Schwimm-EM: Alles im Sinne der Zuschauer
Im Velodrom entsteht ein künstliches Becken für die Europameisterschaften im Schwimmen. Obwohl es direkt nebenan eine funktionierende Halle gibt.
Dietmar Burger ist gerade bei der nächsten physikalischen Größe angekommen, er spricht jetzt über Newton pro Quadratmeter, die Einheit für den Druck also, als sein Mobiltelefon klingelt. Burger schaut auf das Display, „ist wichtig“, sagt er, „muss ich mal kurz rangehen“.
Es soll nicht das letzte Mal an diesem Vormittag sein, dass er seine Ausführungen unterbricht, das Handy vibriert im Minutentakt. Irgendwer will immer irgendwas wissen, und das hat in erster Linie mit Burgers Funktion zu tun. Der 54-Jährige trägt den Titel „Leiter Veranstaltungstechnik“ und verantwortet den Aufbau der Anlage, die gerade hinter den Türen des Berliner Velodroms entsteht. Die Arena an der Landsberger Allee, für gewöhnlich Olympia-Stützpunkt der Radsportler und Heimstätte des Sechstagerennens, ist vom 13. bis 24. August Austragungsort der Europameisterschaften im Schwimmen. Es gibt da nur ein klitzekleines Problem: Im Velodrom hat noch nie ein Schwimmwettbewerb stattgefunden, die Halle ist für Radsport konzipiert worden, ein Schwimmbecken nicht vorgesehen. Burger sagt: „Von der Schwierigkeitsskala ist das eines der anspruchsvollsten Projekte, an denen ich jemals beteiligt war.“
Für den fachgerechten Aufbau des Beckens sind zwei darauf spezialisierte Unternehmen aus Italien und den Niederlanden beauftragt worden, seit dem 23. Juli bohren, messen, verkleben, verkleiden und montieren 40 Arbeiter die Einzelteile zu einer kolossalen Wanne. Unter den Arbeitern herrscht beim Vor-Ort-Besuch ziemlich ausgelassene Stimmung, bisweilen trällern sie die Lieder mit, die aus einer Lautsprecherbox über die Baustelle dröhnen. „Das sind alles Profis, die wissen genau, was sie machen, weil sie das ganze Jahr nichts anderes machen“, sagt Burger. Bei großen Schwimmwettbewerben sind temporäre Becken längst Usus, die Weltmeisterschaft in Barcelona fand im vergangenen Jahr in der Halle statt, die 1992 noch als Austragungsort für das olympische Basketball-Turnier gedient hatte.
Zunehmende Inszenierung im Sport
Der Hang zur Inszenierung von Sportarten an außergewöhnlichen Orten, er geht auch an den Schwimmern nicht vorbei. Dieser Trend war ja in den letzten Jahren schon zu beobachten: Bei den Olympischen Spielen 2012 schmetterten sich die Beachvolleyballer im Zentrum von London die Bälle um die Ohren. Die Kugelstoßer zieht es wie im vergangenen Jahr im Rahmen der Diamond League mal in den Züricher Hauptbahnhof oder wie erst neulich bei den deutschen Meisterschaften vor das Ulmer Münster, neuerdings gibt es sogar wieder Outdoor-Handball. Jetzt also Schwimmen in einer Radsporthalle.
In Berlin ist die Situation aus infrastrukturellen Gründen besonders irrwitzig, weil direkt neben dem Velodrom eines der größten Schwimmbäder der Stadt existiert. Warum finden die Wettkämpfe also nicht dort statt, sondern in einem eigens errichteten Becken, zumal die Synchronschwimmer und Turmspringer ihre Wettkämpfe ohnehin nebenan austragen?
„Diese Frage habe ich in den letzten Wochen so oft gehört, weil sie ja auch auf der Hand liegt“, sagt Burger und bemüht einen skurrilen Vergleich: „Das ist ungefähr so, als wenn man vor dem Rathaus einen Roten Teppich auslegen lässt und danach sagt: Wäre doch nicht nötig gewesen.“
Die Antwort auf jene naheliegende Frage hat Christa Thiel erst kürzlich im Gespräch mit dem Tagesspiegel gegeben. „Das Besondere ist, dass wir den Mut hatten, in ein Velodrom zu gehen“, sagte die Präsidentin des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV). Dem DSV geht es in erster Linie um Spektakel, um gute Stimmung unter den 5500 Zuschauern, um öffentliche Wahrnehmung. Gemessen an der Größe des Projekts gebe es auch „kein größeres finanzielles Risiko“, sagt DSV-Sprecher Harald Gehring. Offizielle Zahlen zum Gesamtbudget will er jedoch nicht nennen.
Verwirbelungen auf den Außenbahnen
Zumindest optisch macht die Location schon jetzt Eindruck. Wie sich die Radrennbahn um das Becken schmiegt, wie sich die Tribüne für die Athleten aus dem Boden erhebt, „das sieht schon gut aus“, sagt Dietmar Burger. Obwohl der Veranstaltungstechniker und sein Team seit Wochen und Monaten planen, steht ihnen der spannendste Augenblick noch bevor: Am Dienstag soll das Becken so weit vorbereitet sein, dass es befüllt werden kann. „Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ein Gartenschlauch für diese Wassermassen nicht reicht“, sagt Burger und lacht.
Deshalb ist eigens eine Frischwasserleitung ins Velodrom gelegt worden. Nach Burgers Berechnungen soll es ziemlich genau zweieinhalb Tage dauern, die 2,5 Millionen Liter Wasser ins Becken zu pumpen. „Danach geht die Arbeit direkt weiter“, sagt Burger. Das eiskalte Wasser muss auf Wettkampftemperatur erwärmt und auf bakterielle Rückstände untersucht werden, außerdem verdunsten pro Tag 130 bis 200 Liter, die dann wieder nachgefüllt werden müssen. „Wir betreiben schon einen enormen Aufwand“, sagt Burger.
Alles im Sinne der Zuschauer und der Athleten. „Die Sportler werden ideale Voraussetzungen vorfinden“, sagt DSV-Sprecher Gehring. Um etwaigen Beschwerden vorzubeugen, haben die Organisatoren das Becken angepasst. Bei der WM 2013 hatten einige Schwimmer Verwirbelungen auf den Außenbahnen moniert, die angeblich Zeit kosteten. Deshalb ist in Berlin nun ein Pool mit zehn Bahnen installiert worden, wobei auf den äußersten gar nicht erst geschwommen wird.
„Im Moment“, sagt Dietmar Burger und schaut auf seine Uhr, „ sind wir bei 75 Prozent“, bis zum ersten Wettkampf gehen ja auch noch ein paar Tage ins Land. Und danach? „Der Aufbau ist schon stressig“, sagt der Veranstaltungstechniker, „aber der Abbau muss noch schneller gehen.“ Eine Woche Zeit bleibt den Arbeitern dafür, dann gibt es Volksmusik im Velodrom, Willkommen bei Carmen Nebel. Am Ausgang verabschiedet sich Burger freundlich, „Noch Fragen?“ Auf dem Weg zurück in die Halle bleibt er kurz stehen. Das Mobiltelefon klingelt schon wieder.
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