Trainer der U 23 von Hertha BSC: Andreas Neuendorf ist nicht "der kleine Kasper von früher"
Als Spieler hat "Zecke" Neuendorf gern den Klassenclown gegeben. Als neuer Trainer der U 23 von Hertha BSC ist er sich seiner Verantwortung bewusst.
Andreas „Zecke“ Neuendorf steht im Fünfmeterraum. Er schleudert seine Arme durch die Luft, hopst zwei Schritte nach links, macht einen Ausfallschritt nach rechts, springt vor, holt mit seinem starken linken Fuß aus und tritt einen nicht vorhandenen Ball aus der Luft ins Tor. Ein gutes Dutzend Augenpaare folgt seinen Bewegungen.
Sommerpause bei Hertha BSC. Ein kleiner Traktor tuckert über den Trainingsplatz der Profis und verbreitet den Duft von Pflanzengift. Für Neuendorf aber ist die Sommerpause schon vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hat. Er übt auf dem Gebhardtplatz, hinter Hecken versteckt, mit Herthas U 23, seiner neuen Mannschaft, Ecken ein. Florian Krebs tritt an. Der Ball segelt gemächlich vors Tor, der Torhüter springt hoch und packt ohne größere Schwierigkeiten zu.
Neuendorf, 44 inzwischen, gestikuliert. Er zeigt, wie Krebs seinen Fuß halten muss, damit der Ball hoch in die Luft steigt und genau im richtigen Moment wieder vom Himmel plumpst. Er klatscht sich mit dem Handballen von oben in die flache Hand, um zu zeigen, wie man den richtigen Drall hinbekommt, und lässt sich von Krebs einen Ball zuspielen. Neuendorf geht einen Schritt zurück, holt aus und schießt. Der Ball steigt hoch – und fällt Krebs genau vor die Füße.
Hertha BSC versteht sich selbst als Ausbildungsverein – und das nicht nur für Spieler, sondern auch für Trainer. Vier Jahre hat Neuendorf, den alle nur Zecke nennen, als Jugendtrainer für Hertha BSC gearbeitet, zwei bei der U 15, zwei bei der U 17. Ende Mai ist er zur U 23 befördert worden, als Nachfolger von Ante Covic, der wiederum künftig die Bundesligamannschaft der Berliner trainieren wird. Von der Jugend zu den Männern. Für Neuendorf beginnt damit ein neuer Abschnitt seines Berufslebens.
Neuendorf bleibt in der Nachwuchsakademie
„Ich sehe die U 23 nicht als Männerbereich“, sagt Neuendorf. „Ein 18- oder 19-Jähriger ist auf dem Papier volljährig, ein Mann ist er noch lange nicht.“ Die U 23, die in der viertklassigen Regionalliga Nordost spielt, zählt bei Hertha auch organisatorisch noch zur Nachwuchsakademie, Neuendorfs unmittelbarer Vorgesetzter ist nicht Michael Preetz, der Manager und Geschäftsführer der Kommanditgesellschaft auf Aktien, sondern Benni Weber, der Leiter der Akademie.
Vor ein paar Wochen bekam Neuendorf einen Anruf von Weber: Ob er ein bisschen früher kommen könne, es gebe etwas zu besprechen. Der Leiter der Akademie erklärte Neuendorf, dass man ihm am ehesten den Trainerjob bei der U 23 zutraue. „Ich selber hätte mich nicht beschwert, wenn ich mit meinen Jungs noch ein bisschen hätte weiter machen können“, gesteht er. „Ich hätte mich sogar sehr gefreut.“ Eine Nacht schlief er über das Angebot, dann sagte er zu. „Es ist nicht so, dass ich mich genötigt fühle“, sagt er. „Die Jungs können sich darauf verlassen, dass ich 100 Prozent geben werde – weil ich anders gar nicht kann.“
Als Spieler war das nicht immer so. 200 Mal ist Neuendorf für Bayer Leverkusen und Hertha BSC in der Bundesliga aufgelaufen, und trotzdem steht er im Verdacht, nicht alles aus seinem Talent rausgeholt zu haben. Irgendwann zu Beginn des Jahrtausends, als dem Mittelfeldspieler im Trainingslager in Österreich mal ein besonderes Kunststück gelungen war, drehte sich Innenverteidiger Dick van Burik zu den Journalisten am Spielfeldrand und sagte: „Der ist nicht schlechter als Michael Ballack.“
Job als Fußballprofi ohne größtmöglichen Ernst
Neuendorf bestreitet das: „Ich war nie der grandiose Spieler. Ich war ein ordentlicher Mitspieler.“ Was er nicht bestreitet, ist, dass er den Job als Fußballprofi nicht immer mit dem größtmöglichen Ernst angegangen ist: „Ich habe das Fußballerleben eher als Event gesehen und war nie so professionell wie die Jungs heute.“ Wenn er nach einer Verletzung in die Reha musste, hat er sich im Rehazentrum ins Café gesetzt, Baguette gegessen und Zeitung gelesen. Er war der Ansicht, sein Körper werde schon selbst entscheiden, wann er wieder richtig fit sei.
Als Spieler war Zecke der Klassenclown. Legendär ist die Geschichte, wie er Malik Fathi und Sofian Chahed mal einen ordentlichen Anschiss von Trainer Hans Meyer eingebrockt hat. Die beiden waren frisch aus der U 23 zu den Profis gestoßen und hatten im Abstiegskampf ihre ersten Bundesligaspiele bestritten. „Ey“, sagte Neuendorf zu ihnen. „jetzt seid ihr so junge Superstars, jetzt müsst ihr auch aussehen wie Superstars.“ Am nächsten Tag erschien Fathi mit Dreadlocks zum Training, Chahed mit einem Irokesenschnitt. „Was stimmt mit euch beiden nicht?“, fragte Meyer. Neuendorf beichtete seinem Trainer, dass er für die Typveränderung seiner Kollegen verantwortlich gewesen sei, „aber ich wusste ja auch nicht, dass die beiden wie die Backstreet Boys aussehen wollen“.
Zecke war erklärter Liebling der Ostkurve
Fathi ist jetzt sein zweiter Co-Trainer bei der U 23. Dazu ist ihm Karsten Leyke, der schon unter Covic in dieser Position gearbeitet hat, als Assistent erhalten geblieben. Als Neuendorf die korrekte Ausführung eines Eckballs erklärt, stehen sie Schulter an Schulter und schauen zu. „Es gibt Menschen, die andere Sachen besser können als ich“, sagt Neuendorf. „Ich wäre dumm, wenn ich das nicht nutzen würde. Deshalb bin ich ein Teamplayer.“
Es ist der Tag, an dem an der Poelchau-Schule auf dem Olympiagelände die Zeugnisse ausgeteilt werden. Einige Spieler kommen mit ihren Eltern, andere alleine. In einiger Entfernung geht Ransford Königsdörffer am Trainingsplatz vorbei, der unter Neuendorf in der U 17 gespielt hat. „Ransford, hast du es geschafft?“, ruft Neuendorf. Königsdörffer hebt den Daumen. „Du gehst nach Dresden, oder?“, fragt Neuendorf. Ja, tut er. Nach einer längeren Verletzungspause will Königsdörffer bei Dynamo einen neuen Anlauf nehmen. „Alles Gute, Dicker! Ich ruf’ Cristian Fiel an, den Trainer der ersten Mannschaft. Ich sag, er soll auf dich aufpassen.“
Neuendorf hat selbst noch für die U23 gespielt
Neuendorf wird von Ante Covic nicht nur den Job bei der U 23 übernehmen, sondern auch den des Karrierecoaches, der die besten Jugendspieler Herthas auf ihrem Weg zu den Profis fördern und begleiten soll. „Wir haben großartige Talente, von denen man den einen oder anderen schon früher an den Männerbereich heranführen könnte“, sagt er. „Das ist das, was wir uns fürs nächste Jahr vorgenommen haben.“
Am Ende seiner Karriere hat Neuendorf selbst für Herthas U 23 gespielt, das letzte halbe Jahr – mit 39 – sogar unter Ante Covic. Er fungierte damals schon als eine Art Mentor für die jungen Talente. Das soll er auch künftig wieder sein – nur eben nicht mehr auf dem Platz, sondern daneben. „Eigentlich sind wir Trainer nichts anderes als Diener der Spieler“, sagt Neuendorf. „Wir dienen ihnen dazu, sich weiterzuentwickeln.“
Der Neuendorf, der 2010 in Herthas U 23 zurückkehrte, war ein ganz anderer als der, der Hertha 2007 verlassen musste, weil er keinen neuen Vertrag mehr bekam. Dazwischen liegt die Zeit beim FC Ingolstadt, der ihn mit der Aussicht in die damals noch drittklassige Regionalliga gelockt hatte, um ihn eine Mannschaft zu bauen: Möchtest du nicht mal Führungsspieler sein? Derjenige, an dem sich die anderen ausrichten? „Da fing es an, dass ich anders gedacht habe, dass ich auch anders mit meinem Körper umgegangen bin“, sagt Neuendorf. „Ich war auch davor kein schlechter Mensch, aber ich bin erwachsener geworden. Und es hat Spaß gemacht zu funktionieren. Das heißt ja nicht, dass man nicht mehr lustig sein kann. Aber eben auf eine andere Art und Weise.“
Auf den Spuren von Pal Dardai und Ante Covic
Die Beförderung Neuendorfs zum U-23-Trainer hat Manager Preetz bei der Mitgliederversammlung verkündet – einfacher kann man Herthas Anhang kaum zum Jubeln bringen. Zecke war immer erklärter Liebling der Kurve. Aber natürlich hat es auch Leute gegeben, die, nun ja, irritiert auf die Nachricht reagiert haben, dass Neuendorf künftig am kritischen Übergang zwischen Nachwuchs und Profis arbeiten soll. „Die Hälfte sagt wahrscheinlich: Was, Zecke? Um Himmels willen!“, sagt Neuendorf. „Das sind die, die nicht mitbekommen haben, dass ich nicht mehr der kleine Kasper von früher bin, sondern gute, ehrliche Arbeit mache. Und das mit großer Freude.“
Pal Dardai kam aus Herthas Nachwuchs – und wurde Cheftrainer. Ante Covic kam aus Herthas Nachwuchs – und wurde Cheftrainer. Andreas Neuendorf kommt aus Herthas Nachwuchs – und ist jetzt auf den ersten Blick nur noch einen Schritt vom Cheftrainerposten entfernt. „Mich haben auch schon Leute darauf angehauen“, erzählt er. Aber für ihn stehe das eigene Fortkommen nicht im Vordergrund. „Ich bin jetzt für die Jungs da. Meine Aufgabe ist es, sie so schnell wie möglich nach oben zu bringen – nicht mich.“
Alle, die etwas anderes glauben, „die kann ich beruhigen“, sagt Neuendorf. Für den Cheftrainerposten fehlt ihm schlicht und einfach die Fußballlehrerlizenz. Für den nächsten Lehrgang ist er nicht angemeldet, er könnte also frühestens in einem Jahr damit beginnen. Das würde er auch gerne machen, aber nicht, um möglichst schnell im Profifußball zu landen, sondern weil er wissbegierig ist und lernen will. Die Schule hat Andreas Neuendorf mit der Mittleren Reife verlassen, einen Beruf hat er nie gelernt. „Mit 46 könnte ich dann meinen ersten Berufsabschluss haben.“