Flucht aus der Ukraine: Ankommen in Potsdam
Sie sind vor dem Krieg in der Ukraine geflohen – und haben hier eine Bleibe gefunden. Die PNN haben zwei Familien begleitet.
Potsdam - Für manche der geflüchteten Frauen aus der Ukraine, die in Potsdam untergekommen sind, gibt es einen Hoffnungsschimmer: Auf den Bericht der PNN vom vergangenen Donnerstag über die 30 Jahre alte Zahnärztin Alina Kusinska, die mit ihrer Großmutter Lydmyla Tschystiakova und ihrem Kater Simon in der Villa Ole Bemmanns gegenüber des Heiligen Sees eine Bleibe gefunden hatte, haben sich vier Potsdamer Zahnärzte gemeldet.
Einer lud sie bereits zu einem Vorstellungsgespräch in seine Praxis ein, er will jetzt mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung klären, ob es eine Möglichkeit gibt, die Ukrainerin zu beschäftigen. Am Dienstag hatte Kusinska in jedem Fall ihren ersten Arbeitstag in einer Praxis in der Berliner Straße. „Ich soll am Dienstag wiederkommen“, sagte sie den PNN.
Bemmann, Chef des Huckleberrys-Floßverleihs, hatte wie berichtet die prächtige Villa in der Straße Am Neuen Garten in Zusammenarbeit mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Geflüchteten als „Heimathafen“ zur Verfügung gestellt, Platz war für neun Frauen und fünf Kinder. Die Zahnärztin Kusinska stammt aus der 750 000 Einwohner zählenden Stadt Saporischschja, nahe des jüngst unter Beschuss geratenen größten europäischen Atomkraftwerks, das von russischen Truppen eingenommen wurde.
„Wir alle in der Villa würden am liebsten gern möglichst bald in unsere Heimat zurückkehren“, sagte sie den PNN, „aber im Moment weiß ja niemand, wie lange der Krieg noch dauern wird“. Für sie wäre es „ein Traum“, wenn sie die Approbation als Zahnärztin in Deutschland schaffen könnte, das würde „wahrscheinlich aber ein paar Jahre dauern“.
Als die PNN anriefen, saß Alina Kusinska mit den anderen geflüchteten Frauen gerade in der Villa zusammen und machte Pfannkuchen. Ihre persönliche Stimmung sei nach der Ankunft in Potsdam stabiler geworden, nur, wenn sie die täglich erschreckenden Nachrichten etwa über die fortschreitende Einkesselung der Hauptstadt Kiew lese, sei sie „sehr bedrückt und angefasst“. Sie sorge sich sehr um ihre Großmutter väterlicherseits, die in der Ukraine geblieben sei.
Ein Potsdamer kümmert sich um die Villen-Bewohnerinnen
Ein Potsdamer, der sehr gut Ukrainisch spreche, kümmere sich um die Villen-Bewohnerinnen, habe ihnen das Schloss Sanssouci, das Brandenburger Tor, die Brandenburger Straße und sein Lieblingscafé gezeigt, im russischen Supermarkt „Ledo“ in der Straße Am Kanal habe sie eingekauft: Milch und Käse, „aber nur polnische Produkte“. Hatten die Frauen genug Geld dafür? „Ich habe mich mit 7000 Hrywnja, das ist unsere ukrainische Währung, auf den Weg gemacht, etwas mehr als 200 Euro. Aber ich konnte sie hier nicht wechseln. Ole und seine Frau Bella haben uns Geld gegeben.“ Am Sonntag fuhren einige der Frauen aus der Villa nach Berlin, wo für die bisher größte Demonstration gegen den Krieg 100 000 Teilnehmer angemeldet waren.
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Die Bemmanns haben dafür gesorgt, dass alle Bewohnerinnen der Villa inzwischen ein Konto haben. Auch halfen sie beim Papierkram, dem Ausfüllen aller Anträge. „Ihr Status ist jetzt gesichert“, sagt Bemmann. Mit seiner Frau Andrea und Mitarbeiterinnen seiner Firma sei er jetzt dabei, die Berufe und den Ausbildungsstatus der Frauen zu klären. Eine der Geflüchteten sei Kindergärtnerin, „unser Ziel ist Hilfe zur Selbsthilfe zu geben“, sagte seine Frau den PNN, und Ole Bemmann fügt hinzu: „Wir wollen alle schnellstmöglich integrieren. Wer einen Job hat, möge ihn bitte anbieten.“
Ehemann von Nadiia Dubina dient als Soldat
Kusinska muss nicht um das Leben eines Ehemanns oder Partners fürchten – sie ist ungebunden. Der 39-jährigen Nadiia Dubina aber, die mit ihren Töchtern, der fünfjährigen Veronika und der neunjährigen Varvara aus der Schwarzmeer-Metropole Odessa kam und in die Villa eingezogen ist, geht es anders. Sie telefoniert täglich mit ihrem Ehemann Roman, der in Kiew als Soldat dient. „Jedes Mal habe ich große Angst um ihn“, sagt sie, „er lebt unter großer Gefahr, übernachtet im Stadtzentrum einigermaßen sicher im Keller eines Gebäudes, aber alle dort warten auf den großen Krieg um Kiew.“ Ihr Mann habe ihr erzählt, dass es zur Verteidigung der Hauptstadt „an allem“ fehle: an kugelsicheren Westen, Helmen, Schutzkleidung und Autos.
Die Mutter ist froh, dass sich ihre beiden Töchter „langsam an die Situation zu gewöhnen scheinen“. Vor zwei Wochen, nach der Ankunft in Potsdam, „wollten sie das Haus überhaupt nicht verlassen“, sagt Nadiia Dubina, „so haben sie sehr unter dem Krieg und darunter gelitten, dass sie ihren Vater nicht sehen können.“ Auch jetzt noch wollen sie „nur in der Nähe der Villa spielen, aber sie beginnen, sich sicherer zu fühlen.“ Ihre Mutter denkt darüber nach, welche Schule sie besuchen könnten. Von ukrainischen Freunden sei ihr die Waldorf-Schule ans Herz gelegt worden, in Odessa feierte die Waldorf-Schule 2012 bereits ihr zwanzigjähriges bestehen.
Leser spendeten Spielsachen für die Kinder
Auch der Bericht der PNN über das Schicksal der fünfköpfigen Familie Petriuk, die aus Czernowitz nahe der Grenze zu Rumänien stammt und in der Pension der Brasserie zu Gutenberg an der Jägerstraße eine Unterkunft fand, stieß auf große Solidarität. Leser machten sich auf den Weg, gaben Kleiderspenden und Spielsachen für die Kinder und Geldspenden ab. „Eine ältere Dame kam, übergab eine Spende von 200 Euro und ging, ohne ihren Namen zu nennen“, sagt Service-Chefin Rebekka Mruck. Ein paar hundert Euro kamen zusammen. Indes kümmern sich Bengt Rudolph, Inhaber der Brasserie, und Mruck fast wie Pflegeeltern um die Familie, die sie vor zwei Wochen in die Pension über dem Restaurant aufgenommen haben. Jeden Tag bereitet die Küche des Restaurants ihnen ein warmes Essen zu.
Rebekka Mruck hat mit den Kindern einen Ausflug zu „Karl’s Erlebnisdorf“, dem Freizeitpark im Elstal, unternommen. „Es war so schön zu sehen, dass sie nach den schlimmen Erlebnissen der vergangenen Wochen endlich wieder viel lachen konnten. Sie haben sich beim Fahren im Auto-Scooter oder beim Rangieren mit einem Kinder-Bagger abgelenkt und richtig entspannt“, sagt Mruck, die selbst zwei Töchter hat. Auf der Rückfahrt hätten „die 18-jährige Olga und ich Popsongs gesungen, die wir beide gut kannten“. Gerührt war sie, als ihr die siebenjährige Shenia nach einem Ausflug ins Stadtzentrum zum Dank einen Blumenstrauß überreichte.
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Suche nach dauerhafter Unterbringungsmöglichkeit
Rudolph war am vergangenen Wochenende mit der Familie unterwegs, um im Stern-Center Kleidung und Schuhe für die Kinder zu kaufen. Er begleitete die Familie zu einem Corona-Impftermin in der Zeppelinstraße und besuchte mit ihr am Samstag auch das Festival „Singen für die Ukraine – Singen für den Frieden“ am Brandenburger Tor. Zudem bemühen sich die Leute von der Brasserie auch, für die ukrainische Familie eine dauerhafte Unterbringungsmöglichkeit zu finden. Das sei, so Rudolph, wegen des angespannten Wohnungsmarkts in Potsdam allerdings „sehr schwierig“.
Zur Lösung dieses Problems hat Rudolph folgenden Gedanken: „Wir helfen gern. Aber könnte die Stadt nicht prüfen, ob sie denen, die Unterkünfte bereitstellen, etwas dazuschießt?“ Die Stadt habe schließlich auch Zimmer in Hotels und Pensionen angemietet. In England, weiß er, erhalten Briten, die Flüchtlinge aufnehmen, von der Regierung 350 Pfund, umgerechnet rund 418 Euro im Monat. „Wir haben in unserer Pension noch zwei weitere Zimmer, die im Moment zwar vermietet sind, dann aber für Flüchtlinge bereitgehalten werden könnten.“
Rudolph hat gelesen, dass die Orangerie der Biosphäre nun die erste Anlaufstelle für neu eintreffende Flüchtlinge ist. „Uns aber ist die Familie in der Brasserie so ans Herz gewachsen, dass wir es nicht übers Herz bringen würden, sie jetzt in eine Sammelunterkunft zu bringen“. Das Team könne der Familie mit drei Kindern „doch etwas mehr Lebensqualität und Würde ermöglichen“. Daher wäre die Vermittlung einer Wohnung oder die Übernahme der Kosten „eine wirklich schöne Lösung“. Das Rathaus verwies auf PNN-Anfrage auf mögliche Hilfen über das Asylbewerberleistungsgesetz. Tagessätze für Hilfswillige stellten hingegen schon ein Gewerbe dar und müssten erst genehmigt werden.
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