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Oberbürgermeister Mike Schubert: „Wir sagen nicht klar genug, wo die Grenzen sind“

Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) fordert einen härteren Umgang mit demokratiefeindlichen Aussagen der AfD. Ein Interview.

Herr Schubert, Sie haben sich in den vergangenen Wochen vehement der AfD in Potsdam entgegengestellt. Dafür sind Sie gelobt, aber auch angefeindet worden. Gab es Reaktionen, mit denen Sie nicht gerechnet haben?
Nein, die Reaktionen im Netz waren vorhersehbar. Zu den Reaktionen der AfD muss ich sagen, dass sie sich bis heute nicht ein einziges Mal direkt mit den Vorwürfen, die ich erhoben habe, auseinandergesetzt haben. Was ich bei der Debatte gut finde ist, dass der parteiübergreifende Konsens, den wir in Potsdam bei diesem Thema bisher immer hatten, auch hier besteht. 

Sie appellieren immer wieder, alle Demokraten, alle Politiker demokratischer Parteien, müssten sich Hass und Hetze entgegenstellen, besonders im Netz. Was geschieht Ihrer Beobachtung nach in den so genannten sozialen Netzwerken?
Es vergeht kein Tag mehr, ohne dass dort in Reaktion auf Artikel auch zu Potsdamer Themen angefangen wird, dem eigenen Frust freien Lauf zu lassen. Man kann sich sicher auch im Internet streiten, aber die Art und Weise des gegenseitigen Beleidigens, des Fallenlassens von sämtlichen Grenzen und gesellschaftlichen Grundwerten ist extrem – zuletzt zum Beispiel, als der rechtsextreme Aktivist Holm Teichert den Mord an Walter Lübcke mit dem Reichstagsbrand verglichen hat, was Potsdamer AfD-Mitglieder positiv bewerteten. Scheinbar sind Grenzüberschreitungen im Netz einfacher. Ich glaube aber auch, dass sie einfacher sind, weil wir sie zu lange zugelassen haben. 

Ist dort etwas außer Kontrolle geraten?
Auf jeden Fall ist das Internet kein rechtsfreier Raum, in dem man alles sagen darf. Social Media ist kein Bereich, der frei von Werten, einem vernünftigen Umgang und erst recht nicht frei von rechtlichen Grenzen sein sollte.

Was auffällt ist, dass Sie oft wörtlich zitieren, was AfD-Politiker im Internet schreiben oder welche Inhalte sie dort teilen. Hilft das nicht allein der AfD und bringt ihr mehr Aufmerksamkeit?
Nein. Wir haben uns viel zu lange nicht direkt mit dem auseinandergesetzt, was Vertreterinnen und Vertreter der AfD im Netz sagen. Grenzüberschreitungen müssen klar benannt werden, damit einem nicht unterstellt wird, dass man nur pauschal kritisiert. Es darf nicht unwidersprochen bleiben, wenn teils rassistische und nationalistische Denkweisen verbreitet werden oder Verfassungsorgane diffamiert werden. Und es sind zum Teil Aussagen, die auch bei Wählerinnen und Wählern nicht bekannt sind, weil es eine wahre Informationsflut im Internet gibt. Ich bin aber überzeugt, dass sich viele Menschen anders mit der AfD auseinandersetzen, wenn sie deren aggressive Angriffe kennen würden. Ich habe erlebt, dass ganz normale Bürger dann auch im Internet mit Kommentaren gegenhalten.

Ist die AfD eine Partei, die nach außen ein anderes Bild abgibt als in Filterblasen im Internet?
Ja, und mir geht es darum, diesen Punkt auch deutlich zu machen. Wenn ich sehe, dass es Vertreter der AfD in der Potsdamer Politik gibt, von denen man nach Veranstaltungen sagt, die können sich ja eloquent äußern, die gehen auf die Menschen ein, und die sich dann gleichzeitig mit der Identitären Bewegung treffen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft und beobachtet wird, oder solche Äußerungen von sich geben, wie wir sie gerade von unserem Alterspräsidenten der Stadtverordnetenversammlung lesen durften – dann sind das einfach keine netten, eloquenten Politiker, sondern Menschen mit zwei Gesichtern. Das muss man deutlich machen.

Das beziehen Sie auf die AfD als gesamte Partei?
Es geht um Politiker, die diese Partei repräsentieren. Wenn sich der Vorsitzende der AfD-Fraktion in Potsdam mit der Identitären Bewegung trifft, sich im Netz dafür feiern lässt, und gleichzeitig sagt, er hat mit Rechten im Land nichts zu tun, dann geht das nicht. Das sind Widersprüche, die man offenlegen muss, damit die Menschen auch wissen, wen sie da möglicherweise wählen wollen.

Dem Offenlegen steht oft eine Sprachlosigkeit im Umgang mit deutlich rassistischen und nationalistischen Äußerungen der AfD gegenüber. Woher kommt dies?
Wir haben uns, besonders was die Frage von Toleranz betrifft, in der Gesellschaft eine Diskussion aufdrücken lassen, die die Demokratie weniger wehrhaft macht. Wir sagen nicht mehr ausreichend klar und deutlich, wann Grenzen von Toleranz erreicht sind. Da, wo der Rahmen, den unser Grundgesetz gibt, verletzt wird – wenn beispielsweise zu Widerstand aufgerufen wird gegen staatliche Institutionen oder wenn die Kanzlerin als ,zum Kotzen" oder als Volksverräterin’ dargestellt wird – muss man sagen: Stopp! 

Das ist nicht ausreichend geschehen?
Das ist für mich nicht laut genug geschehen, aber vor allem nicht mit allen rechtlichen Möglichkeiten. Man muss Grenzen ziehen. 

Stichwort Überparteilichkeit: Wo verläuft die Grenze in diesen Fragen für einen politischen Mandatsträger wie Sie?
Ich bin als Oberbürgermeister dem Grundgesetz verpflichtet. Da bin ich sehr klar. Überparteilichkeit hat dort ihre Grenze, wo Verfassungsinstitutionen wie die Bundeswehr, die Kanzlerin, der Bundespräsident oder andere diffamiert werden. An dieser Stelle bin ich als gewählter Repräsentant aus meiner Sicht dann auch gefordert, deutlich zu sagen, dass Grenzen überschritten sind. 

Die AfD zu stellen, ist aber nicht immer leicht auszuhalten – es gibt Anfeindungen und Drohungen.
Sollte man es deswegen nicht machen? Ja, es ist zum Teil verletzend und bedrohlich, was da geschrieben wird. Aber es entbindet mich nicht von der Pflicht, Grenzüberschreitungen zu benennen. Wenn wir uns alle wegducken, diese Art von Auseinandersetzung nicht führen wollen, dann bleibt das unwidersprochen im Netz oder in der Diskussion stehen. Dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn Menschen sagen: Wieso Grenzüberschreitung? Man darf doch so etwas sagen! Oder auch: Man wird doch das mal sagen dürfen!

Wie hält man es aus, wenn man als Bürger, als Politiker, als Stadtverordneter angefeindet und angegriffen, vielleicht auch bedroht wird, sobald man die Auseinandersetzung sucht – besonders im Internet?
Am besten, in dem man die Öffentlichkeit sucht. Der Großteil der Menschen hat ein sehr feines Gespür dafür, wenn Grenzen überschritten werden. Aber viele wissen es einfach nicht. Ich glaube, dass viele auch bis vor kurzem nicht wussten und sich nicht vorstellen konnten, dass es in Deutschland bis auf die Ebene der Kommunalpolitik Anfeindungen und Drohungen in diesem Ausmaß gibt.

Haben sich die Drohungen gegen Sie verschärft?
Die Anfeindungen sind schon hart. Es geht dann so weit, dass gesagt wird: Forscht doch mal nach, was seine Familie früher gemacht hat! Darüber wird sich dann öffentlich ausgetauscht.

Positionieren sich Politiker nicht stark genug gegen die AfD, weil sie fürchten, Wählerinnen und Wähler dann endgültig in deren Arme zu treiben?
Es gibt diese Haltung: Wenn ich darüber rede, mache ich sie noch stärker. Ich halte das für falsch. Es muss zum einen sachliche inhaltliche Auseinandersetzung geben und zum zweiten müssen Grenzüberschreitungen als solche deutlich benannt werden. Denn wir dürfen nicht zulassen, dass das teils nationalistische Gedankengut der AfD als normal oder Mitte der Gesellschaft angesehen wird. Es darf nicht normal sein, Menschen zu verachten, zu diffamieren. 

Erreicht die Politik in der Kommune, auf der Landesebene, die Menschen, die AfD wählen würden, überhaupt noch?
Wir müssen genauso, wie die AfD im Netz in Diskussionen einsteigt, auch den Mut haben, dort gegenzuhalten. Wir können nicht nur einen Beitrag posten und dann hoffen, dass es das war. Außerdem: Wir müssen rausgehen, so wie wir es in Potsdam versuchen mit den vielen Dialogveranstaltungen in der Stadt. Das ist das direkte Gesprächsangebot in einer Zeit, in der sich Informationskultur verändert, Menschen sich sehr individuell über Politik informieren. Dafür müssen wir Angebote schaffen, damit die Leute sich informieren und ihre Meinung bilden können und dann weniger anfällig sind für ganz einfache Botschaften.

Debatten führen also jenseits der Stadtverordnetenversammlung?
Unsere Dialogveranstaltungen und Stadtteilwanderungen werden sehr gut angenommen. Wir haben immer ein sehr breites Publikum gehabt, nicht nur die üblichen Teilnehmer. Die Menschen honorieren, dass wir bereit sind, uns zu stellen in der Stadt. Und das kann man auf jeder politischen Ebene machen.

Mal ganz praktisch gefragt: Im Netz in die Diskussionen einzusteigen, ist zeitintensiv, aufwendig. Wie funktioniert das bei Ihnen – gibt es einen Stab, der das übernimmt?
Nein! Ich denke, der Weg könnte ein anderer sein: Besonders bei meiner zweiten Videobotschaft zum Thema reagierte die Potsdamer Zivilgesellschaft, setzte sich zur Wehr, Demokraten haben sich gegenseitig den Rücken gestärkt und standen zusammen an dieser Front. Man muss die Diskussion in der Breite aufnehmen.

„Wir müssen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen“ – dies ist die wohl am häufigsten gebrauchte Phrase, wenn es darum geht, was der AfD entgegenzusetzen sei.
Da bekomme ich Bauchschmerzen. Ich bin in die Politik gegangen um zu gestalten und stelle mich Diskussionen, weil ich grundsätzlich Menschen und ihre Sorgen ernst nehme. Dafür brauche ich keine AfD. Was man heute anders machen muss: Man muss immer wieder klar sagen, das einfache und schnelle Antworten, so wie sie Populisten – insbesondere die in der AfD – immer wieder vorschlagen, meist nicht zu Ende gedacht und umsetzbar sind. Die AfD gibt selten eine Antwort, was sie anders machen will, sondern sagt nur, wen sie für den jetzigen Zustand verantwortlich macht. Und hier liegt auch die Chance für die Auseinandersetzung mit der AfD. Wenn wir gegenüber dem Bürger ehrlich benennen, was geht und wie schnell, wenn wir auch bereit sind zu korrigieren, dann wird es für die AfD schwer. Das hat auch der Oberbürgermeisterwahlkampf in Potsdam gezeigt.

Was war dabei ausschlaggebend?
Die Bürger erwarten einen handlungsfähigen Staat, der die Fragen von Kita über Schule, Infrastruktur bis zu moderner Verwaltung löst. Ich nehme aber zudem wahr: Wenn man sich mit Potsdamer Bürgerinitiativen unterhält oder auch den jungen Leuten von ,Fridays for Future’, gibt es kein Desinteresse an komplizierten Lösungen. Diese Menschen sind sehr gut informiert, sehr differenziert. Wenn wir eine Partei wie die AfD, die versucht, das Vertrauen in den Staat zu schwächen, in die Schranken weisen wollen, müssen wir zeigen, dass ein starker, handlungsfähiger Staat die Probleme löst. Das macht es den Demagogen schwerer. 

Am 1. September wählt Brandenburg, Umfragen sehen die AfD als mögliche stärkste Kraft. Wird Potsdam da die große Ausnahme bilden?
Wir müssen in den nächsten Wochen weiterhin alles tun, um deutlich zu machen, was es für das Land bedeuten würde, wenn die AfD hier stärker und nicht schwächer werden würde. Es reicht nicht darauf zu schauen, dass 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Brandenburg nicht AfD wählen. Klarheit im Wahlkampf wird dazu wichtig sein und auch, den politischen Gegner in fairer Sprache zu stellen und zu zeigen, wessen Geistes Kind dort viele sind.

Inwiefern?
Wenn die AfD zum Beispiel behauptet, sie wolle die Wende von 1989 in Ostdeutschland vollenden, dann muss man klare Kante zeigen. Die, die das heute behaupten, haben mit den Idealen des Neuen Forum oder der SDP nichts zu tun. Für die Wende haben keine Nationalisten, sondern mutige Demokratinnen und Demokraten gekämpft. Diese mutigen Menschen traten nach der Wende häufig in die SPD, Bündnis 90/Grüne oder bei der CDU ein und engagieren sich seit 30 Jahren für unser Gemeinwesen in Brandenburg. Sie haben das Land aufgebaut und die AfD versucht sich, jetzt dieses Erbes zu bemächtigen. Das dürfen wir nicht zulassen.
 

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