Potsdams Baudezernent Bernd Rubelt im PNN-Interview: „Für die Potsdamer Mitte fehlt noch eine Vision“
Baudezernent Bernd Rubelt über das Wachstum der Stadt, Lösungen für den Verkehr und die Entwicklungen in der Innenstadt
Herr Rubelt, Sie sind jetzt fast ein Jahr Baubeigeordneter – man könnte angesichts der Streitlust der hiesigen Bürger bei Bauthemen auch sagen: Sie haben ein Jahr Potsdam überlebt. Welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?
Ich würde es nicht überleben nennen, sondern eher erleben – und das sehr intensiv. Ich habe Kontakt mit vielen Menschen gehabt, gewollt und ungewollt...
...ungewollt?
Ja. Als im vergangenen Jahr die Fachhochschule von Abrissgegnern besetzt wurde, bekam ich einen Anruf, ich müsse unbedingt kommen und vermitteln, ich sei ja neu in der Stadt. Solche Begegnungen waren für mich sehr wichtig, um ein Gespür für die Menschen, die Stadt zu bekommen, zu sehen, wer welche Interessen hat und nicht gleich zu allem etwas vermeintlich Kluges zu sagen. Das ist nicht mein Stil. Aber ich entwickle dann auch klare Vorstellungen, wo welche Prioritäten zu setzen sind.
Von Ihren Prioritäten oder Visionen für Potsdam hat man zumindest öffentlich aber noch nicht allzu viel gehört. Welche sind es denn?
Das Steuern des Wachstums ist die zentrale Frage, von der alle anderen Aspekte abhängen. Das heißt, wir müssen Visionen entwickeln, wo die Stadt in zehn Jahren stehen soll und welche Dinge wir heute schon planerisch anstoßen müssen, damit sie in drei, vier Jahren auf den Weg gebracht werden können.
Dass Potsdam wächst, ist ja nun keine Neuigkeit. Hätte die Stadt diese Weichen nicht längst stellen müssen?
Potsdam beginnt im Gegensatz zu anderen prosperierenden Städten wie etwa Erlangen erst, überhaupt eine Haltung zum Wachstum zu entwickeln. Hinzu kommt: Die Stadt steht – auch laut den statistischen Daten – auf einem dünnen wirtschaftlichen Fundament. Die Einnahmen und damit die Sicherheit für die Stadt sind stark konjunkturabhängig. Ich will Potsdam zu einem starken Wirtschaftsstandort machen, Räume und Konzepte schaffen für Wirtschaftsansiedlungen. Es gibt namhafte Investoren, die darüber nachdenken, hier selbst Wohnungen zu bauen, damit ihre Mitarbeiter hier auch wohnen können. Aber um aus Potsdam einen schlagkräftigen Wirtschaftsstandort zu machen, müssen wir auch über den Tellerrand blicken.
Wie stellen Sie sich das vor?
Nicht nur Potsdam wächst, sondern auch die Umlandkommunen. Wir müssen vor allem gemeinsam Strategien entwickeln, um das Wachstum zu steuern. Natürlich sind die Interessen sehr unterschiedlich, aber darüber muss man miteinander reden. Als Region fehlt uns bislang leider das große gemeinsame Projekt. Die Stammbahn könnte, müsste es vielleicht sogar sein.
Also die Wiederbelebung der Bahnlinie, die von Potsdam über Dreilinden und Kleinmachnow ins Zentrum von Berlin führt.
Allein für den Uni-Campus Griebnitzsee wäre das ein Riesenschritt. Aber das Projekt dümpelt vor sich hin. Das will ich ändern. Potsdam muss gemeinsam mit den anderen Kommunen richtig laut werden und die Stammbahn einfordern. Gleiches gilt für den Ringschluss der Regionalbahn nach Spandau. Ich habe in den letzten Monaten unzählige Gespräche mit verschiedenen Amtsträgern und Akteuren im Umland geführt, auch mit dem Bezirksbaustadtrat von Spandau. Wir müssen erst einmal Vertrauen aufbauen und Gemeinsamkeiten entwickeln. Daran arbeite ich.
Und das gilt auch für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik?
Ja, natürlich. Zunächst einmal müssen wir klug mit den nutzbaren oder uns zur Verfügung stehenden Flächen umgehen – vom Erwerb bis zur Entwicklung. Und das müssen wir in Abstimmung mit dem Umland machen, gemeinsam überlegen, welche Flächen sich für eine intensivere wirtschaftliche oder wohnbauliche Entwicklung eignen. Potsdams überragende Stärke liegt im Bereich der Bildung und Wissenschaft, da machen wir sogar Berlin Konkurrenz. Wenn der Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof voll ist, hat Potsdam mit Golm eine hervorragende Alternative zu bieten. Die gewerbliche Entwicklung ist auch diesjähriges Thema im Kommunalen Nachbarschaftsforum Berlin-Brandenburg, der Dialogplattform der Berliner Bezirke mit den Städten und Gemeinden im Speckgürtel der Hauptstadt.
Inzwischen mehren sich die Stimmen, die eine Begrenzung des Wachstums anmahnen. Wie stehen Sie dazu?
Potsdam ist, rein an der Fläche gemessen, eine sehr aufgelockerte Stadt. Hier leben 900 Einwohner pro Quadratkilometer. In München sind es 4700. Das ist die dichteste Stadt Deutschlands. Dazwischen gibt es eine Menge Spielraum, könnte man meinen. Die Antwort darauf heißt Jein. Die Stadt kann nur so weit wachsen, wie es naturräumlich und historisch verträglich ist. Letzteres ist in Potsdam natürlich besonders relevant. Wir können die Stadt noch verdichten, aber dieses Potenzial ist endlich.
Am besten lassen sich die Probleme des Wachstums vielleicht in Krampnitz ablesen. Die Planungen für das frühere Kasernengelände haben sich verdreifacht, statt 3500 sollen nun bis zu 10 000 Menschen dort leben – alle möglichst ohne Auto.
Krampnitz soll ein Beispiel für eine Siedlung werden, in der die Anwohner anders mobil sind. Dafür müssen wir starke Anreize schaffen, sonst locken wir künftige Bewohner nicht an. Dazu gehören Schulen, Ärzte, Handelseinrichtungen, Jobs. Ein Thema bei der Umsetzung ist dabei aber die Trambrücke über die Insel Neu Fahrland.
Bislang gingen die Planungen aber von einem einspurigen Gleis aus, damit man sich den Bau einer neuen Brücke sparen kann. Die Idee eines Neubaus brachten Sie erst in dieser Woche ins Spiel.
Bei einem solchen Projekt darf man keine halben Sachen machen. In Krampnitz investieren die Stadt und ihre Unternehmen einen dreistelligen Millionenbetrag. Wenn wir das jetzt richtig anpacken und eine leistungsfähige Nahverkehrsanbindung schaffen, dann wird das Quartier als Lebensort richtig attraktiv mit all der wunderbaren Natur drum herum. Krampnitz kann und soll unser Vorzeigeprojekt werden.
Und wer soll das bezahlen? Allein für den Nahverkehr, die neue Tramstrecke sowie die neuen Straßenbahnen, sind sicher weit über 100 Millionen Euro nötig.
Ohne das Land und den Bund geht es natürlich nicht. Beide sind da auch sehr offen, uns bei diesem nachhaltigen Projekt zu unterstützen. Qualitätvolle öffentliche Leistung muss bezahlt werden, und zwar mit Steuermitteln.
2025 soll die Tram nach Krampnitz bereits rollen. Wie weit sind Sie denn mit den Vorbereitungen?
Wir sind im Plan und arbeiten mit Hochdruck. Die Unterlagen für das Planfeststellungsverfahren werden dann mehrere Aktenordner füllen. Die reichen wir bei den zuständigen Behörden ein.
Machen wir mal einen Sprung von der Vision zum Potsdamer Alltag, zu dem, was die Stadt gerade beschäftigt. Zum Beispiel das frühere Terrassenrestaurant Minsk auf dem Brauhausberg.
Bei dem Wettbewerbsverfahren für die Bebauung des Brauhausbergs saßen damals alle mit am Tisch. Wenn das Minsk so wichtig gewesen wäre, hätte man das seinerzeit schon mit berücksichtigen müssen, hat man aber nicht. Damals haben die Bürger entschieden, dass das blu am Brauhausberg gebaut wird. Die Stadt, die Stadtwerke als Bauherr und die Stadtverordneten haben durch entsprechende Beschlüsse, nämlich den Verkauf der restlichen Grundstücke, dafür gesorgt, dass das Bad refinanziert werden kann. Dass das von einigen Parteien, auch den Grünen, jetzt infrage gestellt wird, finde ich schwierig und auch wenig glaubwürdig.
Und was halten Sie persönlich vom Minsk?
Als Architekt und Stadtplaner bin ich der Meinung, dass es eine klare Vision geben muss, was stattdessen entstehen soll. Für das Gelände der Fachhochschule etwa gibt es diese Vision.
Am Brauhausberg fehlt Sie aber. Da heißt die Vision: Wir nehmen das Geld des Höchstbietenden und bauen irgendwas um ein Bad herum, das ohnehin wenig ästhetischen Reiz hat.
Was soll das heißen, das Bad sieht nicht schön aus? Dem ganzen Prozedere am Brauhausberg lag eine Vereinbarung zugrunde, die auch verwertenden Charakter hatte. Das Gestalterische ist dahinter vielleicht etwas zurückgetreten. Aber das lag an den Rahmenbedingungen des Wettbewerbs. Je klarer man die formuliert, desto konkreter können Erwartungen erfüllt werden. Das beste Beispiel dafür ist der Wettbewerb für das erste Karree auf dem Fachhochschulgelände. Dort gab es ganz klare Vorgaben, auch architektonische, und wir haben das gewünschte Ergebnis bekommen.
Eine andere Baustelle ist die Zukunft des Künstlerhauses im Rechenzentrum. Die Stiftung Garnisonkirche, die der Verlängerung des Mietvertrags zustimmen muss, wartet noch immer auf konkrete Maßnahmen der Stadt, damit bis 2023 ein Ersatzgebäude fertig ist. Wann kommen die?
Schritt für Schritt. Es ist ein schwieriges Prozedere. Wir haben eine Strategie, nämlich vor Ort ein Künstlerhaus mit etwa 10 000 Quadratmetern Fläche zu schaffen. Jetzt müssen wir die Machbarkeit untersuchen – in wirtschaftlicher und städtebaulicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die Bedürfnisse der Kreativen. Eine entsprechende Studie ist das Fundament, um jemanden zu finden, der das bauen will und zwar nachhaltig. Wir reden hier immerhin über eine Investition von mehr als 30 Millionen Euro.
Aber die Zeit drängt: Der Mietvertrag für die Künstler endet im August. Bislang gibt es nur ein Angebot der Stiftung über eine Verlängerung um maximal zwei Jahre.
Trotzdem: Das ist der Weg. Je klarer wir den an die Garnisonkirchen-Stiftung kommunizieren, desto eher wird sie es auch verstehen. Die Machbarkeitsstudie soll noch in diesem Jahr fertig sein. Dann können wir auch einen Investor suchen.
Die Stadt will ja einen Mäzen für das Projekt gewinnen.
Ja, aber der will natürlich auch wissen, wie die Rahmenbedingungen sind, auch, welche Mieten dort erhoben werden können. Vielleicht hat ja auch eine Stiftung Interesse oder eine Genossenschaft, was mir sehr sympathisch wäre. In der Potsdamer Mitte gibt es buchstäblich viele Baustellen, deswegen steht sie auf meiner Prioritätenliste auch weit oben. Wir müssen für die Mitte eine Vision entwickeln. Die gibt es nämlich noch nicht.
Wie sieht diese Vision aus?
Es geht um die Frage, wie die zweite barocke Stadterweiterung, die Altstadt rund um die Brandenburger Straße, die jetzt das Herz der Stadt bildet, mit der neuen Mitte zusammenwächst. Potsdam wird eine hoch attraktive, sanierte, infrastrukturell sehr gut entwickelte, aber viel größere Innenstadt bekommen. Und zwischen Bahnhof und Landtagsschloss auf der einen und der Altstadt auf der anderen Seite sind neue Impulse nötig.
Welche?
Es gibt viele Hürden, auch räumlicher Art. Verlasse ich die barocke Altstadt, frage ich mich unwillkürlich: Warum und wie soll ich jetzt in Richtung der neuen Mitte laufen. Die Innenstadt, die Stadt insgesamt muss besser zu Fuß erkundet werden können. Daher arbeiten wir an einem entsprechenden Fußwegekonzept für ganz Potsdam, das 2019 fertig sein soll. Für die City stellt sich die Frage: Wie verbinden wir das Areal zwischen Luisenplatz und Holländischem Viertel mit der Breiten Straße und dem Alten Markt? Und wie beziehen wir den Platz der Einheit ein? Da gibt es noch viel toten Raum.
Vieles in der Mitte liegt zudem ja noch buchstäblich im Dunkeln. Wie steht es denn um das seit Jahren geforderte Beleuchtungskonzept?
Sie haben Recht. Viele stadtbildprägende Räume sind nachts kaum als solche wahrzunehmen. Da gibt es noch viel zu tun. Aber einfach nur Lichtmasten aufzustellen reicht nicht. Wir müssen neben der ästhetischen auch die ökologische Komponente beachten. Diese Fragen soll das Konzept beantworten.
In Fahrland gehen Anwohner auf die Barrikaden, weil der Investor Semmelhaack Wohnungen im landschaftlichen Außenbereich bauen will. Warum erlaubt die Stadt ihm das und stellt keinen Bebauungsplan auf?
Das wäre ein Weg, Baurecht zu schaffen. Es gibt aber auch andere. Wir haben das in diesem Fall über einen städtebaulichen Vertrag geregelt. Ob das zulässig ist, diskutieren wir aber nicht im Bauausschuss, sondern mit den zuständigen Behörden. In diesem Fall ist das Obere Baubehörde des Landes. Und die hat uns in unserer Auffassung bestätigt.
Abgesehen von Fahrland mehren sich überall in der Stadt die Eingriffe in die Natur. In der Waldstadt sollen Bäume für eine Schule fallen, am Griebnitzsee für den Waldcampus des Hasso-Plattner-Instituts. Und am Bahnhof Pirschheide soll ebenfalls ein großes Waldstück neuer Bebauung geopfert werden.
Wir dürfen nicht den Fehler machen, einzelne Vorhaben zu betrachten, sondern die Gesamtentwicklung der Stadt im Auge behalten. Unsere Politik ist die des sparsamen Flächenverbrauchs. An integrierten Lagen, gut geeigneten Standorten werden Flächen auch mal intensiver genutzt. Dafür gibt es Ausgleichsmaßnahmen.
Diese Bäume werden dann aber zumeist außerhalb der Stadt, irgendwo im Landkreis gepflanzt.
Ja, das stimmt. Das ist aber eine regionale Vereinbarung. Die Frage lautet also, stärken wir die märkische Landschaft oder bewahren wir etwas, verpassen dafür aber die Chance, einen bedeutsamen Standort konsequent zu entwickeln. Das muss abgewogen werden und das tun wir an allen von Ihnen genannten Standorten. Und Eingriffe in die Natur heißt ja nicht Kahlschlag, sondern eine qualitätvolle Gestaltung und nutzbare Naherholungsräume unter Einbeziehung der vorhandenen Natur.
Im Streit um die Bebauung des Humboldtrings geht es um den Schutz des Welterbes. Warum gibt sich die Stadt dort so kompromisslos und riskiert eine Klage der Schlösserstiftung?
Stadtentwicklung versus andere Interessen – das ist kein Wohlfühlclub. Da sind immer schwere Entscheidungen zu treffen.
Potsdam ächzt unter zunehmendem Verkehr, eine der Kehrseiten des Wachstums. Hinzu kommen immer wieder Großbaustellen, zum Teil auch parallel. Wie wollen sie das verbessern?
Zunächst einmal durch ein optimierteres Baustellenmanagement, das wir personell und organisatorisch verstärken werden. Und wir müssen und werden stärker für die Alternativen werben, vor allem Nahverkehr und Fahrrad. Und das möglichst nachhaltig.
Sie sind von Eutin in Schleswig-Holstein in eine Stadt gezogen, die zehnmal so groß ist. Wie hat sich Ihr Leben in diesem Jahr verändert – von null auf 100?
Sagen wir mal, von null auf 75. Das hat nichts mit der Stadtgröße zu tun. Meine Frau hat noch viel in Eutin zu tun. Aber wir haben uns hier sehr gut eingelebt und sind toll aufgenommen worden. Vielen Dank an die Potsdamer dafür!
Das Interview führten Marion Kaufmann, Matthias Matern, Sabine Schicketanz und Peer Straube
Bernd Rubelt, 50, parteilos, ist ursprünglich gelernter Schlosser. An der Fachhochschule Dortmund studierte er bis Mitte der 1990er-Jahre Architektur mit dem Schwerpunkt Städtebau und Regionalplanung, seine Diplomarbeit schrieb Rubelt über die „Bahnstadt Bottrop“, in der er sich mit der Entwicklung von Bahnhofsumfeldern beschäftigte. Später studierte Rubelt
Umweltwissenschaften an der Fern-Uni Hagen und machte seinen Master of Science an der TU Berlin mit dem Thema „Kommunales Risikomanagement in der Stadtentwicklung“. Nach diversen Stationen als Sachbearbeiter in verschiedenen Unternehmen und Städten, darunter Münster, stieg Rubelt 2011 zum Bauamtsleiter der schleswig-holsteinischen Stadt Eutin auf. Seit dem 15. Mai 2017 ist der Parteilose Beigeordneter für Stadtentwicklung, Bauen und Umwelt in Potsdam.Foto: Sebastian Gabsch
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