In Interview: „Wir müssen draußen auf die Menschen zugehen“
Potsdams neue Superintendentin Angelika Zädow über ihre Pläne, ihr Ja zur Garnisonkirche und ihre Erfahrungen aus Halberstadt.
Frau Zädow, Sie stammen ursprünglich aus dem Rheinland. Haben Sie den sprichwörtlichen rheinischen Humor hier schon benötigt?
Ich bin grundsätzlich ein humorvoller Mensch. Ich glaube, dass man mit Humor im Leben viel erreichen kann. Privat und dienstlich. Aber was ist eigentlich der Grund für Ihre Frage?
Nun, Sie kommen aus einer Gegend, in der das Christentum wesentlich stärker verbreitet ist als hier.
Im Rheinland war das tatsächlich deutlich anders – auch geschichtlich gesehen. Bis zum Zweiten Weltkrieg war das Gebiet katholisch. Durch den Zuzug von Kriegsflüchtlingen kamen dann mehr Protestanten dazu, das habe ich als Jugendliche auch noch mitbekommen. Später hielten sich Katholiken und Protestanten die Waage, doch jetzt nimmt auch dort die Zahl der Christen ab. Die Zeit und die Gesellschaft haben sich geändert. Aber ich habe zuletzt ja in einem Kirchenkreis gearbeitet, wo das Christentum noch weniger verwurzelt ist.
Sie meinen Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Dort waren Sie achteinhalb Jahre lang Superintendentin.
Genau. In Halberstadt selbst sind nur sieben Prozent der Bevölkerung evangelisch, in Potsdam sind es immerhin doppelt so viel.
Wie unterscheidet sich den Ihr alter Kirchenkreis von dem neuen in Potsdam?
Kirchenkreise unterscheiden sich grundsätzlich. Ich halte das auch für einen Reichtum der Evangelischen Kirche, dass jede Gemeinde und jeder Kreis eigene Schwerpunkte setzt. Potsdam unterscheidet sich von Halberstadt vor allem in zwei Punkten. Erstens gibt es hier Stadtkirchenarbeit, die in Halberstadt nicht stattfand, einfach deswegen, weil im dortigen Kirchenkreis vor allem Kleinstädte vertreten sind. Der zweite Punkt ist die ökumenische Umweltarbeit, die gab es in Halberstadt nicht.
Und welche Gemeinsamkeiten gibt es?
In beiden Kirchenkreisen findet zum Beispiel eine ausgeprägte kirchenmusikalische Arbeit statt, was mich sehr freut.
Gibt es denn etwas, was Ihnen hier besser oder weniger gut gefällt?
Ich würde es nicht besser oder schlechter nennen, sondern anders. Jede Gemeinde, jeder Kirchenkreis hat eigene Schwerpunkte, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Das ist gut und richtig so.
Sie sind bereits im März zur neuen Superintendentin des evangelischen Kirchenkreises Potsdam gewählt worden, am Sonntag haben Sie Ihr neues Amt offiziell angetreten. Welche Begegnung, welches Erlebnis hier hat Sie in den vergangenen Monaten am meisten bewegt?
Für mich waren alle Begegnungen superspannend. Ich fand es hochinteressant, am allerersten Arbeitstag ein interreligiöses Gebet am Brandenburger Tor mitzuerleben, genauso wie am Tag danach die Amtseinführung des neuen katholischen Propstes Arnd Franke, der auch bei meiner Amtseinführung ein Grußwort halten wird.
Ist diese ökumenische Arbeit nach Ihrer Erfahrung eher ungewöhnlich?
Nein. Aber es ist besonders spannend, wenn das Gegenüber von der katholischen Kirche gleichzeitig seine Arbeit beginnt. Sehr inspirierend fand ich die vielen Begegnungen mit den Mitarbeitern hier, ich habe mich gefreut, dass ich schon vertretungsweise einen Gottesdienst abhalten konnte. Und ausgesprochen gelungen war das Festkonzert zum Tag der Deutschen Einheit in der Nikolaikirche, bei der übrigens ja eine Abordnung aus Potsdams rheinischer Partnerstadt Bonn zu Gast war, darunter ein ehemaliger Lehrer von mir.
Der Potsdamer Kirchenkreis ist der einzige in der Landeskirche, der wächst. Er profitiert aber nicht in dem Maße vom Zuzug in die Stadt, wie man glauben würde. Woran liegt das?
Zunächst einmal finde ich es sehr beruhigend, dass er überhaupt wächst, das ist schon eine gute Tendenz. Die Kirche ist natürlich herausgefordert, auch auf Menschen, die neu herziehen, zuzugehen und auch für jene eine Ansprache zu finden, die es nicht gewohnt sind, mit Religion umzugehen. Das wird eine der großen Aufgaben der Zukunft zu sein.
Und wie genau wollen Sie das machen?
Ein guter Anknüpfungspunkt scheint mir die Kircheneintrittsstelle zu sein. Die ist an der Nikolaikirche, ich könnte mir aber vorstellen, dass wir da etwas anderes ausprobieren.
Warum wollen Sie das ändern?
Weil ich glaube, dass ein Raum für einen möglichen Kircheneintritt, der sich in einem Gotteshaus befindet, bereits eine Schwelle sein kann. Stattdessen könnte man vielleicht mobil sein, draußen auf die Menschen zugehen – und nicht gleich mit dem Duktus verbunden, dass jeder sofort in die Kirche eintreten muss.
Schwebt Ihnen da ein Tourbus vor, der die Menschen missioniert?
Gar nicht mal das. Was das genau sein kann, dazu werde ich mich mit unserer zuständigen Fachfrau in der Landeskirche beraten. Im Rheinland gab es damals die Idee, mit der Eintrittsstelle zum Beispiel auf Hochzeitsmessen präsent zu sein. Das hatte dort guten Erfolg. Für Potsdam müssen auf den Kirchenkreis und die Stadt zugeschnittene Ideen entstehen.
Haben Sie schon ein Konzept, wie Sie die Menschen in Potsdam von der evangelischen Kirche überzeugen wollen?
Ein Konzept muss ja immer erst wachsen. Weil ich die Neue bin, werde ich erst einmal durch die Gemeinden reisen, mich vorstellen, mit den Menschen reden und mir ein Bild machen. Das gilt aber auch für nicht religiöse Institutionen oder Vereine. Ich gehe beispielsweise gerne zum Handball und kann mir auch gut vorstellen, gemeinsam mit den Sportverbänden etwas zu machen.
Welches ist denn Ihrer Ansicht nach das größte Problem im Potsdamer Kirchenkreis?
In jedem Kirchenkreis gibt es Dinge, die besser und die weniger gut laufen. Ich glaube, dass der Kirchenkreis hier sehr ausdifferenziert ist und der in gewisser Weise auch die Stadt Potsdam abbildet. Es gibt unterschiedliche Interessengruppen und, auch geprägt durch die Bebauung, ist die Situation etwa am Schlaatz eine andere als in der Innenstadt. Es wird eine meiner wesentlichen Aufgaben hier sein, die Neugier dieser verschiedenen Gruppen aufeinander zu wecken und zu fördern.
Etwas, das nicht nur die Stadt, sondern auch die Christen hier spaltet, ist der Wiederaufbau des Turms der Garnisonkirche. Sie haben sich bereits öffentlich zu dem umstrittenen Projekt bekannt. Warum sind Sie für den Wiederaufbau?
Weil das Projekt Menschen dazu herausfordert, eigene Positionen zu den großen Themen zu beziehen, die mit dem Wiederaufbau verbunden sind. Ich glaube, dass es gerade in dieser Zeit unglaublich wichtig ist, einmal durchzudeklinieren, was es denn heißt, sich zu versöhnen – und mit wem. Sich selbst zu fragen, was kann ich heute tun, um mit anderen Menschen gut auszukommen. Ich glaube, das Projekt bietet eine große Chance, um eine wirkliche Streitkultur zu lernen, und damit meine ich, unterschiedlichste Meinungen miteinander auszutragen und sich trotzdem auf Augenhöhe zu begegnen und einander wertzuschätzen.
Die Kritiker reiben sich ja vor allem an der braunen Geschichte der Kirche.
Ja, das ist aber nur ein Punkt. Wir haben die Vergangenheit, die mit der Garnisonkirche verbunden ist, wir haben die aktuelle Diskussionslage und wir haben die Zukunft. Diese drei zeitlichen Dimensionen in Verbindung zu bringen, ist die dritte Aufgabe, die ich mit dem Projekt in Verbindung sehe. Es wird vor allem auf die inhaltliche Arbeit ankommen.
Inhaltlich hätte man beim Versöhnungskonzept aber viel weiter sein können, ja müssen, angesichts des langen zeitlichen Vorlaufs, den es beim Wiederaufbau gab.
Das kann und will ich nicht beurteilen. Was ich aber sehr gut finde ist, dass man jetzt mit Hochdruck daran arbeitet. Es wurde ein wissenschaftlicher Beirat eingesetzt, der den ganz klaren Auftrag hat, das Ganze inhaltlich zu pushen. Ich finde es außerordentlich spannend, genau in dieser Zeit mein Amt anzutreten und daran mitzuwirken.
Als Superintendentin sind Sie qua Amt Mitglied des Kuratoriums der Garnisonkirchen-Stiftung. Was können Sie konkret dazu beitragen, die Kritiker zu überzeugen?
Ich würde Kritiker immer einladen mitzureden. Die Meinungen unterscheiden sich zwar, aber dadurch ergeben sich auch unterschiedliche Perspektiven, die dazu beitragen können, eine gute Zukunft für das Projekt zu gestalten.
Welche Schwerpunkte wollen Sie in Ihrer Arbeit hier noch setzen?
Ganz wichtig ist mir, eine Sprache zu finden, die die Menschen neugierig auf Kirche macht. Zweitens ist es Aufgabe der Kirche, auch den Finger in die Wunde zu legen – in allen gesellschaftlichen Bereichen.
Potsdam geht es insgesamt ziemlich gut. In welche Wunde würden Sie hier Ihren Finger legen?
Es ist immer ein „wir“, nicht „ihr“. Ich zeige nicht mit dem Finger auf andere und sage, ihr müsst dieses und jenes anders machen. Alle Player in der Stadt müssen an einem Strang ziehen und etwa darüber nachdenken, wie sie zur Integration beitragen können. Und zwar nicht nur jener Menschen, die aus anderen Ländern zu uns kommen, sondern auch Deutsche, die sich abgehängt fühlen von der Gesellschaft. Das gilt auch für das Aufeinanderzugehen in den sehr unterschiedlich geprägten Kirchengemeinden.
Sie sprachen das Thema Flüchtlinge bereits an. Welche Erfahrungen haben Sie aus Halberstadt mitgebracht?
Wir haben dort als Kirchenkreis sehr früh, 2014, gemeinsam mit anderen überlegt, wie wir uns vorbereiten können. Es entstand wie in Potsdam ein großes, breites Bündnis, in dem diskutiert wurde, wie wir Position beziehen, uns einbringen und helfen können. Halberstadt war Sitz der zentralen Aufnahmestelle des Landes Sachsen-Anhalt, also war die konkrete Arbeit, etwa mit Familien, mit Kindern, vor Ort ohnehin bereits stark verankert. Wir haben die Gemeinden ermutigt, besondere Formate für die Begegnung mit Flüchtlingen zu entwickeln und dafür auch Geld zur Verfügung gestellt. Die Gemeinden waren unglaublich engagiert.
Wie äußerte sich das konkret?
Eines der ersten Formate war etwa „All Together Now“, benannt nach dem Beatles- Song, bei dem Einheimische und Flüchtlinge gemeinsam Musik machten. Musik ist eine universelle Sprache, die alle Menschen verstehen und sie verbindet. Es gab Kochkurse, Patenschaften, Bring- und Holdienste wurden eingerichtet, um Flüchtlinge noch spätabends in die Aufnahmestelle zu bringen, die nicht so zentral gelegen war, Patenschaften, die den Menschen halfen, sich in unserer Kultur zurecht zu finden.
Auch in Halberstadt sahen sicher nicht alle Menschen den Zustrom von Flüchtlingen nur positiv. Wie groß war das Maß von Hass und Ablehnung?
Eher gering, wohl auch, weil wir sehr früh begonnen haben, uns vorzubereiten. Natürlich gab es Vorbehalte, die vor allem aus Angst resultierten. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, man muss sie aber ernst nehmen. Wir waren gut beraten, jedem noch so klein scheinenden Problem nachzugehen und darüber zu sprechen. Das hat, glaube ich, sehr dazu beigetragen, dass es keine Welle des Hasses in Halberstadt gegeben hat.
Wie erleben Sie die Stimmung in Potsdam?
Ich habe noch keinen Hass erlebt, nehme aber an, dass es auch hier Vorbehalte gibt. Mir ist daran gelegen, darüber zu sprechen, denn wenn man das unter den Teppich kehrt, bricht sich das irgendwann sehr heftig Bahn und das darf nicht passieren.
Ein Thema, das die Menschen weltweit bewegt, ist das ungeheure Maß an Missbrauchsfällen, vor allem in der katholischen Kirche, die jetzt erstmals auch ein Gutachten dazu vorgelegt hat. Von der evangelischen Kirche gibt es ein solches Papier bislang nicht. Warum?
Ich denke, dass alles, was mit Schuld der Kirche zusammenhängt, aufgearbeitet gehört. Leider gibt es wie in allen Institutionen auch in der Kirche Vorkommnisse, die Menschen aufs Tiefste verletzt haben und das finde ich zutiefst beschämend. Das bedarf unbedingt einer Aufarbeitung.
Wie wollen Sie mit diesem Thema hier umgehen?
Glücklicherweise gab es in Halberstadt in meiner Amtszeit keinen Fall. Ich werde aber jedem Fall nachgehen und allen möglicherweise Betroffenen als Gesprächspartnerin zur Verfügung stehen.
Ihr Vorgänger, Herr Zehner, ist nicht wieder zur Wahl aufgestellt worden, Sie haben sich vor Ablauf Ihrer Amtszeit auch rechtzeitig nach einem neuen Job umgesehen. Ist der Superintendentenstuhl so ein Schleudersitz?
(Lacht.) Die Frage bekomme ich immer wieder gestellt. Dabei ist es doch nicht ungewöhnlich, wenn man auch als Kirchenvertreterin Lust auf etwas Neues hat. Ich bin von Natur aus jemand, der neugierig ist. Schon als junge Pfarrerin ging mir das so. Ich hatte einfach Lust, nach Potsdam zu kommen. Dass ich Halberstadt nur achteinhalb Jahre im Amt war, lag einfach daran, dass solche Bewerbungsverfahren eine sehr lange Vorlaufzeit haben.
Haben Sie schon eine Lieblingskirche in Potsdam gefunden?
Nein. Jede Kirche hat ihre eigene Geschichte und ihren eigenen Reiz. Ich mag alle Baustile mit Ausnahme des Barock.
Die Garnisonkirche war eine Barockkirche.
Ja, aber nur die Fassade, nicht inhaltlich, und darauf kommt es an.
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Angelika Zädow wurde 1964 in Bonn geboren. In ihrer Geburtsstadt und in Mainz studierte sie evangelische Theologie und war anschließend als Pfarrerin in mehreren Gemeinden im Rheinland tätig. 2010 wurde Zädow Superintendentin im Kirchenkreis Halberstadt. Im März wurde sie auf der Frühjahrssynode des Kirchenkreises Potsdam zur Nachfolgerin des Superintendenten Joachim Zehner gewählt, der nicht zur Wiederwahl aufgestellt worden war. Die Theologin setzte sich dabei gegen zwei Mitbewerber durch. Gleich im ersten Wahlgang erhielt sie 34 von 60 Stimmen. Am gestrigen Sonntag wurde Zädow in der Friedenskirche offiziell in ihr Amt eingeführt.
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