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Bernd Rubelt.
© Andreas Klaer
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Interview | Bernd Rubelt: "Wir brauchen Raum für gute Ideen"

Potsdams Wirtschaftsdezernent Bernd Rubelt über sein erstes Jahr in dieser Funktion, Versäumnisse aus der Vergangenheit und einen gewünschten Gesinnungswandel in der Stadtverwaltung.

Herr Rubelt, Sie sind jetzt seit einem Jahr auch Wirtschaftsbeigeordneter der Stadt. In der öffentlichen Wahrnehmung tauchen Sie in dieser Funktion bisher aber selten auf. Woran liegt das?
Das liegt vielleicht auch an der Doppelrolle. Als Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen, Wirtschaft und Umwelt ist es manchmal schwierig, die Aufgaben zu trennen. Das will ich aber auch gar nicht. Oft überlappen sich die Themen ja. Aber Sie sprechen etwas an, was richtig ist. Nämlich die Wahrnehmung von Wirtschaft in der Stadt. Mein Eindruck, aber auch der der Wirtschaftsverbände, ist, dass wir bereits sehr intensiv in den Dialog getreten sind. Trotzdem müssen wir in Potsdam durchaus noch ein Stück dafür arbeiten, dass diese Präsenz wieder stärker wahrgenommen wird – vielleicht sogar erstmalig einen angemessenen Stellenwert bekommt.

Oracle verlässt Potsdam, bei der Standortwahl für die neue Innovationsagentur des Bundes ist die Stadt nicht zum Zug gekommen. Gute Nachrichten klingen anders. Wie fällt Ihr eigenes Fazit für Ihr erstes Jahr als Wirtschaftsdezernent aus?
Ich möchte das gerne trennen. Unternehmen treffen oft Entscheidungen, die wir als Stadt nicht immer beeinflussen können. Wir können nur Angebote machen. Vor allem bei den sogenannten harten Standortbedingungen liegt jedoch noch Arbeit vor uns. Die Nachfrage nach Büroflächen zum Beispiel ist für die Größe der Stadt enorm. Die können wir nicht immer bedienen. Und auch beim Thema Verkehr gibt es noch reichlich zu tun. Etwa für einen Fernverkehrshalt in Potsdam. Aber was die sogenannten weichen Standortfaktoren angeht, die Lebensqualität im Allgemeinen, gibt es kaum eine Stadt in Deutschland, die der Wirtschaft ein so gutes Umfeld anbietet.

Eines der größten Probleme sind wie gerade angesprochen die fehlenden Gewerbeflächen. Immer wieder wandern Start-ups notgedrungen ab. Gleichzeitig braucht Potsdam mehr Wohnraum, nicht zuletzt für die dringend benötigten Fachkräfte. Wie kann beides gelingen?
Das kann man immer nur gemeinsam schaffen. Je attraktiver Potsdam als Gewerbestandort ist, desto mehr Wohnungen brauchen wir. Und umgekehrt: Je weniger Wohnungen wir haben, desto eher fragen die Unternehmer: Wo sollen denn hier die Menschen leben, die ich später in meiner Firma beschäftigen will? Was wir brauchen, ist eine Gesamtstrategie.

Wie sieht die aus?
Wir nehmen Flächen strategisch ins Visier. Das haben wir zum Beispiel mit der geplanten städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme Golm-Nord gemacht. Dort geht die Stadt für eine große Entwicklung in Verantwortung. Außerdem müssen wir selbst Grundstücke erwerben, die Schlüsselqualität haben – sei es fürs Gewerbe, sei es fürs Wohnen. Wir dürfen nicht das eine gegen das andere ausspielen. Im Gegenteil: Ziel muss es sein, integrierte Quartiere zu entwickeln. Das heißt, wenn wir über Wohnquartiere reden, reden wir auch über Gewerbe. Ein gutes Beispiel ist dafür Drewitz und in der Perspektive auch Krampnitz und der Schlaatz. Indem wir dort auch Flächen für Gewerbe entwickeln, stabilisieren und schaffen wir dort auch Arbeitsplätze für die Menschen, die dort wohnen.

Der Flächenbedarf ist je nach Branche unterschiedlich. Nicht alles lässt sich im Wohnumfeld realisieren. Bei Ihrer Vorstellungsrunde im Potsdamer Wirtschaftsrat Ende Oktober haben Sie gesagt, die Stadt müsse sich klar werden, welches Wirtschaftsprofil sie hat. Welches sehen Sie?
Ich sehe das sehr stark in den Bereichen, in denen wir aus der Wissenschaft Gründungen entwickeln. Dort haben wir zum Beispiel zwei Cluster, die schon sehr stark sind. Das sind die Gesundheitswirtschaft und die Biotechnologie. Aber auch die IT- und Medienbranche ist bei uns sehr stark vertreten. Damit da noch mehr wächst, müssen wir es schaffen, dass so eine Art Gründerstimmung aufkommt. Eine Universität am Stadtrand ist noch kein Wirtschaftsimpuls. Wir müssen also Orte schaffen, wo aus Wissenschaft auch wirtschaftlich entwicklungsfähige Informationen werden.

Die Standorte müssen aber auch verkehrstechnisch gut erreichbar sein.
Wir haben auch für Golm lange gekämpft, dass wir mit der Bahn den Ringschluss nach Spandau bekommen. Auch sehen wir im Bereich um den Hauptbahnhof enormes Potenzial. Die Speicherstadt etwa, die Babelsberger Straße. Dort ist in vergangenen Jahren schon sehr viel entwickelt worden. Und wenn der Hauptstadtflughafen irgendwann eröffnet, werden wir mit der Verbindung über die Regionalbahn einen sehr guten Standort mit der Pirschheide haben. Das ist allerdings eine Landesfläche, für die wir noch einen gemeinsamen Umgang mit dem Land finden müssen. Krampnitz ist zwar vornehmlich auf Wohnen ausgerichtet, aber auch dort muss jetzt schon der Gewerbestandort mitgedacht werden. Grundsätzlich braucht Potsdam eine strategische Vorratspolitik für Gewerbeflächen. Das ist uns in den vergangenen Jahren nicht so gelungen.

Wie viele Anfragen von Unternehmen muss Potsdam denn pro Jahr ablehnen, weil es keine passenden Flächen gibt?
Wir haben jährlich rund 80 bis 100 Anfragen von Unternehmen nach Flächen in unterschiedlichen Größen. Die summieren sich auf 40 bis 45 Hektar, wovon wir rund zehn Prozent in konkrete Ansiedlungen umsetzen können. Nicht eingerechnet sind hier die vielen, oft kleinteiligen Nachfragen für Büroflächen.

Was für Flächen sind gefragt?
Zumeist sind bezugsfertige Büros gefragt. Und das sind eben keine Grundstücke, sondern bereits entwickelte, erschlossene Immobilien. Insofern unterliegt der Weg zu einem Büroflächenangebot einer langfristigen Flächenplanung und -sicherung. Ein gutes Beispiel ist das Brunnenviertel. Dort haben wir lange gemeinsam mit dem Investor gezweifelt, ob das Areal auch gewerblich entwickelbar ist. Plötzlich brauchen wir dort wegen des Umzugs des Landesbetriebs für Liegenschaften und Bauen enorm viele Büroflächen. Das zeigt sehr deutlich, dass wir über Bauleitplanung langfristige Angebote machen müssen, die wir nicht durch kurzfristige Nachfragen oder Entwicklerwünsche für andere Zwecke aufgeben dürfen.

Bernd Rubelt ist gelernter Stahlbauschlosser. Später studierte er Städtebau und Regionalplanung an der Fachhochschule Dortmund.
Bernd Rubelt ist gelernter Stahlbauschlosser. Später studierte er Städtebau und Regionalplanung an der Fachhochschule Dortmund.
© Andreas Klaer

Vor dem Wirtschaftsrat haben Sie auch gesagt, Sie wollen sich mehr für Unternehmensgründungen einsetzen. Die Gründerszene solle weiter aufgebaut werden. Dafür müsse auch Geld in die Hand genommen werden. Was ist bislang passiert?
Neben einer guten Beratung für Gründer brauchen wir tatsächlich Räume für gute Ideen. Das haben wir damals mit dem Go:In I gemacht. Mit dem Go:In II haben wir jetzt zusätzlich eine förderunabhängige Variante entwickelt. Das ist für die Stadt durchaus ein finanziell kräftiger Schluck gewesen. Das wird sich aber über einen längeren Zeitraum rechnen. Wenn Unternehmungen erfolgreich sind, haben wir den Rückfluss für die Stadtgesellschaft.

Dann kommt das Go:In III ...
... dann kommt für mich die Perspektive, dort weiterzuarbeiten. Wir wollen erstmal beobachten, wie erfolgreich das Go:In II startet. Allerdings müssen wir in einem lebendigen Quartier wie Golm entsprechende Flächen schon jetzt für diese Zwecke sichern, auch wenn wir noch gar nicht wissen, ob ein Go:In III in drei, fünf oder sieben Jahren diskutiert wird. Auch mit der Frage, ob wir wieder mit Fördermitteln arbeiten wollen oder nicht, müssen wir uns dann wieder auseinandersetzen.

Auch auf dem erweiterten Filmpark-Areal in Babelsberg sollen neben Wohnraum und einem Hotel- und Kongresszentrum Flächen für mediennahes Gewerbe entstehen. Zuletzt hieß es, der B-Plan stehe kurz vor der Beschlussfassung. Wann wird er den Stadtverordneten vorgelegt?
Die Film- und Medienwirtschaft ist, wie schon gesagt, ebenfalls ein ganz wichtiger Zweig für uns. In der Branche besteht derzeit zudem eine hohe Dynamik. Deshalb müssen wir auch die Entwicklung in Babelsberg zügig voranbringen. Im Februar werden wir in den Ausschüssen die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Bebauungsplan 119 „Medienstadt“ diskutieren können, damit bestehen dann schon Grundlagen für weitere Investitionen. Aber auch die Aktivitäten für das RAW spielen für die Branche natürliche eine Rolle. Da werden genau für diese Zielgruppe Flächen entwickelt.

2017 ist Potsdam eines von zwölf neuen deutschen Digital Hubs geworden, mit Schwerpunkt Medientechnologie. In diesem Jahr ist die Stadt zudem Unesco-Filmstadt geworden. Was erhoffen Sie sich davon?
Das bringt erstmal richtig viel positive Kommunikation. Auch Professionalisierung bei der Vermarktung des Standortes.

Wie viele Anfragen gibt es denn? Kann man das auch beziffern?
Die hohe Nachfrage an Büroflächen in der Medienstadt ist ungebrochen. Die städtischen Gründerzentren sind ausgelastet, das heißt, wir müssen Anfragen ablehnen oder zumindest vertrösten. Während die Aktivitäten zur Unesco-Filmstadt ja nun erst beginnen, stellen wir bei der MediaTech Hub Management GmbH, die seit einem Jahr tätig ist, eine hohe Nachfrage fest. Dies gilt für Gründer ebenso wie für zum Teil internationale Delegationen, die sich regelmäßig für Standortbesichtigungen anmelden.

Bei einem weiteren für die heimische Wirtschaft wichtigen Thema, dem Verkehr, setzt Potsdam auf die Kooperation mit Volkswagen. Bis zum Sommer will das Volkswagen Group Future Center Europe in der Schiffbauergasse mit Hilfe der Potsdamer neue Möglichkeiten im Nahverkehr aus Sicht der Nutzer testen. Wie weit ist das Future Center Europe?

Wir sind in einer ersten Testphase, bei der noch viele Fragen offen sind.

Was wird getestet?

Wir wollen zeigen, dass es in der Zukunft verschiedene Mobilitätsdienstleistungen, wie etwa autonomes Fahren, geben kann, mit der zum Beispiel in Randzeiten, für verschiedene Zielgruppen oder zu bestimmten Veranstaltungen das Angebot des Öffentlichen Nahverkehrs ergänzt werden kann.

Gibt es bereits Ideen für weitere Kooperationen, beispielsweise mit dem heimischen Mittelstand?

Das Potenzial der Technologie ist enorm. Wir sind schon seit Längerem auf der Suche nach solchen Anknüpfungspunkten, auch bei hier ansässigen Firmen. Zunächst wollen wir aber das Ergebnis des aktuellen Projektes abwarten. Autonomes Fahren haben wir auch schon für Krampnitz diskutiert, oder für die kleinen ländlichen Ortsteile. Von dem Thema erwarten wir uns noch einen richtigen Schub.

Apropos Autokonzern. Die Nachricht, dass der US-Elektroautobauer Tesla in Grünheide eine Gigafabrik bauen will, war wohl für die Hauptstadtregion die Wirtschaftsnachricht des vergangenen Jahres. Wie kann auch Potsdam davon profitieren?
Potsdam profitiert in jedem Fall. Wir sind einer der wichtigsten Forschungs- und Entwicklungsstandorte im Land. Wir werden bestimmt eine Menge an interessanten Verbindungen aufbauen können. Ich finde aber, dass es eine Gemeinschaftsfrage ist. Vor allem aus dem Ausland wird in erster Linie die Metropolenregion Berlin wahrgenommen und nicht der einzelne Ort. Diese Kirchturmpolitik dürfen wir uns in der Wirtschaft überhaupt nicht mehr erlauben.

Damit die Stärken auch überregional besser wahrgenommen werden, wollen Sie stärker mit Berlin zusammenarbeiten. Was haben Sie bereits erreicht?
Brandenburg und Berlin haben zwei unterschiedliche Vermarktungsstrategien. Brandenburg vermarktet vor allem Flächen und Berlin vermarktet Standorte, insbesondere dabei vor allem auch Büroflächen. Ich bin davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, wenn Potsdam Teil beider Vermarktungsplattformen wird. Das will ich in diesem Jahr voranbringen. Wer auf das Berliner Portal geht, soll sehen, da gibt es noch einen „13. Bezirk“ und der ist deutlich attraktiver als die anderen zwölf.

Gespräche mit der Stadt – und zwar regelmäßige – wünschen sich seit Langem auch Potsdams Unternehmer. Unter dem früheren SPD-Oberbürgermeister Jann Jakobs wurde immer wieder bemängelt, die Stadt zeige kein Interesse an der Wirtschaft. Gibt es inzwischen regelmäßige Treffen?
Ja, aber das könnten wir durchaus noch ein Stück präsenter machen. Mir war im ersten Jahr das gegenseitige Kennenlernen wichtig. Es gab im Sommer einen Unternehmerstammtisch in einer relativ entspannten Atmosphäre. Dabei habe ich festgestellt, dass wir dringend über eine wirtschaftsfreundlichere Verwaltung sprechen müssen – und zwar gemeinsam mit den Akteuren der Wirtschaft und in der Verwaltung. Wir haben auch verabredet, dass wir diesen Dialog mit den Unternehmern weiterführen.

Gibt es schon einen Termin?
Es gibt noch keinen fixen Termin. Das wird aber im ersten Halbjahr sein. Es gibt ein gegenseitiges Interesse an der Weiterentwicklung dieser Gespräche. Das erste Treffen hatte ein positives Echo. Ich habe außerdem bereits mehrere Unternehmensbesuche gemacht. Ich will, dass die Unternehmer künftig einen Ansprechpartner haben. Das war früher vielleicht nicht immer so.

Wie wirtschaftsfreundlich ist die Verwaltung in einem Jahr? Was muss sich bis dahin geändert haben?
Wir brauchen über die bisher durch die Verwaltung geleistete Unterstützung der Wirtschaft hinaus eine konkretere Verständigung darüber, wie wir für wirtschaftswichtige Themen eine deutlich höhere Sensibilität erreichen können. Das heißt, dass wir die Geschwindigkeit von Genehmigungsverfahren erhöhen müssen und in Einzelfällen anders priorisieren, wenn es zum Beispiel um Schaffung oder Sicherung von Arbeitsplätzen am Standort Potsdam geht. Dies ist gerade bei Vorhaben von „kleinen“ mittelständischen Unternehmen der Fall, so es sich beispielsweise „nur“ um ein Ladenlokal oder eine Nutzungsänderung dreht.

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