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IHK-Chef Mario Tobias.
© Sebastian Gabsch

Interview | IHK-Chef Mario Tobias: „Wir erleben pure Existenzangst“

Potsdamer Unternehmen leiden unter der Coronakrise. IHK-Chef Mario Tobias spricht im Interview über die aktuelle Lage, Tipps für betroffene Firmen und notwendige Hilfen.

Potsdam - Herr Tobias, die IHK Potsdam ist der zweitgrößte Kammerbezirk in Deutschland und vertritt 78.000 Unternehmen in halb Brandenburg. Wie erleben Ihre Mitglieder die Corona-Krise?
 

Als eine absolut dramatische Situation. Wir erleben pure Existenzangst. Bei unserer Hotline melden sich Tag für Tag Hunderte, allein am ersten Tag waren es 240. Dazu kommen Hunderte von E-Mails.

Was fragen die Anrufer?

Alles. Wie es mit den Kitas weitergeht oder mit ihrem China-Geschäft. Die meisten Fragen gibt es natürlich zum Kurzarbeitergeld und zu direkten Unterstützungsprogrammen. Anfangs schienen nur das Gastgewerbe und der Einzelhandel unter der Krise zu leiden, jetzt sind Hunderte und Tausende Unternehmen aller Branchen betroffen. Es stehen viele Existenzen und viele Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Wen trifft es am härtesten?

Die kleinen und Kleinstunternehmen. Nehmen Sie beispielsweise die Gaststätten: Ihnen sind von einer Woche zur anderen alle Einnahmen weggebrochen, aber die Kosten für die Gehälter, die Mieten und die Versicherungen laufen weiter. Sie haben die Gehälter für den März bezahlt, aber sie wissen nicht, wie sie den April überleben können. Das liegt auch daran, dass gerade junge Unternehmen in diesen Bereichen keine ausreichenden finanziellen Polster anlegen konnten.

Zum gestrigen Montag wurde der Verordnung zum Schutz vor der weiteren Verbreitung des Coronavirus in Deutschland nochmals verschärft. Seitdem dürfen auch Frisöre wie hier in der Karl-Liebknecht-Straße nicht mehr geöffnet werden. 
Zum gestrigen Montag wurde der Verordnung zum Schutz vor der weiteren Verbreitung des Coronavirus in Deutschland nochmals verschärft. Seitdem dürfen auch Frisöre wie hier in der Karl-Liebknecht-Straße nicht mehr geöffnet werden. 
© Ottmar Winter

Das heißt, dass sie Mitarbeiter entlassen oder in Kurzarbeit schicken müssen.

Ja, das droht. Aber wir sehen überall, dass die Unternehmer alles versuchen, an ihren Mitarbeitern festzuhalten. Manche wollen gar ihre persönliche Altersversorgung belasten, um die Beschäftigten zu halten.

Aber die Politik will viel tun, um den Zusammenbruch der Wirtschaft gerade im Hinblick auf Kleinunternehmer zu vermeiden.

Das erkennen wir an, vor allem auch, dass die Politik nach erstem Zögern nun versucht, den Turbo einzulegen. Denn bei der Umsetzung des staatlichen Rettungsschirms kommt es nicht auf Monate, sondern auf wenige Tage an. Die Betriebe, deren Existenz in Gefahr ist, brauchen nicht irgendwann Steuererleichterungen oder günstige Kredite. Sie sind auf solche kurzfristigen Zuschüsse angewiesen, wie sie das Land Freitag angekündigt hat. Wir hoffen, dass diese Geldspritzen schnell und unkompliziert ankommen, so wie es zugesagt wurde. Die genannten Beträge sind erste wichtige Liquiditätshilfen. Sie werden aber allein nicht reichen können, ganze Betriebe zu retten.

Verstehen die Unternehmen die neuen Vorschriften nach dem Infektionsschutzgesetz und den Allgemeinverfügungen?

Es gibt eine große Rechtsunsicherheit. Das Handwerk darf bekanntlich arbeiten, der Handel aber nicht. Da fragt uns zum Beispiel ein Goldschmied, der ja Handwerker ist, ob er sein Geschäft schließen muss, weil er ja auch mit Uhren handelt. Er hat Angst vor Bußgeldern, wenn er etwas falsch macht.

Welchen Ratschlag gibt ihm die IHK?

Das ist im Einzelfall eine schwierige Kiste. Was wir brauchen ist eine klare Definition, was geht und was nicht. Eine sogenannte Positivliste für die Geschäfte, die ausdrücklich öffnen dürfen, würde sehr helfen. Derzeit sind die Vorschriften noch zu schwammig.

Die Not ist je nach Branche unterschiedlich?

Absolut. Ein Unternehmen für Heizungstechnik schildert uns, dass Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt werden müssen, obwohl es genügend Aufträge gibt. Der Grund ist, dass die Lastwagen mit Druckbehältern für Österreich oder Polen an den Grenzen stehen und nicht hinübergelassen werden.

Da kann die IHK wohl nichts tun. Welche Hinweise geben Sie bedrohten Unternehmen in diesen Tagen am meisten?

Immer wieder: Seid schnell! Meldet euch so schnell wie möglich bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg. Dort sollen die Förderprogramme zusammenlaufen und bearbeitet werden. Bei speziellen Fragen, bei denen die IHK nicht mehr weiterhelfen kann: meldet euch bei der Hotline des Ministeriums. Und in jedem Falle beim zuständigen Finanzamt, damit Aufschub bei Steuervorauszahlungen gewährt werden kann.

Es gibt Unternehmen, die die Kommunikation zwischen der Landesregierung und den Betrieben für verbesserungsfähig halten. In Bayern, heißt es, laufe das besser.

Das haben wir von unseren Kollegen aus den anderen Bundesländern auch gehört. Unsere Mitgliedsunternehmen müssen wissen, woran sie sind. Deswegen ist es gut, dass Freitag konkrete Summen und Ansprechpartner vom Wirtschafts- und Finanzministerium vorgestellt wurden. Jetzt muss die Umsetzung schnell und unbürokratisch vonstattengehen. 90 Prozent der Unternehmen haben weniger als zehn Mitarbeiter. Denen kann man in der Krise jetzt nicht zumuten, seitenweise Anträge zu stellen. Um es noch mal zu betonen: Die Firmen sind völlig unverschuldet in diese Situation geraten und wollen ihre Verantwortung für Mitarbeiter, Azubis und Kunden übernehmen. Nur das können sie nicht, wenn ihnen der Laden dicht gemacht wird.

Wagen Sie die Prognose, dass die Wirtschaft in Brandenburg und andernorts in zwei, drei Jahren wieder zu altem Leben erblüht sein wird?

Das kann niemand voraussagen. Aber wir haben es in der Hand, ob viele kleine und Kleinstbetriebe überleben können oder die Wirtschaft eine völlig andere sein wird als zuvor. Der Staat kann heute mit Finanzspritzen helfen, oder er muss andernfalls die Folgekosten etwa für viele Arbeitslose tragen. Die Weichen dafür werden jetzt gestellt.

In den nächsten Monaten?

In diesen Tagen.

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