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Julia Jestremska (40) ist alleinerziehende Mutter von fünf Kindern. Seit 2004 lebt sie in Potsdam. In Gorlowka hat sie Englisch und Literatur auf Lehramt studiert.
© Ottmar Winter

Ukrainische Flüchtlingshelferin im Interview: „Die deutsche Bürokratie ist zu träge“

Julia Jestremska engagiert sich für Flüchtlinge aus ihrer Heimat, übersetzt und organisiert. Hier spricht sie über die Probleme in Potsdam und die Stimmung in der ukrainischen Community.

Frau Jestremska, Sie sind 2004 aus der Ukraine nach Potsdam gekommen und engagieren sich jetzt auf vielen Wegen für die Kriegsflüchtlinge. Wie kam es dazu?
Ich habe viele Freunde und Verwandte in der Ukraine. An den ersten beiden Kriegstagen habe ich versucht, jeden zu kontaktieren. Alle erzählten, wie sie mit Bombengeräuschen wach geworden sind. Der Krieg ist im ganzen Land. Mir ist klar geworden, dass auch Leute nach Potsdam kommen würden. Am dritten Kriegstag habe ich bei Telegram eine Gruppe für die Ukraine-Krisenhilfe in Potsdam gestartet. Wir haben jetzt 1600 Mitglieder.

Worum geht es dort?
Viele verschiedene Anliegen – das reicht von der Frage, wie man ein Rezept für Medizin bekommt, bis zu komplexen Spezialfällen. Ich sitze jeden Abend bis zwei Uhr nachts und versuche, allen zu antworten. Schon nach der ersten Kriegswoche kamen die ersten Flüchtlinge in Berlin an, wenig später in Potsdam. Sie wurden privat untergebracht. Es gab keine Informationen! 

Das Chaos macht einen kaputt. Die Menschen haben vor ihrer Flucht oft schon Tage in Kellern oder im Bunker verbracht. Nun wurden sie von Potsdam zur Anmeldung nach Schönefeld geschickt. Erst ab dem 7. März gab es die Registrierungsstelle in der Biosphäre. Starten sollte die mit nur einer Übersetzerin, obwohl es dort drei Schalter gab. Schnell hieß es: Wie brauchen dringend Übersetzer. Ich bin eingesprungen.

Jetzt helfen Sie dort nicht mehr.
Seit dieser Woche werden die Menschen ins zentrale Aufnahmelager nach Eisenhüttenstadt geschickt. Da möchte ich nicht mitmachen. Ich habe von den Zuständen dort Schlechtes gehört.

Vor welchen Problemen stehen die Geflüchteten in Potsdam?
Viele haben nur Bargeld mitgenommen, das sie nicht umtauschen können. Sie brauchen Geld. Bei der Beantragung über das Sozialamt dauert es aber fünf Tage. Ein anderes Thema sind Haustiere: Viele Familien sind mit ihren Haustieren gekommen, die sie aber bei einer Unterkunft im Hotel nicht mitbringen können.

Und dann?
Wir organisieren die private Unterbringung. Ich habe zum Beispiel gerade zwei schwangere Katzen aufgenommen.

Sie werden auch bei der Awo-Ehrenamtskoordination für die Flüchtlingshilfe dabei sein. Wie finden Sie die Kraft für das alles?
Schwer. Ich habe an manchen Tagen nichts gegessen, nur zwei bis drei Stunden geschlafen, viel geweint. Aber ich suche immer nach Lösungen. Ich hätte nie gedacht, dass das in der Ukraine passieren könnte, ein Krieg. Aber ich sehe auch viel Freiheit in der ukrainischen Seele, bei den Menschen. Die Ukrainer kämpfen für uns alle. Ich bin sehr stolz, Ukrainerin zu sein.

Wann waren Sie zum letzten Mal dort?
Im Dezember, davor im Sommer. Besonders in der Corona-Pandemie habe ich die Freiheit sehr genossen, war zum Beispiel im Theater. In Deutschland darf man nichts ohne Maske und Impfpass.

Wie ist die Stimmung in der ukrainischen Community in Potsdam?
Der Zusammenhalt ist unglaublich, das ist ein gutes Gefühl. Fast alle haben jemanden aufgenommen. Auch in meiner Drei-Zimmer-Wohnung haben schon Geflüchtete übernachtet. Jetzt erwarte ich wieder zwei junge Frauen aus Charkiw. Auch viele Deutsche wollen helfen. Nur die Stadt macht wenig. Die deutsche Bürokratie ist zu träge.

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Sie halten auch Kontakt nach Russland.
In Russland versteht man gar nicht, was wirklich passiert. Viele Internetseiten sind gesperrt. Ich versuche, die Informationswand zu durchbrechen, auf dem direkten Weg. Man muss jede Möglichkeit nutzen, diesen Krieg zu stoppen. Mütter, Schwestern und Frauen müssen den Männern sagen, was sie als Soldaten erwartet.

Wie sehen Sie die Zukunft der Ukraine?
Die Ukraine wird diesen Krieg gewinnen. Wenn er vorbei ist, dann gehe ich wieder zurück in meine Heimat.

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