WM 2014: Philipp Lahm - der Streber: Grenzenlos gut oder überschätzt?
Seine Karriere verlief konstant brillant, von der E-Jugend an. Es gibt eigentlich nichts, was man Philipp Lahm vorwerfen kann. Es sei denn, wir alle wollten nicht sehen, dass er sich mit seiner Rolle im Mittelfeld selbst überschätzen könnte. Was sagen Sie, liebe Leser?
Philipp Lahm ist ein einziger Superlativ. "Der intelligenteste Spieler, den ich jemals trainiert habe", hat etwa Pep Guardiola, sein Trainer beim FC Bayern, über ihn gesagt. Seine Karriere ist schon deshalb außergewöhnlich, weil sie so konstant brillant verlief. Philipp Lahm spielt seit seinem zehnten Lebensjahr in einer "Leistungsmannschaft". Das fing in der E-Jugend an und hörte im Prinzip nicht mehr auf. Er ist 1,70, aber er kann körperlich und fußballerisch große Spieler ausschalten, Ronaldo, Ibrahimovic - eigentlich alle. Es gibt eigentlich nichts, was gegen Philipp Lahm spricht. Und trotzdem, das hat er einmal selbst zugegeben, ist er mehr "Streber als Rebell".
Auch das spricht überhaupt nicht gegen seine fußballerische Klasse, nicht gegen seine Person, und doch könnte dieses in ihm wohnende Strebertum, dieser doch sehr große Ehrgeiz, den man zwar haben muss, um "top top top" (Guardiola) zu sein, ihn daran hindern, seine eigenen Grenzen zu erkennen. Lahm sieht sich selbst nicht nur als Fußball-Profi, sondern als ein Anführer, der verpflichtet ist, das auszusprechen, was im Sinne des Großen und Ganzen ist, im Sinne seines FC Bayern oder im Sinne der Nationalmannschaft.
So hat er beispielsweise sein legendäres Interview in der "Süddeutschen Zeitung" begründet, mit dem er damals seinem Trainer Louis van Gaal zur Seite gesprungen ist und vom Verein verlangt hatte, dass man endlich auch ein System, van Gaals System, dauerhaft implementieren müsse. Das Interview, für das er 50 000 Euro Geldstrafe zahlen musste, hat ihn später nicht daran gehindert, den Klub bei der Absetzung des Trainers van Gaal ebenso zu unterstützen.
Wenn Lahm also aneckt, eckt er sehr berechnend an, genau überlegt, alle Folgen abschätzend. Nicht anders hat er sich verhalten, als es um die Kapitänsbinde in der Nationalmannschaft ging und gegen Michael Ballack. Streberhaft gut, nicht rebellisch emotional.
In seinem Buch "Der feine Unterschied" gibt es einige Passagen, in denen einem der Atem stockt. Der korrekte und freundliche Philipp Lahm urteilt beispielsweise in einer Schärfe über die Trainer Jürgen Klinsmann und Rudi Völler, wie man es nicht für möglich halten würde, wenn doch alle Beteiligten noch im großen Fußball-Kreislauf aktiv sind. Vorab gedruckt in der "Bild"-Zeitung. Vor allem die Passagen über die EM 2004 und Völlers Leistungen als Trainer sind niederschmetternd negativ. Auch hier hat Philipp Lahm ganz bestimmt Recht, keine Frage, aber man bekommt ein wenig das Fremdschämen, weil man sich fragt, ob es nicht hätte eleganter gehen können mit der Kritik.
Nun hat Pep Guardiola, sein Trainer beim FC Bayern München, Philipp Lahm in der vergangenen Saison, wie alle wissen, ins Mittelfeld beordert, was übrigens Bundestrainer Jogi Löw auch schon vor dem Bayern-Trainer mal ausprobiert hatte. Und natürlich hat Lahm, denn genau deshalb wird sein Spiel ja als intelligent bezeichnet, diese Aufgabe - meist - sehr gut erfüllt. Ein Spieler mit seiner Spielintelligenz kann auf dieser Position nicht wirklich schlecht spielen. Aber nun stellt sich die Frage, und ausgerechnet der Buhmann unter den Trainern, Christoph Daum, hat das gerade ausgesprochen, ob er nicht sein vollständiges Potenzial dann doch eher als Verteidiger abrufen könne.
Zufällig, als wäre es abgesprochen, meldete sich auch Chelseas-Trainer José Mourinho zu Wort und sagte den schönen Satz: "Ich liebe Philipp Lahm - als Rechtsverteidiger." Man würde jetzt sehr sehr gerne Menschen wie Hermann Gerland oder Felix Magath hören, Trainer, die in der Karriere von Lahm eine wichtige Rolle gespielt haben. Aber selbst wenn sie etwas sagen würden, öffentlich würden sie natürlich ihrem Lieblingsschüler nicht in den Rücken fallen. Sie würden also wohl sagen, dass ein Philipp Lahm selbstverständlich im Mittelfeld sehr gut aufgehoben sei und das Spiel der eigenen Mannschaft bestimmen kann, führen also.
Und doch bleiben da Zweifel, ob er spielen kann wie einst, nicht bei dieser WM in Brasilien, Xavi und Iniesta, diese Art der Führung ist es ja, die man von ihm erwartet. Er wird denken, dass er das kann. Oder gibt es nicht doch Grenzen, die es jetzt ratsamer erscheinen lassen, trotz aller völlig unzweifelhafter Verdienste und seines absolut herausragenden Könnens, dass er rechts in der Verteidigung besser aufgehoben wäre. Lahm sagt immer, er spiele da, wo ihn der Trainer hinstellt. Aber das stimmt in letzter Zeit eben nicht mehr, im letzten Jahr hat er immer betont, dass er sich schon sehr gerne auch im Mittelfeld sieht.
Denn machen wir uns nichts vor, im Mittelfeld spielen die Alleskönner, die Strategen, die Klugen - und so sieht sich Lahm. Selbst ein Polterer und Ego-Shooter wie Daum drückt es vorsichtig, zurückhaltend aus, aber er sagt: "Aber im Hinblick auf die Alternativen und die Frage, wo ein Spieler einer Mannschaft vielleicht noch mehr helfen könnte, müsste man überlegen, ob Philipp außen nicht besser aufgehoben wäre."
Vielleicht ist diese ganze Diskussion auch völlig unsinnig, weil ein sehr, sehr guter Spieler eben auf vielen Positionen immer noch mindestens ein sehr guter Spieler ist. Aber vielleicht, und das kann nur Philipp Lahm selbst herausfinden, überschätzt er sich einfach. Und wir alle ihn. Dann aber können wir vielleicht nicht Weltmeister werden. Dort, auf seiner Position, brauchen wir womöglich doch eher einen, der auch den Rebell kann. Den wahren Anführer.