French Open im Tennis: Alexander Zverev will das nächste Level erreichen
Alexander Zverev will bei den French Open zeigen, dass er auch bei großen Turnieren großes Tennis spielen kann. Heute schlägt er erstmals in Paris auf.
Es gibt Dinge, die mag Alexander Zverev überhaupt nicht. Fragen zu seinem bisher dürftigen Abschneiden bei Grand-Slam-Turnieren zum Beispiel. Dann kann der 21 Jahre alte deutsche Tennisstar auch mal genervt reagieren. Denn nicht nur für ihn ist der große Wurf bei den wichtigsten Turnieren der Welt eigentlich überfällig. „Wenn er in den nächsten Jahren bei den Grand Slams keine guten Resultate erzielt, könnt ihr zu mir kommen und sagen: ,Du hast keine Ahnung von Tennis.’ Aber ich glaube nicht, dass das passieren wird“, sagte Rafael Nadal kürzlich in Rom. Da hatte der beste Sandplatzspieler der Tennisgeschichte gerade mit viel Mühe und ein bisschen Unterstützung durch den Wettergott gegen Zverev das Finale gewonnen.
Bei den am Sonntag beginnenden French Open hat Alexander Zverev die nächste Chance, sich selbst und der Tenniswelt zu beweisen, dass er auch dann erfolgreich sein kann, wenn die Anforderungen an Kopf und Körper noch etwas größer sind. Dabei hätte die Vorbereitung auf den Höhepunkt der Sandplatzsaison 2018 für ihn nicht besser laufen können. Zuletzt erreichte er nacheinander die Endspiele von München, Madrid und eben Rom, wobei er nur in Italiens Hauptstadt anschließend nicht den Siegerpokal in die Höhe stemmen durfte. „Hinter mir liegen drei unglaubliche Wochen. Daher nehme ich viel Positives mit nach Paris“, sagte Zverev nach dem nur knapp verlorenen Duell mit Nadal vor einer Woche.
Dank seiner Leistungen ist er in Roland Garros an Nummer zwei gesetzt – der erstmalige Vorstoß in die zweite Woche von Paris ist das Minimalziel. Und es ist das, was die deutsche Tennisgemeinde von ihrem Spitzenspieler erwartet. Andererseits sind die Fans vorgewarnt. Auch bei den US Open 2017 war das Feld für Zverev offen, das Aus kam dann aber schon in Runde zwei. In Melbourne folgte Anfang des Jahres eine Drittrunden-Niederlage, danach sprach Zverev selbst davon, sich zu viel Druck zu machen. Zuletzt klang das allerdings schon wieder anders: „Ich bin 21 Jahre alt, die meisten waren älter, als sie ihr erstes Grand-Slam-Turnier gewannen. Ich habe noch Zeit. Ich glaube, da läuft nichts falsch“, sagte er vor ein paar Tagen in der Welt am Sonntag.
Bei den French Open startet Zverev zum zwölften Mal bei einem Grand-Slam-Turnier im Hauptfeld. Zum Vergleich: Boris Becker gewann den ersten großen Titel schon im fünften Anlauf, Michael Stich im zehnten. Zverev hat es bisher nur einmal in ein Achtelfinale geschafft, im Vorjahr in Wimbledon. Seine Grand-Slam-Bilanz von 14 Siegen und elf Niederlagen ist dürftig. „Man braucht einfach eine gewisse Routine. Das ist das Hauptproblem. Die Klasse hat er“, sagte Becker zuletzt bei Eurosport. Der Tennischef der deutschen Männer hält viel von Zverev, jüngst lobte er ihn bei der Verleihung des Iphitos-Awards in München geradezu überschwänglich mit den Worten: „Du bist ein Tennis-Diamant, der wirklich noch geschliffen werden muss.“
Vater Alexander Zverev Senior ist für seinen Sohn "der beste Trainer aller Zeiten"
Für diese Schleiferei zuständig ist derzeit wieder hauptsächlich Alexander Zverev Senior. So wie das eigentlich immer der Fall war in der Familie. Mit Juan Carlos Ferrero hatten sich die Zverevs zwischenzeitlich für einen Coach mit großer Spielervergangenheit entschieden, aber es passte nicht. Ferrero musste nach wenigen Monaten aufgrund von Differenzen mit dem Team wieder gehen. Danach wurde über Becker und Ivan Lendl als mögliche Trainer spekuliert, aber Zverev sieht für Input von außen derzeit keinen Grund. Sein Vater ist für ihn „der beste Trainer aller Zeiten. Ich kann mir keinen besseren vorstellen.“
Kein Wunder, denn bei den Zverevs drehte sich immer alles nur um Tennis. Vater Alexander Senior und Mutter Irina waren Spitzenspieler in der Sowjetunion. 1991 siedelten sie nach Deutschland über, der jüngste Sohn wurde in Hamburg geboren. Am Vortag seiner Geburt hat die hochschwangere Irina noch auf dem Court mit dem älteren Sohn Mischa Bälle geschlagen, vier weitere Tage danach machte der kleine Alexander erstmals Bekanntschaft mit einem Tennisplatz. Dass er später selbst zum Schläger greifen würde, war vorgezeichnet, auch wenn er es zwischendurch mal mit Hockey und Fußball versucht hatte. Nach dem Schulabschluss reiste er mit Mutter, Vater und Bruder durch die Welt, immer drehte sich dabei alles um den Sport. Im Winter trainierte die Familie in Florida oder Australien, als er 18 war, siedelten die Zverevs nach Monaco über. Trotzdem sagte Alexander Zverev in der Welt am Sonntag: „Deutschland wird auch immer meine Heimat bleiben, wir Tennisspieler haben so etwas ja eigentlich nicht, wir sind elf Monate im Jahr dauernd unterwegs, da ist so ein Anker wichtig.“
Deutschland tut sich allerdings noch schwer mit dem neuen Tennishelden. Die Begeisterung, wieder einen absoluten Topspieler präsentieren zu können, hält sich außerhalb der Szene in Grenzen. Auch weil Zverev nicht immer gut beraten wirkte. Passte ihm der Davis Cup nicht in den Plan, sagte er seine Teilnahme ab. Auch bei Olympia 2016 trat er nicht für Deutschland an und sein Heimatturnier in Hamburg lässt er auch in diesem Jahr links liegen, obwohl ihm Turnierdirektor Michael Stich hier 2013 den ersten Start in einem Hauptfeld einer ATP-Veranstaltung überhaupt ermöglichte. Sportlich ist das nachvollziehbar, denn nach der Rasen- und vor der Hartplatzsaison noch einmal ein Sandplatzturnier zu bestreiten, ist gerade für einen Spitzenspieler nicht sinnvoll. Sympathien, erst recht zuhause, gewinnt Zverev damit kaum.
Die Zverevs denken aber ohnehin längst in größeren Dimensionen. Weltranglistenplatz eins, ein Grand-Slam-Titel, gern auch der Davis-Cup-Sieg – das sind die Ziele, die als nächstes angepeilt werden. Die Karriere wirkt seit Jahren durchgetaktet. Ganz anders als einst bei Boris Becker, der beinahe aus dem Nichts die Herzen der Deutschen gewann. Mit dem die ganze Nation mitfieberte, auch weil er etwas Neues, einzigartig Spontanes verkörperte. Und weil sein Spiel mitriss. Allerdings war es nicht gemacht für die Sandplätze dieser Welt. Becker gewann in seiner Karriere nie einen Titel auf Asche. In dieser Hinsicht ist Alexander Zverev schon jetzt deutlich erfolgreicher. Vier seiner acht Turniersiege feierte er auf dem langsamsten Belag im Tennis. Das liegt auch daran, dass die Unterschiede auf den Courts dieser Welt nicht mehr so groß sind wie zu Beckers Zeiten. Und so spielt die aktuelle Profi-Generation auch mehr oder weniger gleich.
"Wir können froh sein im deutschen Tennis, dass wir ihn haben", sagte Boris Becker
Zverev ist folglich ein typisches Produkt der Entwicklung im Tennis. Anders als früher ist dauerhafter Erfolg nur mit knallharten Schlägen von der Grundlinie möglich. Die beherrscht Zverev nahezu perfekt, gerade seine beidhändige Rückhand ist schon jetzt eine der besten auf der gesamten Tour. Dazu kommt ein krachender Aufschlag, der dank seiner Körpergröße von 1,98 Meter eine echte Waffe ist. An seiner Vorhand und am Spiel am Netz muss Zverev noch arbeiten. Er tut das mit Fleiß und Akribie und wird diese Schwächen sehr wahrscheinlich irgendwann abstellen können. Ob das allerdings auch für das Feingeistige, das Überraschungsmoment gilt, ist schon fraglicher. Zumindest im Moment geht beides Zverevs Spiel noch ab.
Zverev droht in die gleiche Falle zu tappen wie Novak Djokovic oder Andy Murray, die auch wegen ihrer Art Tennis zu spielen, nie ganz die Popularität von Roger Federer oder Rafael Nadal erreicht haben, weil sich ihr Stil kaum abhebt von dem der Masse. Dazu wirkt Zverev auf dem Tennisplatz eher verbissen. Der Schläger fliegt – gerade wenn es nicht läuft – gern mal zu Boden, Diskussionen mit Schiedsrichtern sind ebenso keine Seltenheit. Stöbert man ein bisschen in englischsprachigen Tennisforen im Internet, so wird Zverev dies von nicht wenigen Nutzern als Arroganz ausgelegt.
Für Boris Becker ist dennoch klar: „Wir können froh sein im deutschen Tennis, dass wir ihn haben.“ Zumal Zverev mit gerade einmal 21 Jahren erst am Anfang seiner Karriere steht. In Paris kann er in den nächsten zwei Wochen viel für sein Image tun, denn letztlich zählt der Erfolg auf dem Platz. Und Zverev kann zeigen, dass er aus Fehlern gelernt hat.
Auch im Vorjahr kam er mit der Empfehlung einer starken Sandplatzsaison nach Frankreich, damals sogar als Turniersieger von Rom. Dann aber unterlief ihm in seinem Erstrundenmatch etwas, was der einstige Weltranglistenerste und dreifache French-Open-Champion Mats Wilander später als „Anfängerfehler“ bezeichnete. Nachdem Zverev gegen Fernando Verdasco zum 1:1 nach Sätzen ausgeglichen hatte, setzte der routinierte Spanier beim Schiedsrichter die Unterbrechung des Spiels aufgrund von Dunkelheit durch – dabei war es gerade erst kurz nach halb neun. Wilander nannte die Entscheidung damals „lächerlich“ und kritisierte Zverev: „Er hätte darauf drängen müssen, das Spiel fortzusetzen.“ Am nächsten Tag holte sich der 33 Jahre alte Verdasco die Sätze drei und vier und beendete das Turnier von Alexander Zverev, bevor es richtig begonnen hatte.
Noch einmal wird sich der Deutsche kaum so vorführen lassen wollen. Und die Auslosung hat es in diesem Jahr auch deutlich besser mit ihm gemeint. In der ersten Runde trifft Zverev auf den Litauer Ricardas Berankis (siehe Kasten). Der 27-Jährige steht in der Weltranglisteauf Position 92 – bei den French Open hat er in seiner Karriere noch nie ein Match im Hauptfeld gewonnen. Normalerweise ist Berankis also kein Gegner für einen Alexander Zverev in dessen aktueller Form. Die dicken Brocken lauern erst in der zweiten Woche, im Viertelfinale womöglich der Österreicher Dominic Thiem.
„Ich weiß, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ich bei den Grand Slams weit komme“, sagte Zverev vor ein paar Wochen in München. Die Chancen, dass das bei den French Open 2018 endlich klappt, stehen so schlecht nicht.