wie Unions Trainer Keller sagt. Zu dieser Zeit zweifelte er, haderte mit sich nach jeder vergebenen Chance. Manchmal fuhr Terodde nach den Spielen mit seinem Freund Michael Parensen heim und redete im Auto kaum ein Wort. Dabei hatten sie doch gewonnen. Unions Fußball war nicht sein Fußball.

Am Ende kann nur einer jubeln

Die eher defensive, abwartende Spielweise in der Zeit unter Trainer Uwe Neuhaus kam ihm nicht entgegen. Teroddes Stärke, das Spiel mit dem Rücken zum Tor, kam zu selten zum Tragen. Dem Ball entgegengehen, prallen lassen und dann in den Raum starten – in dieser Hinsicht gibt es in der Zweiten Liga keinen Besseren. In Stuttgart kann er seine Vorzüge voll ausspielen, die schnellen Asano und Carlos Mané füttern ihn mit Vorlagen und rücken bei Tempogegenstößen zur Unterstützung sofort mit nach.

Wieder Ironie, dass Unions Fußball der Gegenwart unter Trainer Keller ideal wäre für Terodde. Beim 1. FC Union des Jahres 2017 würde er sich wohler fühlen, womöglich wäre es die perfekte Liaison. Gedankenspielereien, wie sie so mancher Berliner heute haben dürfte. Terodde hat sich weiterentwickelt, Union auch.

Voneinander getrennt sind beide in die sportliche Spitzenklasse vorgestoßen. Wenn es ideal läuft, werden beide ihr Ziel erreichen und in die Bundesliga aufsteigen. Realistischer erscheint aber, dass am Ende nur einer jubeln kann. Simon Terodde oder der 1. FC Union.

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