Krankheit, Trauma, Stress: Weitere Kriegsverletzte nach Ostern in Potsdam erwartet
Wie es in der Landeshauptstadt um die medizinische und psychologische Versorgung von Geflüchteten aus der Ukraine steht - und wo noch Handlungsbedarf besteht.
Potsdam - Krankheit, Trauma, Stress und Kriegsverletzungen – Geflüchtete aus der Ukraine brauchen in Potsdam auch medizinische Versorgung und psychologische Unterstützung. Das gestaltet sich nicht immer einfach.
Am Alexianer St. Josefs-Krankenhaus ist bisher ein ukrainischer Patient nach einer Granatsplitter-Verletzung am Oberschenkel stationär behandelt worden, wie Unternehmenssprecher Benjamin Stengl den PNN sagte. Er sei als genesen entlassen worden. Das katholische Krankenhaus bereitet sich nun auf die Aufnahme weiterer Kriegsverletzter „unmittelbar nach Ostern“ vor.
Man stehe in ständigem Austausch mit ärztlichen Kollegen unter anderem in Frankfurt (Oder), wo bereits eine große Zahl von Patient:innen, die Opfer von Granatbeschuss oder Minen wurden, versorgt wird. Wegen der zunehmenden Zahl von Verletzten wird mit einer Weiterverteilung gerechnet, so Stengl.
Traumanetzwerk soll Versorgungsressourcen steuern
Das Josefs-Krankenhaus habe sich vorbereitend dem sogenannten Traumanetzwerk angeschlossen, das von der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) koordiniert wird. Dieses Netzwerk soll die Versorgungsressourcen gemäß der ärztlichen Einschätzungen der Häuser steuern. Das soll die systematische Zuordnung der Verletzten auf Krankenhäuser mit geeigneten Kapazitäten und Spezialisten ermöglichen.
Dadurch sei unkompliziert und binnen kürzester Zeit eine Verteilung schwerverletzter Patienten möglich. Das Josefs könne unter anderem Kompetenzen in der Unfallchirurgie, der Geburtshilfe, der Neurologie oder zur Intervention von Traumatisierungen einbringen.
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Insbesondere die Sprachbarriere sei jedoch eine Herausforderung, räumte der Sprecher ein. Für die Koordination von Dolmetscher:innen stehe man im Austausch mit der Arbeiterwohlfahrt Potsdam (Awo) und der Koordinierungsstelle im Rathaus. Man gehe davon aus, dass man in diesem Feld künftig mehr Unterstützung benötigen wird und freue sich daher „sehr über konkrete Angebote oder hilfreiche Tipps“, so der Kliniksprecher.
Die Menschen stehen vor Anpassungsstörungen
„Alle, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen, haben akute Belastungesreaktionen leichten bis schweren Grades“, sagt Irene Melnikov. Die 1979 in Kiew geborene und dort ausgebildete Psychologin und Familientherapeutin lebt seit zwölf Jahren in Deutschland und arbeitet in der Kinder- und Jugendhilfe der Awo – momentan 20 Stunden pro Woche gezielt in der Beratung von Familien aus der Ukraine.
Die Menschen stehen vor Anpassungsstörungen, weil sie ihr Leben plötzlich ändern müssen, erklärt sie: „Viele haben ihren Job verloren, das Haus oder die Wohnung verloren, Verwandte verloren. Sie wissen nicht, wie das Leben in Deutschland aussieht, verstehen die Abläufe nicht.“
Am morgigen Donnerstag 16 Uhr bietet sie gemeinsam mit dem Psychologen-Kollegen Dan Grabov im Lindenpark in Babelsberg, Stahnsdorfer Straße 76, eine Informationsveranstaltung für geflüchtete Familien aus der Ukraine an. Es geht um Organisationsfragen bei der Integration in Deutschland, aber auch den Umgang mit Druck und Stress, Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie Kinderstress und Ängsten. Die Veranstaltung im Lindenpark ist kostenfrei, eine vorherige Anmeldung nicht nötig.
Verbesserungsbedarf bei psychotherapeutischer Behandlung
Alarmsignale für Stress oder posttraumatische Belastungsstörungen bei Kindern können zum Beispiel plötzliche Verhaltensveränderungen sein, erklärt Irene Melnikov. Aber auch körperliche Symptome wie ein gestörter Schlafrhythmus oder veränderte Essgewohnheiten können Anzeichen sein. „Das ist je nach Kind sehr individuell.“
Bei der psychotherapeutischen Behandlung der aus den Kriegsgebieten geflohenen Menschen in Potsdam sieht sie noch Verbesserungsbedarf. Es gebe nur vereinzelt ukrainisch oder russisch sprechende Therapeut:innen. Auch die langen Wartezeiten auf eine Einzeltherapie seien problematisch, wenn es um die Behandlung akuter Störungen geht.
Awo-Beratungsstelle steht Geflüchteten zur Seite
Hilfe bei Fragen der medizinischen Versorgung erhalten Geflüchtete auch bei der Awo-Beratungsstelle für Ukraine-Flüchtlinge, wie Sergeii Shevchuk den PNN sagte. „Wir unterstützen bei der Kommunikation mit Krankenhäusern oder Fachärzten.“ Auch Informationen dazu, welche Ärzte in Potsdam helfen, gibt es. Jeden Mittwoch von 11.30 bis 15.30 Uhr bietet die Awo an der Kita Kinderland, Bisamkiez 101, eine ärztliche Sprechstunde in russischer Sprache an, bei der es um Vorsorgeuntersuchungen, kindliche Entwicklung und möglichen Förderbedarf geht.
Dieses Beratungsangebot soll künftig möglicherweise ausgeweitet werden. Außerdem gibt es bei der Awo Ideen für eine Selbsthilfegruppe für Menschen aus der Ukraine. Am 27. April ist zudem mit dem Verein Handicap International eine Fachveranstaltung zum Thema Menschen mit Behinderung aus der Ukraine geplant.
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Generelle Voraussetzung für eine ärztliche Betreuung und finanzielle Unterstützung in Potsdam – sofern es keine Krankenversicherung gibt – ist ein sogenannter Behandlungsschein, wie die Stadt auf ihrer Homepage erläutert. Dieser muss schriftlich beantragt werden und wird dann per Post zugeschickt. Bei akuten Notfällen ist die Notaufnahme der städtischen Bergmann-Klinikums Anlaufstelle. Auch die ärztlichen Praxen müssen „eine Notversorgung vorsprechender Patienten sicherstellen“, so die Stadt. Außerhalb der Praxisöffnungszeiten kann die Notpraxis am St. Josefs-Krankenhaus aufgesucht werden.
Medikamente nach Flucht oft aufgebraucht
In der Notaufnahme des Bergmann-Klinikums sind seit März 2022 rund 60 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine behandelt worden, wie eine Klinikumssprecherin auf PNN-Anfrage mitteilte. Vornehmlich sei es um klassische Kinderkrankheiten mit fiebrigen Infekten, Magen-Darm-Problemen oder kleinen Verletzungen gegangen, die fast alle ambulant behandelt werden konnten, wie Thomas Erler, der Ärztliche Direktor der Kinder- und Jugendklinik, erklärte.
Fünf bis zehn Patient:innen wurden auch stationär versorgt – darunter chronisch kranke Kinder zum Beispiel mit Diabetes, entzündlichen Darmerkrankungen, Mukoviszidose, Epilepsien, Asthma oder Herzproblemen. „Nach der langen Flucht sind die benötigten Medikamente aufgebraucht oder anstehende Therapietermine konnte nicht mehr wahrgenommen werden“, berichtet Erler. Das Klinikum versuche, die Kinder gesundheitlich zu stabilisieren und dann an Kinder- und Fachärzte weiterzuvermitteln.
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