100 Jahre Frauen in der Stadtpolitik: Wo stehen die Frauen in Potsdam heute?
1919 wurden erstmals Frauen in Potsdams Stadtparlament gewählt. Potsdamerinnen diskutierten über den Stand der Dinge heute.
Potsdam - „Ja, wo sind sie denn? Es gibt ja überhaupt keine. Wo sind sie die qualifizierten Frauen?“ Mit solchen ironischen Fragen brachten die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion am Montagabend im Museum Barberini wohl am besten zur Sprache, woran es in puncto Gleichberechtigung bei der Besetzung von Spitzenpositionen noch immer hapert: Dass angeblich keine geeigneten Frauen zur Verfügung stünden. „Wo sind sie denn?“, rief Bettina Jahnke, Intendantin des Potsdamer Hans Otto Theaters, wiederholt in Richtung Publikum.
Es erinnerte ein bisschen an Loriots Sketch „Auf der Rennbahn“, in dem ein Zuschauer mittels Fernglas versucht, das Pferderennen zu verfolgen und dabei immer wieder fragt „Wo laufen sie denn?“. Dabei bewegen sich die Tiere direkt vor seiner Nase. Dass zwischen dem angeblichen Mangel an qualifizierten Frauen und dem in der Realität großen weiblichen Potenzial in vielen Bereichen eine riesige Lücke klafft, darin waren sich die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion einig.
Frauen werde heute immer noch weniger zugetraut als Männern
Diese fand am Montagabend unter dem Titel „Uns gehört die Hälfte der Welt“ im Rahmen eines Festaktes zum Gedenken an die ersten sechs weiblichen Abgeordneten statt, die vor 100 Jahren, am 18. März 1919, erstmals an einer Sitzung des Potsdamer Stadtparlaments teilnahmen – an jenem Ort, wo sich heute das Museum Barberini befindet.
Die vier Teilnehmerinnen auf dem Podium berichteten von ihren Erfahrungen in der Arbeitswelt. Frauen, insbesondere in Führungspositionen, werde oft weniger zugetraut als Männern, so eine Beobachtung von Bettina Jahnke. In der Theaterwelt herrsche immer noch die Meinung: „Die Frauen machen die Kinderstücke. Das haben die im Blut. Aber Faust, das muss ein Mann machen.“ Es gebe viele Vorurteile, so Jahnke. Dabei sei der Nachwuchs vorwiegend weiblich. „Wir, die in den Entscheidungspositionen sitzen, müssen den Frauennachwuchs fördern.“
"Da ist noch viel zu tun"
Dass Führungspositionen oft noch vorwiegend mit Männern besetzt werden, erlebt auch Brigitte Faber-Schmidt, Geschäftsführerin der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte gGmbH, zuständig für die Veranstaltungen der Marke „Kulturland Brandenburg“. „Da ist noch viel zu tun“, sagte sie. Das bestätigte auch Ulrike Gutheil, Staatssekretärin am Brandenburger Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, für den Wissenschaftsbereich. Je weiter man nach oben wandere, desto weniger treffe man Professorinnen, sagte sie. „Die Zahlen sind weiterhin unterirdisch schlecht.“
Das hänge zumeist von den Entscheidern ab. Man müsse die Institutionen daher besser durchdringen, neue Verfahren einführen, um das zu ändern. Denkbar sei auch, künftige Fördergelder an Gleichberechtigung in den Institutionen zu knüpfen, schlug sie vor.
Verstehen lässt sich nicht, warum Frauen vor allem in Führungspositionen unterbesetzt sind, wie Brigitte Faber-Schmidt vorrechnete. Gerade einmal ein Drittel der Stellen bei ihrem Arbeitgeber seien von Männern besetzt. „Die Frauen waren immer besser qualifiziert“, begründete sie. Die Leitung der gGmbH sei paritätisch besetzt.
Das Leben der sechs ersten Stadtpolitikerinnen erforscht
Auf dem Podium saß auch Barbara Diederich, Urenkelin von Elsa Bauer, die 1928 ins Potsdamer Stadtparlament gewählt wurde. Die Geschichte von Elsa Bauer, die später als erste Frau das Amt der Vizepräsidentin des Brandenburger Landtags übernahm, sowie der ersten sechs weiblichen Abgeordneten in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung hat die Ethnologin Jeanette Toussaint umfassend erforscht.
Außerdem kuratierte sie die Ausstellung „100 Jahre Frauenwahlrecht“ im Frauenwahllokal in der Dortustraße 22 in Potsdam. In einer historischen Einführung stellte sie Elisabeth Holmgren, Helene Krohn, Martha Schulze, Berta Beyertt, Mathilde Lange und Elisabeth Hoffmann kurz vor. In Potsdam stieg laut Toussaint der Anteil der Frauen im Stadtparlament bis 1929 auf 14 Prozent. Der Nationalsozialismus bedeutete schließlich das Ende für weibliches Engagement in der Politik.
Heute liegt der Frauenanteil in der Stadtverordnetenversammlung bei 37 Prozent. Der Trend sei aber rückläufig, sagte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). Im Potsdamer Stadtparlament gebe es sogar Fraktionen ohne Frauen, gab er zu bedenken und fand klare Worte: „Das Ziel muss Parité sein.“
"Diese sechs Frauen haben für uns den Weg in die Politik geebnet"
Auch Birgit Müller (Linke), Vorsitzende der heutigen Stadtverordnetenversammlung, erinnerte an das Verdienst der politischen Vorreiterinnen: „Diese sechs Frauen haben auch für uns den Weg in die Politik geebnet“, sagte sie. Sie erinnerte zugleich daran, dass in manch anderen Ländern erst viel später das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde.
Dennoch: Vor allem Frauen zwischen 35 und 45 Jahren mit Kindern seien heute im Stadtparlament wenig vertreten. Das müsse sich ändern, betonte sie. Es müsse Frauen leichter gemacht werden, auch mit Familie in die Politik zu gehen. „Ermutigen wir Frauen, diesen Schritt zu wagen“, sagte Müller.
Dagegen spreche schließlich nichts. Denn, wie HOT-Intendantin Jahnke betonte: „Kompetenz, das bieten wir.“
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