30. Stolperstein in Potsdam verlegt: Ein Stolperstein für Potsdamer Rechtsanwalt Gustav Herzfeld
In Bornim erinnert jetzt ein Stolperstein an den angesehenen Potsdamer Rechtsanwalt Gustav Herzfeld, der im Ghetto Theresienstadt verstarb. Auch seine Nachfahren kamen zur Verlegung.
Potsdam - Für Gunter Demnig ist es Minutensache. Ein Blick auf das Gehwegpflaster und er weiß, hier muss die Säge ran. Sie kreischt für ein paar Momente, dann ist Platz für den kleinen Gedenkstein, den „Stolperstein“, der hier in den Gehweg eingelassen werden soll. Auch das erledigt der Künstler routiniert. Er hat das Tausende Male gemacht, allein an diesem Montag ist es sein dritter Termin. Fast 61 000 der kleinen Stolpersteine wurden in den vergangenen 25 Jahren in 21 Ländern in Europa verlegt, sagt er – die allermeisten persönlich. Die Stolpersteine erinnern an Mitbürger, die während des Nationalsozialismus ermordet wurden – Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma oder Widerständler. Jeder Stein trägt den Namen und die Lebensdaten des Ermordeten auf einer kleinen Messingplatte. Der Stein vor dem Haus in der Potsdamer Straße 60 erinnert an den Potsdamer Rechtsanwalt Gustav Herzfeld. Er starb am 27. Oktober 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt, im Alter von 81 Jahren.
Als Gunter Demnig mit seinem Werkzeug auf dem Boden kniet, Sand in die frischen Fugen gibt und die kleine Messingplatte dann mit einem Papiertaschentuch blank wischt, sehen ihm rund 80 Interessierte schweigend zu. Nur der Verkehr von der Straße ist zu hören. Viele der Gekommenen beschäftigt das Schicksal von Herzfeld schon länger. Zehn Jugendliche haben es unter Anleitung des Berliner Historikers Sascha Topp in den vergangenen Monaten genauer unter die Lupe genommen. Sie waren in Archiven, studierten Akten, nahmen Kontakt zu Nachfahren auf – eine Puzzlearbeit, die noch nicht abgeschlossen ist. Am Montagnachmittag stellten sie ihre bisherigen Ergebnisse vor, im Herbst, sagt Topp, ist eine Veröffentlichung in Buchform geplant. Das Forschungsprojekt wurde von der evangelischen Kirche gemeinsam mit der Landeshauptstadt organisiert.
Herzfeld wird als angesehener Rechtsanwalt und Potsdamer Bürger beschrieben
Geboren wurde Gustav Herzfeld am 7. Mai 1861 in New York als Sohn einer Bankiersfamilie. Noch im Kindesalter zog er mit seiner aus Neuss am Rhein stammenden Familie zurück nach Deutschland. Nach Potsdam kam er 1903 gemeinsam mit seiner Frau Elise und dem Sohn Joachim. Er ließ ein repräsentatives Haus in der heutigen Geschwister-Scholl-Straße 54, die Villa Herzfeld, errichten. 1909 wurde er christlich getauft. Als angesehener Rechtsanwalt und Potsdamer Bürger wird Herzfeld beschrieben. So soll er unter anderem Mittellose beraten haben. Aber auch eine Geliebte hatte er in diesen Jahren – bekannt ist das, weil die Affäre zu einem in den Akten dokumentierten Rechtsstreit führte, als Herzfelds Ehefrau von der Sache Wind bekam. Im Ersten Weltkrieg dann ein großer Schicksalsschlag: Der Sohn fiel als Soldat. Wenige Jahre später beging Herzfelds Frau Selbstmord. Der Anwalt zog um in die Potsdamer Straße. Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurde er – wie alle Christen jüdischer Herkunft – zunehmend isoliert und schikaniert. Er musste die Kanzlei aufgeben, das Haus verkaufen und wurde schließlich 1942 deportiert. Um dem Schicksal zu entgehen, versuchte er kurz vorher, sich das Leben zu nehmen – vergebens. Gustav Herzfeld starb am 27. Oktober in Theresienstadt.
Herzfeld, sagt der Historiker Sascha Topp, „war im Lokalgedächtnis schon sehr lange in Erinnerung“. Gottfried Kunzendorf, angjähriger Pfarrer der Kirche in Bornstedt, erinnerte an die Gedenktafel, die im Jahr 1984 auf dem Bornstedter Friedhof aufgestellt wurde: „Aber damals kannten wir das genaue Todesdatum noch nicht.“ Für die evangelische Kirche spielt Herzfeld im Rahmen einer Arbeitsgruppe zur Erforschung der Christen jüdischer Herkunft in Potsdam eine Rolle. Herzfeld wurde, so fasste es Stadtkirchenpfarrer Simon Kuntze zusammen, unter den Nationalsozialisten als Christ nicht anerkannt – „auch von vielen, die hier lebten“.
Weitere Stolpersteine in Potsdam gegen das Vergessen geplant
Für die Jugendlichen war die Forschungsarbeit eine bewegende Erfahrung, wie Mareike Arnold, mit 24 Jahren die älteste der Gruppe, sagte: „Jeder hatte sein Spezialgebiet und dabei Dinge gefunden, die interessant waren.“ Der 15-jährige Lasse Apel betonte: „Der Holocaust ist ein Thema, das niemals in Vergessenheit geraten darf.“ Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) drückte die Hoffnung aus, dass künftig in Potsdam weitere Stolpersteine gegen das Vergessen verlegt werden: „Da gibt es noch einiges zu tun.“ Der Stein für Herzfeld war der 30. Stolperstein in Potsdam, 2008 wurde der erste verlegt, begleitet immer wieder mit Schülerprojekten an der Voltaire-Schule. Finanziert werden die Gedenksteine über Spenden – die Kosten für Fertigung und Verlegung betragen pro Stein 120 Euro.
Welchen Wert die Forschungen für die Nachkommen der Herzfelds haben, beschrieb Ulfa von den Steinen, seine Großnichte, am Montag so: „Durch die Arbeit der jungen Leute ist aus einem Namen eine Geschichte geworden – für mich ist er dadurch auch ein bisschen aus Theresienstadt herausgeholt worden.“ Viel mehr als das Todesjahr sei in der weit verstreuten Familie – ihre Eltern lebten in der Schweiz – nicht bekannt gewesen, sagte die 77-Jährige: „Diese Generation sprach nicht über die Vergangenheit.“
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