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Annamaria Perlewitz und Emilia Lene Tinzmann (v.l.) informierten Schüler des Humboldt-Gymnasiums über Potsdamer Stolpersteine.
© Andreas Klaer

80 Jahre Novemberpogrome in Potsdam: Wie jüdisch Potsdam ist

Eine Gruppe Achtklässler des Humboldt-Gymnasiums will bis zum Sommer jüdische Orte erforschen und einen interaktiven Stadtplan entwerfen. Er soll jüdisches Leben in Potsdam sichtbar machen.

Von Helena Davenport

Potsdam - Sie seien das größte dezentrale Mahnmal der Welt, erklärt Anna Marie Perlewitz. Gemeint sind die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, die jüdisches Leben in Erinnerung rufen sollen. Einer befindet sich direkt vor den Füßen der 14-Jährigen: Bertha Simonsohn habe hier, in der Brandenburger Straße Nummer 19, gewohnt, erklärt Anna Marie. 1943 wurde die Jüdin in das Konzentrationslager Theresienstadt abtransportiert, wo sie kurze Zeit später verstarb.

Ort des Erinnerns. Die Jüdin Bertha Simonsohn wohnte in der Brandenburger Straße Nummer 19.
Ort des Erinnerns. Die Jüdin Bertha Simonsohn wohnte in der Brandenburger Straße Nummer 19.
© A. Klaer

Die Schüler der 8L des Humboldt-Gymnasiums hören der Neuntklässlerin gebannt zu. Gemeinsam mit ihrer Mitschülerin Emilia Lene Tinzmann führt Anna Marie die achte Klasse durch Potsdams Innenstadt, vorbei an drei Stolpersteinen. Beide haben sich im vergangenen Schuljahr mit Jüdischsein in der Landeshauptstadt beschäftigt – nun sind die Jüngeren dran. Zwischendurch werden Fragen gestellt. „Wisst ihr denn auch etwas über die Nachfahren?“, möchte etwa Tim Stutz wissen. Die Religionslehrerin Ulrike Boni-Jacobi lacht: „Da müsst ihr jetzt selbst recherchieren.“

Digitaler Stadtplan über Potsdams jüdisches Leben

Der Spaziergang zu Potsdams Stolpersteinen am gestrigen Nachmittag galt erst einmal nur der Vorbereitung. Die 13 Schüler der 8L haben sich ein umfangreiches Projekt vorgenommen: Bis zum Sommer 2019 wollen sie einen digitalen Stadtplan von Potsdam erarbeiten, auf dem jüdisches Leben verortet ist. Wo fand jüdisches Leben statt und wo ist es heute zu finden? 

20 Orte stehen auf einer Liste, mit denen sich die Jugendlichen ab Januar beschäftigen werden. Die Judaistin Anke Geißler-Grünberg wird sie bei ihrer Arbeit unterstützen.

Zu jedem Ort soll ein Text entstehen. Auf einer Webseite soll der interaktive Stadtplan samt Texten dann für jeden zugänglich sein. Eine Domain, die aktuell noch inaktiv ist, gibt es schon: www.geschichtsorte.de. Und auch ersten finanziellen Rückhalt konnte der Förderverein des Potsdam Museums, der Initiator des Projekts, gewinnen: Einen Scheck in Höhe von 2799 Euro überreichte Ines Schulz, Potsdamer Filialleiterin der BBBank, am Donnerstag im Klassenraum, wo das Projekt vorgestellt wurde. Insgesamt werde das Vorhaben rund 10 000 Euro kosten, so Markus Wicke vom Förderverein des Potsdam Museums. Über einen Antrag bei einer Stiftung sei bislang noch nicht entschieden worden.

„300 Jahre jüdische Geschichte werden auf der Webseite widergespiegelt werden“, sagte Boni-Jacobi. 

Es gibt mehr jüdische Orte als den Friedhof und den Einsteinturm

Bisher gebe es in Potsdam hauptsächlich zwei Orte, die eindeutig als jüdische wahrgenommen werden, fügte Wicke hinzu: den Jüdischen Friedhof und den Einsteinturm im „Wissenschaftspark Albert Einstein“. Dies solle sich nun ändern. Boni-Jacobi unterrichtet seit einem Jahr am Humboldt-Gymnasium, vorher war die Lehrerin an der Voltaireschule tätig. Schon als in der Landeshauptstadt die ersten Stolpersteine verlegt wurden, war Boni-Jacobi zusammen mit ihrem damaligen Religionskurs der Klasse 8 dabei. Im September 2006 war das. Seitdem führt sie jedes Jahr ihre Schüler an das Thema heran. Auch Emilia Lene und Anna Marie haben in ihrem Unterricht mehr über Stolpersteine erfahren – in diesem Jahr helfen sie ihren jüngeren Mitschülern. „Ich möchte, dass meine Schüler verstehen, was Jüdischsein heißt“, sagte die Lehrerin. 

Das Projekt solle sich nicht auf die Zeit des Nationalsozialismus beschränken, sondern etwa auch die Gegenwart miteinbeziehen, so die 57-Jährige. Außerdem sollen auch „Täterorte“ miteinbezogen werden.

Schüler sollen offen für die Welt sein

Verständnis für alle Religionen – das ist es, was Boni-Jacobi bei ihren Schülern durch die Projektarbeit erzeugen möchte. Sie wünscht sich, dass sie offen für die Welt sind. Als Schülerin habe sie selbst an spannenden Projekten gearbeitet, erzählte sie, dadurch habe sich vieles besser bei ihr eingeprägt. „Diese Arbeit macht den Schülern mehr Spaß als normaler Unterricht, das ist doch klar“, so Boni-Jacobi.

Auf einer Webseite soll die interaktive Karte jedem zugänglich sein. 
Auf einer Webseite soll die interaktive Karte jedem zugänglich sein. 
© A. Klaer

„Ich erwarte, dass wir so viel besser mit dem Lernstoff umgehen können“, sagte die 13-jährige Karla Prager. Bislang haben die Schüler der achten Klasse nur wenig Berührungspunkte mit Jüdischem Leben in Potsdam. 

Wo war meine Familie zwischen 1933 und 1945?

Charlotte Kremer freut sich, dass der Stadtplan schlussendlich auch andere bei ihrer Suche unterstützen kann. Bis der Plan fertig ist, gibt es allerdings noch viel für die Jugendlichen zu tun. Die erste Frage, die Boni-Jacobi ihren Schülern stellt: Wo war meine Familie zwischen 1933 und 1945? Aber auch Museums- und Theaterbesuche sowie Ausflüge sind geplant.

Erste Ergebnisse sollen etwa in der Begegnungsstätte Schloss Gollwitz diskutiert werden. Sie habe die Schüler vorher gefragt, so Boni-Jacobi. Alle seien sofort begeistert gewesen und hätten sich bereit erklärt, auch Extraarbeit zu übernehmen.

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