Deutschlands große Tennishoffnung: Alexander Zverev - der Missverstandene
Alexander Zverev ist in der Weltspitze des Tennis angekommen – ihm fehlt jedoch die Anerkennung in seiner deutschen Heimat.
Alexander Zverev rollt mit den Augen, lächelt gequält und sagt genervt: „Ich verstehe nicht, warum sich bei mir immer alles auf die schlechten Dinge konzentrieren muss?“ Stattdessen würde der deutsche Tennisstar lieber über positive Sachen sprechen. Zum Beispiel über den Laver Cup in Prag, bei dem er das Team Europa vertritt. Er ist der jüngste Spieler seiner Mannschaft und sitzt Seite an Seite mit Roger Federer und Rafael Nadal. Zverev gehört dazu, zu den Besten der Welt. „Einfach nur mit diesen Spielern zusammen zu sein, ist fantastisch. Sie erzählen so viele tolle Geschichten, nicht nur über Tennis. Da macht es Spaß, dabei zu sein“, sagt er. Dabei strahlen seine Augen und sein Lachen kommt von Herzen.
Weniger Spaß bereiten dem 20-Jährigen die Schlagzeilen in der Heimat. Die „Bild“-Zeitung erklärte ihn kürzlich zum „Davis-Cup-Verräter“, weil er vor dem Abstiegsspiel der deutschen Tennis-Nationalmannschaft in Portugal mal wieder auf eine Teilnahme verzichtet hatte. Dieses Thema holt ihn auch in Prag wieder ein. Und so sagt er: „Klar verstehe ich die Kritik. Ich muss aber auch an mich und meine Ziele denken.“ Seine Ziele sind allerdings nicht immer so einfach zu durchschauen, denn Zverev sagt auch: „Ich hätte schon sehr gerne gespielt. Aber die Leute, mit denen ich arbeite, waren vielleicht ein bisschen dagegen.“ Was sind nun seine Ziele und was die der „Leute“ um ihn herum?
Sein Team um Vater und Coach Alexander Zverev Senior und den chilenischen Manager Patricio Apey hat klar definierte Karrierepläne. Zverev soll zu einer internationalen Marke aufgebaut werden. Da ist es strategisch bedeutsam, beim Laver Cup anzutreten. Der neue Mannschaftswettbewerb, bei dem das Europa-Team eine Weltauswahl am Ende 15:9 bezwang, mag sportlich noch keinen großen Wert haben, dafür ist Aufmerksamkeit garantiert. Fernsehstationen aus vielen Nationen übertragen das Turnier, vom Davis Cup vor einer Woche zwischen Portugal und Deutschland gab es in Deutschland nur einen Livestream im Internet.
Zverev sieht in den Schuldigen die Medien
Zverev wirkt hin- und hergerissen und die Schuldigen für die ganzen Diskussionen um seine Person sieht er in den Medien. „Es gibt immer Kritik von euch, egal was ich mache“, sagt er fast schon trotzig. So ein bisschen erinnert der junge Mann aus Hamburg damit an einen etwas älteren aus Leimen.
Auch Boris Becker hat in Deutschland ein ganz anderes Image als in der restlichen Welt. Wie Boris Becker fühlt sich Zverev offenbar missverstanden von seinen Landsleuten – nur, dass dies schon jetzt der Fall ist, wo er doch seine sportliche Karriere noch fast in Gänze vor sich hat.
Über das Potenzial des Tennisspielers Alexander Zverev, den alle nur „Sascha“ nennen, gibt es seit Jahren eine einhellige Meinung. Ob Federer, Becker oder zuletzt Rod Laver – alle trauen sie ihm zu, irgendwann einmal ganz oben zu stehen. Bei den Fans in Prag rangiert er in Sachen Beliebtheit allerdings derzeit noch hinter seinen spielenden Kollegen Federer, Nadal oder dem Lokalheroen Tomas Berdych. Aber das ist kein Wunder und Zverev versteht es auch, mit den Zuschauern zu spielen. Als während seines Sieges am Freitagabend gegen den 18-Jährigen Kanadier Denis Shapovalov (7:6, 7:6) urplötzlich Beifall aufbrandet in der Arena, weil Roger Federer auf dem Videowürfel eingeblendet wird, hebt Zverev die Arme und animiert die Zuschauer noch lauter zu werden. Die Geste kommt gut an, Zverev grinst vergnügt und hat die Lacher aller in der Halle auf seiner Seite.
Zverev weiß: Die Zeit läuft für ihn
In diesem Jahr hat der Deutsche eine Matchbilanz von 47 Siegen bei nur 15 Niederlagen. Er hat fünf Turniere gewonnen und steht in der Weltrangliste als Vierter so gut da wie noch nie. Alexander Zverev hat den Durchbruch geschafft. Er selbst spricht von einem „unglaublichen Jahr“. Nur bei den Grand-Slam-Turnieren wollte es nicht so recht laufen für ihn. „Natürlich wollte ich da besser spielen, aber Roger Federer ist in seinem ersten Jahr in den Top Ten auch nicht über die vierte Runde bei den Grand Slams hinausgekommen. Heute gilt er als bester Spieler aller Zeiten“, sagt er. Tatsächlich wurde dem Schweizer seinerzeit eine Blockade für die wichtigen Turniere unterstellt – aus heutiger Sicht eine durchaus amüsante Diagnose. Zverev weiß, dass die Zeit für ihn spricht. Federer ist in diesem Jahr 36 geworden, auch Nadal und die derzeit verletzten Novak Djokovic, Andy Murray und Stan Wawrinka sind jenseits der 30.
Veranstaltungen wie der Laver Cup, bei dem Zverev am Sonntag auch sein zweites Einzel gegen Sam Querrey 6:4, 6:4 gewinnen konnte, dürften Zverev dabei helfen, sich in der Weltspitze zu etablieren. In seinen Matches in Prag erhält er nicht nur Tipps vom europäischen Kapitän Björn Borg, auch Roger Federer tritt während eines Seitenwechsels im Spiel gegen Shapovalov vor und gibt Ratschläge. „Wir haben hier so viele große Spieler und große Spieler sehen manchmal ganz andere Sachen“, erklärt Alexander Zverev.
Spielt er wie den ganzen Samstag über nicht selbst, sitzt er als Cheerleader auf der Spielercouch. Bei Punkten für Europa springt Alexander Zverev mit den Kollegen auf, klatscht ab und strahlt. Es sind dies Momente, in denen er sich unter Gleichen fühlt, akzeptiert, dazugehörig und verstanden. Bis er auch von den Deutschen so richtig verstanden wird, braucht es aber wohl noch ein bisschen. Sportliche Erfolge sind dafür die Grundlage. Manchmal gehört dazu aber auch die Einsicht, dass jeder selbst für seine Entscheidungen verantwortlich ist.