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Mit Anlauf. Im 34. Grand-Slam-Turnier seiner Karriere steht Kevin Anderson erstmals im Finale. Seit Einführung der Weltrangliste 1973 war nie ein Endspielteilnehmer bei den US Open schlechter platziert als die aktuelle Nummer 32.
© Andres Kudacki/dpa

Finale der US Open: Anderson gegen Nadal: Länge gegen Leidenschaft

Der Südafrikaner Kevin Anderson fordert im Finale der US Open den Weltranglistenersten Rafael Nadal.

Kevin Anderson ging volles Risiko. Nach seinem verwandelten Matchball im Halbfinale der US Open startete der Südafrikaner ein waghalsiges Klettermanöver. Erst zog es ihn zu seinem Bruder auf die Tribüne, dann in seine Box zu Frau und Trainer. Den Abstieg zurück auf den Platz des Arthur-Ashe-Stadiums konnte er nur dank der Unterstützung zweier Sicherheitsleute unfallfrei bewerkstelligen.

Solche Bilder gibt es auf einem Tennisplatz normalerweise nur nach einem Titelgewinn, wenn sich die ganze Anspannung nach einem erfolgreichen Turnier in purer Freude entlädt. Bei Anderson war das schon am Freitag der Fall, der Einzug in sein erstes Grand-Slam-Finale fühlte sich für den 2,03 Meter langen Mann aus Johannesburg wie die Erfüllung eines Traumes an. „Dieser Erfolg bedeutet die Welt für mich“, sagte Anderson nach dem Match und kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus.

Mit 4:6, 7:5, 6:3, 6:4 hatte er sich im Außenseiter-Duell gegen Pablo Carreno Busta durchgesetzt und damit die Chance genutzt, die sich ihm dank der Auslosung und der kurzfristigen Absage von Andy Murray vor dem Turnier geboten hatte. „Dafür habe ich so hart gearbeitet“, sagte Anderson noch auf dem Platz. Tatsächlich ist der 31-Jährige seit Jahren eine Konstante auf den Tennisplätzen der Welt, seine knallharten Aufschläge und krachenden Grundschläge werden allenthalben respektiert. Doch Anderson galt nie als besonders nervenstark, vor zwei Jahren führte er im Achtelfinale von Wimbledon mit 2:0-Sätzen gegen Novak Djokovic und verlor am Ende doch. Dazu hatte er immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen, im Januar erst wurde er an der Hüfte operiert und stürzte bis auf Weltranglistenplatz 80 ab.

Anderson hat alle vier bisherigen Duelle gegen Nadal verloren

Nun trifft er als aktuelle Nummer 32 im Finale der US Open auf seinen alten Weggefährten Rafael Nadal. Beide kennen sich seit fast 20 Jahren, schon in Jugendzeiten kreuzten sich immer wieder ihre Wege. Nadal besiegte in seinem Halbfinale Juan Martin del Potro 4:6, 6:0, 6:3 und 6:2 und bestreitet damit am Sonntag bereits sein drittes Grand-Slam-Endspiel in dieser Saison. Vor einem Jahr hätte der Spanier das noch als „unmöglich“ erachtet, jetzt spricht wenig gegen den dritten US-Open-Triumph in seiner Karriere. „Ich spüre immer noch das Feuer in mir und liebe dieses Spiel“, sagte Nadal nach seiner Machtdemonstration gegen den Federer-Bezwinger.

Während Anderson erstmals überhaupt ein Halbfinale bei einem Grand-Slam-Turnier bestritt, war das für Nadal fast schon Routine. Und wenn der 31-Jährige erst einmal so weit gekommen ist, lässt er sich nur schwer stoppen. Die letzten 15 Vorschlussrundenmatches bei einem Major hat Nadal allesamt gewonnen. Letztmals hatte er 2009 ein Halbfinale verloren, damals gegen del Potro ebenfalls bei den US Open. Diesmal wackelte der Weltranglistenerste nur zu Beginn, nach verlorenem ersten Satz änderte er seine Taktik und spielte seinem Gegner den Ball häufiger in dessen Vorhandseite. Davon zeigte sich der zunehmend müder werdende Argentinier derart beeindruckt, dass er letztlich komplett den Faden verlor. „Er hat so klug gespielt ab dem zweiten Satz und das bis Matchende durchgezogen“, lobte del Potro.

Im Finale am Sonntag (22 Uhr/live bei Eurosport) kommt auf Nadal ein Gegner mit ähnlicher Spielweise zu. Anderson mangelt es aufgrund seiner Körpergröße aber an Beweglichkeit, wenn er das Spiel nicht diktieren kann und selber laufen muss, unterlaufen ihm Fehler. Sollte Nadal am Ende tatsächlich den Titel gewinnen, wäre die Zeit im Tennis endgültig zurückgedreht. In Australien und Wimbledon hatte zuvor Roger Federer triumphiert, in Paris gelang Nadal sein zehnter Sieg bei den French Open. Nun könnten die beiden nach 2006, 2007 und 2010 zum insgesamt vierten Mal alle Grand-Slam-Titel eines Jahres untereinander aufteilen. „Ich bin glücklich, wenn ich gesund bin und meine Leistung zeigen kann“, sagte Nadal nach seinem Halbfinale. Das Endspiel bezeichnete er als das „wahrscheinlich wichtigste Match“, dass er in diesem Jahr noch spielen werde. „Also werde ich versuchen, mein Bestes zu geben.“ Sollte ihm das gelingen, wird auch die Urgewalt eines Kevin Anderson ihn nicht aufhalten können.

Jörg Leopold

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