Skispringer Severin Freund: Auf der Suche nach dem Hochgefühl
Severin Freund hat in dieser Saison zwei Ziele: Er will um den Sieg bei der Vierschanzentournee mitspringen - und in einen luxuriösen Zustand kommen.
So schnell wie möglich möchte er wieder in diesen besonderen Zustand kommen. Wieder das Gefühl haben, vollkommen im Fluss zu sein. „Das war eine wahnsinnig luxuriöse Situation“, sagt Severin Freund. Und damit meint der Skispringer vor allem einige Phasen im vergangenen Winter: „Da hatte ich das Gefühl: Du kannst nichts falsch machen.“
Doch mit der vergangenen Saison verbindet der 27-Jährige nicht nur ein Hochgefühl, sondern auch Titel. Der Bayer gewann bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften im Februar in Falun Gold von der Großschanze sowie mit dem Mixed-Team. Und danach holte er sich Ende März den Titel, den er immer als größtes Ziel seiner Karriere bezeichnet hatte: den Sieg im Gesamtweltcup.
Den Tournee-Ablauf hat er im Sommer durchgespielt
Kein Wunder also, dass Freund nach all diesen Erfolgen auch in diesem Winter nach zwei Dingen strebt: nach besonderen Gefühlen und weiteren Siegen. Am Samstag beginnt in Klingenthal die neue Saison – zunächst mit dem Teamspringen (16.15 Uhr/ARD und Eurosport), am Sonntag folgt dann der erste Einzelwettkampf (14 Uhr/ARD und Eurosport). Allerdings ist es fraglich, ob die Wettbewerbe stattfinden, denn wegen Dauerregens sind am Freitag das Training und die Qualifikation abgesagt worden. Freund hat seine großen Ziele fest im Blick. Er sagt, bei der Vierschanzentournee wolle er um den Sieg mitspringen: „Da habe ich auch für mich noch einiges gutzumachen.“ Auf eine weitere Goldmedaille setzt er auch bei der Skiflug-WM Mitte Januar am Kulm. „Da bin ich schließlich Titelverteidiger.“
Freund sagt das alles nicht überheblich, sondern ganz ruhig und analytisch. So, wie er eben ist. Er ist kein Wunderspringer, der plötzlich alle überraschte. Er hat sich geduldig Schritt für Schritt weiterentwickelt. Und er kann sich und seine Fähigkeiten sehr gut einschätzen: „Die zurückliegende Saison ist nur ein Schritt in meiner Karriere. Ich denke, dass es nicht die letzte erfolgreiche war.“
Dass Freund bei seinen Vorhaben unter noch größerer Beobachtung stehen wird als bisher, zeichnet sich ebenfalls ab. Mit seinen Erfolgen ist er in die erste Reihe der deutschen Wintersportler aufgerückt, fast schon auf eine Stufe mit Skifahrer Felix Neureuther. Vom Deutschen Ski-Verband (DSV) wurde Freund zum Skisportler des Jahres 2015 gekürt. Eben vor Neureuther, dem Kombinierer Eric Frenzel oder den sonst so populären Biathleten. Wie groß das mediale Interesse an ihm mittlerweile ist, zeigte sich auch Ende Oktober bei der DSV-Einkleidung in Herzogenaurach. Um Freund herum scharten sich die meisten Journalisten.
Diese Entwicklung freut besonders den Bundestrainer Werner Schuster. „Severin ist in seiner Karriere immer gewachsen“, schwärmt der Österreicher. „Es ist ein Riesengeschenk, so einen Athleten zu haben. Er arbeitet extrem akribisch und ist so immer kompletter geworden.“ Vor sechs Jahren befand sich Freund laut Schuster von seiner Leistungsstärke her noch im hinteren Drittel des deutschen Teams. „Er war unser Testpilot für neue Bindungen“, sagt der 46-Jährige. Doch von der Saison 2010/11 an war es Freund, der mit dem neuen Material und dem neuen Athletiktraining am besten zurechtkam. „Er hatte einige Aha-Erlebnisse“, sagt Schuster. „Und dann folgten die Leistungssprünge.“
So wurde Freund vom Testpiloten zum Siegspringer, dann 2014 zum Team-Olympiasieger und nun zum Besten im Gesamtweltcup. Nur bei der Tournee konnte er noch nie wirklich überzeugen. Das soll dieses Mal anders werden. „Ich habe einiges dafür getan, um früh in der Saison in Topform zu sein – das war bisher ja nicht unbedingt mein Steckenpferd“, sagt Freund. Besonders beim Athletiktraining setzte er in der Vorbereitung neue Reize, das zahlte sich schon während des Sommer-Grand-Prix aus, bei dem er zweimal gewann. Außerdem haben Freund und seine Teamkollegen im Sommer sogar den Tournee-Ablauf mit vier Springen innerhalb einer Woche durchgespielt. Er will es jetzt also wirklich wissen – dieses Hochgefühl ist einfach zu schön.
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Johannes Nedo