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Vereinte Berliner. Olaf Seier (rechts) führte den 1. FC Union zusammen mit Herthas Kapitän Dirk Greiser am 27. Januar 1990 aufs Feld im Olympiastadion.
© Jürgen Engler

Erstes Derby nach dem Mauerfall im Januar 1990: Als Union und Hertha Arm in Arm aufliefen

Vor 30 Jahren feierten die Berliner Teams aus Ost und West den Mauerfall. Olaf Seier war damals Union-Kapitän – und erinnert sich an eine besondere Geschichte.

Olaf Seier hat als aktiver Fußballer einiges erreicht. Mit dem BFC Dynamo wurde der Offensivmann vier Mal DDR-Meister, in Venezuela gewann er mit dem FC Caracas zwei Mal den Titel, und beim 1. FC Union war er zwischen 1983 und 1991 Publikumsliebling. Doch fragt man den 61-Jährigen nach dem schönsten Erlebnis seiner Karriere, fällt ihm zuerst das Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und Union ein, das sich am Montag zum 30. Mal jährt.

Hertha gewann am 27. Januar 1990 durch Tore von Axel Kruse und Dirk Greiser mit 2:1. Den zwischenzeitlichen Ausgleich erzielte André Sirocks. Doch das Ergebnis war im Prinzip nebensächlich, die Klubs feierten vielmehr eine unerwartete Zusammenkunft zweier damals noch befreundeter Vereine aus Ost und West. „Das war ein absoluter Höhepunkt in meiner Karriere. Das werde ich nicht vergessen, auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war. Es fand in der Euphorie nach dem Mauerfall statt“, sagt Seier.

„Die Atmosphäre war einmalig“

51.270 Besucher sind im Olympiastadion dabei, als sich Hertha und Union so nah wie niemals zuvor und danach kommen. Seier führt Union als Kapitän aufs Feld. Er tut dies Arm in Arm mit Herthas Spielführer Greiser. „Als wir auf den Rasen kamen, habe ich in die Ränge geschaut und die brüllenden Zuschauer beobachtet“, berichtet Seier. „Die Atmosphäre war einmalig.“

Die Kontakte zwischen Hertha und Union sind in jenen Wochen vielfältig. Schon am 16. Dezember 1989 ist die Mannschaft aus dem Ostteil der Stadt auf Einladung von Hertha beim Heimspiel gegen die Stuttgarter Kickers im Olympiastadion zu Gast. Bei der Begrüßung durch den Stadionsprecher gibt es Beifall.

1990 waren Hertha und Union noch befreundet.
1990 waren Hertha und Union noch befreundet.
© Thomas Wattenberg/dpa

Der Mauerfall am 9. November 1989 ist auch für den Sport ein Segen. Seier kann die Grenze aber erst zwei Tage später passieren. „Ich habe das schon mitgekriegt am 9. November. Aber wir konnten ja nicht feiern. Man hat sich voll konzentriert auf den Leistungsfußball“, sagt er. Am 11. November muss Union im Spitzenspiel der DDR-Liga bei KKW Greifswald antreten.

Erst danach geht es in den goldenen Westen. Seier zieht es mit seiner Frau an den Kurfürstendamm. Bei „Holst am Zoo“, der Fußballkneipe des Hertha-Funktionärs Wolfgang Holst, gönnt sich Familie Seier mit Freunden und Bekannten ein paar Bier.

Beide Teams feiern zusammen im Brauhaus Rixdorf

Gefeiert wird auch nach dem Spiel bei Hertha Ende Januar. Die Spieler beider Teams kommen im Brauhaus Rixdorf zusammen. „Erst einmal saß jede Mannschaft für sich. Aber das hat sich ganz schnell vermischt“, erzählt Seier.

Er sieht in den nächsten Monaten, dass die besten Ost-Fußballer in den Westen abwandern. Er bleibt – weil er sich bei Union wohlfühlt. 1984 und 1988 haben ihn die Fans zum Unioner des Jahres gewählt. „Für Union ging es 1990/91 um den Einzug in die Zweite Liga. Das war ein Riesenanreiz“, sagt Seier.

Nachdem Union den Einzug in den richtig bezahlten Fußball verpasst hat, entscheidet sich Seier 1991 für den nicht alltäglichen Wechsel nach Venezuela. Der Dreijahresvertrag ist lukrativ, allerdings erleben die Seiers auch bürgerkriegsähnliche Zustande. Dann wurden sie telefonisch informiert, dass sie ihr Haus nicht verlassen dürften.

Zu Union geht Seier immer noch

Nach der Rückkehr aus Venezuela wird Seier mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Mitte der neunziger Jahre beantragt er Einsicht in seine Stasi-Akten. Beim BFC gehörte er irgendwann nicht mehr zum Reisekader, weil seine Frau Westverwandtschaft hatte

Als er nach der Wende zur Behörde kommt, füllen 15 Ordner zu seiner Person einen ganzen Schreibtisch. „In einer Mappe waren die IMs, die meine Familie und mich beschattet hatten. Es waren 14“, sagt Seier. Ihre Klarnamen will er nicht erfahren, weil er seine persönlichen Nachteile als gering betrachtet.

Als Trainer kommt der A-Lizenz-Inhaber ab 1994 nicht in den Bereich, den er als Spieler erreichte. Beim Köpenicker SC ist er immerhin Chefcoach in der Oberliga. Nach vielen Jahren bei unterklassigen Vereinen hat er dem Fußball inzwischen Ade gesagt.

Seit 2018 ist er in Hohenschönhausen im Verein Kietz für Kids Freizeitsport e.V. als sportlicher Leiter für 800 Mitglieder verantwortlich. Am Wochenende hat er Zeit, zu Union zu gehen. Er war auch beim Derby gegen Hertha. „Es gibt Fanlager, die sich super verstehen“, sagt Seier. „Aber zwischen Unionen und Herthanern geht das einfach nicht mehr.“

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