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Passanten versammelten sich am 10. November 1938 vor der geschändeten Potsdamer Synagoge am heutigen Platz der Einheit.
© Hans Weber / Potsdam Museum

80 Jahre Novemberpogrome: Von der Diskriminierung zur Verfolgung

Auch in Potsdam wurden vor 80 Jahren Juden verschleppt, die Synagoge zerstört und die Kapelle abgebrannt. Die Pogromnacht am 9. November 1938 war der Beginn eines neuen Terrors.

Potsdam - Die Täter führten Buch. Genauer gesagt das sogenannte SS-Diensttagebuch. Darin findet sich für den 10. November 1938 um drei Uhr nachts der Eintrag über einen Anruf. Ein Befehl des Reichsführers der SS wird durchgegeben. Sämtliche Synagogen seien sofort niederzubrennen: „Anzug Räuberzivil, Plünderungen verboten.“ Nachlesen kann man das im Buch „Ich weiß nicht, was mit ihnen geschehen ist“ des früheren Potsdamer FH-Professors Volker Schockenhoff aus dem Jahr 1998.

Wie in vielen anderen deutschen Städten begannen in jener Nacht Übergriffe auf jüdische Einrichtungen und eine Welle der Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens und gegen jene, die die Nazis dafür hielten. Anlass war ein Attentat auf einen Mitarbeiter der deutschen Botschaft in Paris zwei Tage zuvor. Das Pogrom wurde am Abend des alljährlichen Treffens der NSDAP-Führerschaft anlässlich des gescheiterten Hitler-Putsches am 9. November 1923 nach Zustimmung Hitlers von Propagandaminister Josef Goebbels durch eine Hetzrede ausgelöst.

Antisemitismus und Rassismus waren staatsoffiziell geworden

Deutschlandweit werden in dieser Nacht mehrere hundert Synagogen abgebrannt. Mindestens 8000 jüdische Geschäfte werden demoliert und zahlreiche Wohnungen verwüstet. Rund 100 Juden werden ermordet und Zehntausende in Konzentrationslager verschleppt. Spätestens an diesem Tag konnte jeder in Deutschland sehen, dass Antisemitismus und Rassismus bis hin zum Mord staatsoffiziell geworden waren. Hilfe bekamen Juden nur selten, vielerorts beteiligte sich der Mob an den Plünderungen und gewalttätigen Übergriffen von SA und SS.

Auch in Potsdam wurden alle Männer der jüdischen Gemeinde in der Pogromnacht verhaftet, nur die über 70-Jährigen wieder freigelassen. Beispielsweise wurde der Händler Abraham Kallmannsohn am 9. November ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Dort blieb er bis Anfang Januar 1939, ehe er für weitere vier Monate im Polizeigefängnis Potsdam festgehalten wurde. „Überall spontane antijüdische Aktionen“ titelte die Potsdamer Tageszeitung am 10. November 1938.

Die Thorarollen wurden in Stücke gerissen

Auch die 1903 errichtete neobarocke Synagoge am damaligen Wilhelmplatz, dem heutigen Platz der Einheit, blieb nicht verschont. Um 5.30 Uhr drang eine fünfköpfige Abordnung mit einem Gestapo-Beamten als Anführer in die Wohnung von Herrmann Schreiber, dem Rabbiner der Synagogengemeinde ein, so ist es bei Schockenhoff nachzulesen. Die Männer forderten die Schlüssel für die Synagoge. Dort warteten bereits ihre Komplizen. Die Fenster der Synagoge wurden eingeschlagen, Leuchter heruntergerissen, Bänke zerschlagen, die Sitze des Rabbiners zerhackt, die Vorhänge des Thoraschreins zerfetzt, die Thorarollen in Stücke gerissen, der große Chanukaleuchter als Brechstange genutzt. In nur fünf Minuten habe sich die Synagoge in einen Trümmerhaufen verwandelt. In Brand gesteckt wird das Gebäude nicht – anders als die jüdische Kapelle auf dem Pfingstberg. Die Nachbarschaft zur Hauptpost rettet sie. Erst beim Bombenangriff auf Potsdam im April 1945 wird sie zerstört.

Der  Gedenkstein für deportierte und ermordete Potsdamer Juden auf dem Jüdischen Friedhof der Stadt. 
Der  Gedenkstein für deportierte und ermordete Potsdamer Juden auf dem Jüdischen Friedhof der Stadt. 
© Andreas Klaer

Die Reichspogromnacht bildet den Auftakt zu einer neuen Qualität der systematischen Judenverfolgung im Deutschen Reich. Doch der Antisemitismus kam keineswegs über Nacht nach Potsdam, er war schon lange verwurzelt. Der 1995 erschienene „Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“ beschreibt auch die Geschichte der Potsdamer Gemeinde: 1901 versuchte demnach die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung gegen das Schächten als Schlachtmethode vorzugehen. Und nach dem Ersten Weltkrieg polemisierte der antisemitische „Alldeutsche Verband“ gegen angebliche jüdische Weltherrschaftspläne. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten setzten rasch die ersten Repressionen ein. Schon im Frühjahr 1933 fielen Gerichtstermine aus, da die jüdischen Rechtsanwälte in ihrer Tätigkeit beschränkt wurden. Die Lokalpresse berichtete davon, dass das Betreten jüdischer Geschäfte vielfach gänzlich verhindert wurde, „zum Teil durch Bildung einer Postenkette“. Im Juli 1934 wurden die Straßenschilder in der Ebräerstraße abmontiert und durch den Namen Kupferschmiedsgasse ersetzt.

1943 wurde der letzte Potsdamer Jude deportiert

Nach der Pogromnacht verschärften sich Gewaltaktionen gegen Einwohner, die nach den NS-Rassegesetzen als Juden klassifiziert wurden. Sie wurden in die Emigration gedrängt oder deportiert. Die Potsdamer Tageszeitung meldete am 15. November 1938 „Potsdamer Judengeschäfte verschwinden“. Laut der Bevölkerungsstatistik lebten 1939 in Potsdam noch 175 „Glaubensjuden“ – im Jahr 1925 hatte die jüdische Gemeinde noch 626 Mitglieder gezählt.

Im „Wegweiser durch das jüdische Brandenburg“ wird auch das Ende der jüdischen Gemeinde in Potsdam dokumentiert: Am 11. Januar 1942 wurden etwa 40 jüdische Männer, Frauen und Kinder auf Lastkraftwagen nach Berlin zur Sammelstelle für die Deportation ins Ghetto von Riga gebracht. Dort ließ man die Deportierten verhungern, viele wurden erschossen oder arbeiteten sich zu Tode. In den zeitgenössischen Akten findet sich der Hinweis auf die polizeiliche Abmeldung des 62-jährigen „Auswanderers“ Wilhelm Kann vom 18. Juni 1943. Er wurde deportiert und starb in Theresienstadt. Er war der letzte in Potsdam lebende Jude. Erst 1991 wurde im Land Brandenburg wieder eine jüdische Gemeinde gegründet.

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