Willmanns Kolumne: Alle Maler gucken Fußball
Künstler machen gerne einen Bogen um die profanen Dinge des Lebens, Fußball zum Beispiel. Nicht aber die Macher der Ausstellung "The Cambridge Rules" - unser Kolumnist hat vorbeigeschaut und gelernt: Kunst ist manchmal Schmerz. Genau wie Fußball.
Wie wir Zeitungsleser wissen, befindet sich die Welt noch bis zum 13. Juli im Weltmeisterschaftstaumel. Gegenwärtig erleben wir die Minidramen der letzten Gruppenspiele. Die Galerie der Schande ist festlich geschmückt in den Farben Englands und Italiens. Aus schwer nachvollziehbaren Gründen werden Menschen gebissen, bös getreten und weggesperrt. Allen besserwisserischen Fernsehpantoffelhelden zum Trotz, blieben die Griechen im Turnier. So ist Fußball, prall, schön, schmutzig.
In den Spielpausen nehme ich armer Kerl gern ein diskretes Bad in den Schampus gefüllten Badewannen der Bourgeoise. Dort tauche ich nach braunen Scheinchen. Oder lese Albert Ostermaiers Fußball-Oden. Ostermaier ist einer der wenigen E-Künstler, die sich dem Fußball ernsthaft zuwenden. Im Gegensatz zur Konkurrenz, den Schmalspurschaffnern der U-Kunst. Der Unterhaltungskünstler, gehört er beispielsweise der Zunft musizierender Spatzenhirne an, hat zu jedem Event den passenden Schmalz parat, um unsere Ohren damit aufs schrecklichste zu malträtieren.
Auch der gemeine bildende Künstler macht gern einen großen Bogen um die profanen Dinge des Lebens. Doch es gibt einige mutige Männer, Ausnahmekünstler, die der bekannten Regel einen Riegel vorschieben. Nehmen wir beispielsweise Philip Grözinger. Der Eintracht Braunschweig Fan war der Ansicht, die WM mit einer Ausstellung zeitgenössischer Künstler zum Thema Fußball beglücken zu müssen. In Jochen Hempel, einem Bayern-München & RB-Leipzig-Fan, fand er den dazu nötigen Galeristen. Schnell waren neben dem Union Berlin Fan Moritz Schleime und dem Hertha-BSC-Fan DAG insgesamt zwölf Herren gefunden, um eine anständige Ausstellung zu arrangieren.
Nur Fußball-Fans als Künstler zugelassen
Weg von Glanz und Glitter! Zurück zu den Werten des echten Fußballs. Unter diesem Motto steht The Cambridge Rules, so der programmatische Titel der Ausstellung. Alle beteiligten Künstler mussten Fußball gespielt haben, den Fußball lieben und möglichst noch immer kicken. Ein pfiffiger Gedanke, nur wer auf dem Platz den Geist unseres Sports gespürt hat, weiß, was er tut. Die Kraft des Amateurfußballs, nicht das korrupte Blattersystem, thematisieren die Arbeiten.
Gleich am Eingang empfängt mich eine Vielzahl kleinformatiger Fotoarbeiten. Überragende Momentaufnahmen des Berliner Amateurfußballs. Ian Stenhouse, Fotograf und Herausgeber des englischsprachigen Fußballmagazins No Dice, ist ein Fachmann der empfindsamen Fußballfotografie. Die Wand gegenüber - ein Glanzstück Philip Grözingers. Ein Eigendorfkunstwerk. Lutz Eigendorf war ein einstiger Klassekicker des BFC Dynamo. In den Westen geflüchtet. Von Erich Mielke zum Abschuss freigegeben. Zu Eintracht Braunschweig gegangen. Bei einem mysteriösen Autounfall gestorben. In einem Alfa GTV6. Grözinger hat sich die Motorhaube eines baugleichen Alfas besorgt. Und darauf das Todesdatum Eigendorfs in mehrstündiger Arbeit eingefräst.
"Ein Loblied auf den Fußball, nicht auf den verfickten FIFAkack!"
Besonders viele Maler sind Fußballer. Ob es am Terpentin liegt? Oder weil sie die letzten richtigen Männer in der Kunstwelt, bzw. in der richtigen Welt sind? Moritz Schleime ist einer der größten noch lebenden Fußballmaler der Welt. Sein großformatiges Bild Brazil spiegelt all die Schmerzen wieder, die ein denkender und fühlender Mensch empfindet, wenn er die Umstände der gegenwärtigen WM in Brasilien beobachtet. Sein Bild ist: „Ein Loblied auf den Fußball, nicht auf den verfickten FIFAkack!“ Als er es malte, hörte er viele hundert Mal hintereinander des Song Brazil von Antonio Charles Jobim. Jobim ist der Peter Alexander Brasiliens. Kunst ist manchmal Schmerz.
Schmerz empfinden die Maler gegenwärtig gelegentlich bei Lahms Fußballspiel. Und sie haben eine Idee parat: „Wir haben verkrustete Strukturen, wo jeder jeden aus dem Sandkasten kennt. Klopp, Lieberknecht oder Tuchel als Bundestrainer nur für die WM verpflichten, zwei Wochen Eingewöhnung und alle würden ihren BuTrai lieben. Starrheit aufbrechen. Jogi reicht für die Quali, danach zurück ins zweite Glied. Jogi ist 80er Jahre-Raufaser, DFB-Krampf, zu verkopft. Raus aus der Kaserne, muss man immer nur einen Stil pflegen? Wir brauchen mehr Geilheit, Spaß zurück! Denken nur an das Jetzt!“
Ich lerne: Maler sagen Jeff statt Sepp
Grözinger und Schleime wissen, was sie tun, ihre Botschaft ist klar: Maler sind nicht untenrum rasiert, alle Maler gucken Fußball, können außerordentlich gut Phrasen zur Kunst dreschen. Ich lerne: Maler sagen Jeff statt Sepp. Sie hassen Jeff Blatter. Weil sie an die tausend toten Bauarbeiter in Katar denken müssen, wenn sie Blatter sehen. Und all jene, die Demokratie in Brasilien weggrätschen. Vielleicht müsste man die WM boykottieren, auf die Straße gehen. Auf alle bisherigen Weltmeisterschaften hatten sich die Maler bisher lange vorher gefreut. Diesmal nicht.
Herthafans sind schlechte Maler. Union- und Braunschweigfans sehr gute. Warum? Weil sie geprägt sind von Auf – und Abstiegen, dauerndem Leid und nie endender Pein.
Moritz Schleime wollte eigentlich Fußballstar werden. Es reichte in der Jugend bis zum NSC Sperber, zusammen mit Pierre Littbarski, danach Rotation Mauerpark, immer 1. Mannschaft. Sein Leben besteht zu 80% aus Fußball und zu 20% aus Kunst. Moritz malt während der WM nicht. Auch in der Bundesligasaison hat er wenig Zeit. Von Freitag bis Mittwoch ruht der Pinsel. Wegen Fußball. Wenn er dann am Donnerstag noch selber spielt, wird es gelegentlich sehr eng mit der Malerei. Deshalb ist Kurator und Mitkünstler Grözinger auch besonders begeistert von Schleimes zwei Gemälden, die seine Ausstellung zieren. Das zweite Bild, eine Art Portrait mit flinken, schriftlichen Botschaften Drumherum, gefällt mir nicht so. Schleime meint, er wurde beim Malen des Bildes von Uwe Karsten Günther gefoult. Außerdem müsse es neben guten Bildern auch schlechte Bilder geben. „Laßt doch einfach mal ein Scheißbild hängen. Interessant ist die Struktur, wie man rangeht. So wie es beim Fußball auch Scheißspiele gibt. Und Scheißspieler.“
The Cambridge Rules, noch bis zum 10.Juli, Galerie Jochen Hempel, Lindenstrasse 35, 10969 Berlin, Öffnungszeiten Dienstag – Freitag von 11 – 18 Uhr.