Olympia 2016 in Rio: Angelique Kerber spielt um Gold
Silber ist ihr sicher. Das Halbfinale gegen die Amerikanerin Madison Keys hat Angelique Kerner gewonnen. Am Samstag kann sie in Steffi Grafs Fußstapfen treten.
Angelique Kerber warf ihren Schläger fort. Sie fiel auf die Knie und weinte ein bisschen auf den Hartplatz des Centre Courts. „Ich habe als Kind immer davon geträumt, im Finale zu stehen, und jetzt stehe ich bei Olympia im Finale“, sagte sie später. „Das kann man gar nicht beschreiben.“
An diesem Samstag kann Kerber ihr traumhaftes Tennisjahr krönen. Nach dem 6:3, 7:5-Sieg gegen die US-Amerikanerin Madison Keys im Halbfinale hat sie die erste Einzel-Olympiamedaille für die deutschen Tennisspieler seit Thomas Haas im Jahr 2000 sicher. „Die Medaille habe ich in der Tasche“, sagte Kerber nach dem Match. Doch sie wirkte nicht, als sei sie bereits am Ziel. Im Finale spielt sie darum, dass es nicht wie einst bei Haas in Sydney Silber wird – sondern Gold, wie 1988 bei Steffi Graf in Seoul. „Jetzt habe ich die Chance auf einen Olympiatitel“, sagte Kerber. „Ich hoffe, dass ich sie nutzen werde.“
Im Finale ist Kerber Favoritin
Im Endspiel ist sie die Favoritin, dort trifft sie auf Monica Puig aus Puerto Rico. Die Weltranglisten-34. setzte ihren überraschenden Siegeszug fort und warf die zweimalige Wimbledonsiegerin Petra Kvitova (Tschechien) im Halbfinale aus dem Turnier. Zuvor hatte Puig überhaupt erst ein Profiturnier gewonnen. Nach ihrer fabelhaften Olympiawoche ist sie daheim in der Karibik nun bereits eine Volksheldin. „Monica hat einen Lauf, und ich werde versuchen, sie zu stoppen“, sagte Kerber. Sie will sich ein paar Tipps bei Laura Siegemund holen, die im Viertelfinale gegen Puig verloren hatte. „Aber ich werde eher versuchen, mich auf mich zu konzentrieren und gar nicht so sehr darüber nachdenken, gegen wen ich spiele.“
Im Halbfinale musste sich Kerber jedoch unfreiwillig viel mit der Gegnerin auf der anderen Netzseite befassen. Die 21 Jahre alte Madison Keys spielte aggressiv, trieb Kerber immer wieder in die Defensive und erarbeitete sich sofort einige Breakbälle. „Sie hat von Anfang an Druck gemacht“, sagte Kerber. „Ich habe ein bisschen gebraucht, den Rhythmus zu finden und mich an ihre Geschwindigkeit zu gewöhnen. Der Schlüssel zum Erfolg war, dass ich ruhig geblieben bin und viele Bälle zurückgebracht habe.“
"Angie"-Sprechchöre hallten über den Centre Court
Unterstützt wurde die Weltranglistenzweite von vielen deutschen Fans, die wie schon in den vergangenen Runden Transparente und Fahnen im Stadion aufgehängt hatten. „Ich habe die deutschen Fans gehört, die haben mich super unterstützt und waren sehr laut“, sagte Kerber. Nach dem Satzgewinn zum 6:3 gab es „Angie“-Sprechchöre zur Belohnung.
Doch auch nach dem verlorenen ersten Durchgang ließ Keys nicht nach, im Gegenteil. Sie griff noch verbissener an, das Match wurde noch ausgeglichener. So ging das bis zum Stand von 5:4, dann hatte die Deutsche bei Aufschlag Keys vier Matchbälle. Sie vergab sie alle, Keys glich aus, „und dann hatte ich auch noch 0:30 bei meinem nächsten Aufschlag. Da hätte das Spiel kippen können.“ Doch die Angelique Kerber des Spätsommers 2016 lässt sich in solchen Situationen nicht mehr aus der Bahn werfen. Sie hat an mentaler Stabilität gewonnen, so hat sie bei den Australian Open triumphiert und das Finale in Wimbledon erreicht. „Ich habe versucht, alles abzustreifen, was war und mir zu sagen: Es ist nichts passiert.“
Kerber hielt ihr Service, ging 6:5 in Führung und hatte beim nächsten Aufschlag der Amerikanerin wieder Matchball. Den sechsten nutzte sie, endlich. Danach versicherte sie glaubhaft, nicht wegen der bereits gewonnenen Medaille feuchte Augen bekommen zu haben, sondern wegen der Erleichterung nach dem harten Match. „Ich will meinen Emotionen noch gar nicht wirklich freien Lauf lassen“, sagte Kerber. Das will sie sich für die Momente nach dem Endspiel aufheben. „Vor einer Woche habe ich mir erträumt, im Finale zu stehen, und jetzt bin ich da. Ich kämpfe jetzt um Gold.“
Christian Hönicke