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Hier besser keinen Döner essen: In einer Potsdam kam es zu einer Rangelei.
© Andreas Klaer

Potsdam: Verkehrsbetrieb fehlt Geld für Barrierefreiheit

Potsdams Verkehrsbetrieb muss bis 2022 barrierefrei werden. Doch woher das Geld dafür kommen soll, ist unklar.

Potsdam - Es nieselt, kalter Wind lässt die Wartenden an der Haltestelle frösteln. Dann kommt die Straßenbahn. Die meisten Fahrgäste steigen hastig in das kantige Gefährt aus den 1980er-Jahren ein. 18 solcher Waggons besitzt der Potsdamer Verkehrsbetrieb (ViP) noch. Wer einen Kinderwagen dabeihat, braucht beim Einsteigen Hilfe. Für Rollstuhlfahrer sind die zwei Stufen unüberwindbar. Der Waggonboden liegt bei den alten Tatra-Trams in gut 90 Zentimetern Höhe.

Künftig soll es einfacher gehen. Eine EU-Richtlinie und das Personenbeförderungsgesetz schreiben vor, dass ab 2022 nur noch Niederflurbahnen unterwegs sein dürfen und alle Tram-Haltestellen barrierefrei sein sollen. Das kostet natürlich Geld. So schlug kürzlich der Fahrgastverband IGEB Alarm. Die EU-Vorgabe bringe die Brandenburger Straßenbahnbetriebe in Existenznot. Insgesamt seien bis zu 170 Millionen Euro zu investieren. Die öffentlichen Unternehmen hätten dieses Geld jedoch nicht, berichtete die „Märkische Oderzeitung“.

In Frankfurt (Oder) sind nur acht Trams behindertengerecht, ähnlich sieht es in Cottbus aus

Besonders betroffen sei Frankfurt (Oder): Hier seien nur acht Straßenbahnzüge behindertengerecht, 13 neue müssten angeschafft werden. Damit hätte die Stadtverkehrsgesellschaft rund 32,5 Millionen Euro zu investieren. In Cottbus sehe es ähnlich aus: Dort müssten 20 neue Züge zum Stückpreis von 2,5 Millionen Euro angeschafft werden. Der Fahrgastverband IGEB sieht das Land nun in der Pflicht, den sieben Straßenbahnunternehmen im Land und dem Obus-Betrieb in Eberswalde finanziell unter die Arme zu greifen. Die pauschale Bereitstellung von jährlich fünf Millionen Euro für alle acht Betriebe reiche nicht aus, hieß es.

In Potsdam ist man zumindest etwas weiter. Das Katastrophenszenario des Fahrgastverbandes trifft es nicht. Von den 53 Straßenbahnen des ViP sind 35 Niederflurtrams. Weil die Tatras kleiner sind, werden meistens zwei verkoppelte Waggons gemeinsam auf die Reise geschickt. „Bezogen auf die beförderten Fahrgäste ist die Straßenbahnflotte derzeit zu 85 Prozent barrierefrei“, teilte der ViP auf PNN-Anfrage mit. Die Dimension des Nachrüstbedarfs ist also geringer als in Cottbus oder Frankfurt (Oder). Dennoch wird es teuer: Allein ein vergleichbarer Ersatz mit der Kapazität der 18 Tatra-Waggons würde etwa 20 Millionen Euro kosten. Geld, das auch der ViP nicht hat.

Der ViP kann auf die Tatras nicht verzichten

Eigentlich sollten die Tatras schon nach der Lieferung der letzten modernen Niederflurbahn im Sommer 2014 vom Netz. Doch ohne sie kommt der ViP nicht aus. Hintergrund des Dilemmas ist der eigene Erfolg: Seit Jahren steigen in der wachsenden Stadt Potsdam die Fahrgastzahlen. Im vergangenen Jahr waren es 31,9 Millionen. Den Löwenanteil davon transportiert die Straßenbahn. Auch die gefahrenen Kilometer sind auf Rekordniveau. Die alten Trams aus tschechischer Produktion müssen nun länger durchhalten. Deshalb lässt der ViP sie derzeit schrittweise in Prag modernisieren. So soll es neue Fußböden geben und Markierungen für Sehbehinderte werden angebracht. Anschließend sollen die Tatras bis zum Jahr 2022 durch Potsdam rollen. Dann ist aber endgültig Schluss.

Alle zur Verfügung stehenden Zuschüsse der Stadt und Fördermittel vom Land sind bis 2019 bereits verplant. Für 50 Millionen Euro werden der Nordast der Tram zum Jungfernsee verlängert, das Leipziger Dreieck umgebaut, die Strecke durch die Heinrich-Mann-Allee saniert, die Tatras modernisiert sowie acht Niederflur-Trams vom Typ Combino verlängert. Vom Land bekommt der ViP jährlich etwa 1,9 Millionen Euro für Investitionen in die Infrastruktur des Nahverkehrs. Wie es nach 2019 weitergeht, ist völlig offen, weil die gesetzliche Regelung für diese Fördermittel dann ausläuft.

Fünf Haltestellen in Potsdam sind noch nicht barrierefrei

Auch die letzten fünf Haltestellen im Potsdamer Tramnetz, die bisher noch nicht barrierefrei sind, sollen bis 2022 umgebaut sein. So verlangt es das Personenbeförderungsgesetz – eigentlich. Ausnahmen gibt es, wenn man einen Plan hat, wie der Umbau vonstattengehen soll. Daran wird derzeit noch gearbeitet. Erste Gespräche habe es gegeben, sagte ViP-Sprecher Stefan Klotz. Einen zeitlichen Horizont nannte er jedoch nicht. Die Haltestellen befinden sich in der Friedrich-Ebert-Straße und in der Zeppelinstraße. Ein Umbau müsse mit anderen Baumaßnahmen abgestimmt erfolgen, hieß es.

Auch Potsdams Beirat für Menschen mit Behinderung kennt das Problem. Regelmäßig erreichten sie Hinweise und Klagen zu Barrieren im öffentlichen Nahverkehr, berichtet die Vorsitzende Nicole Einbeck. Die alten Tatras seien zwar nur die Spitze des Eisbergs, aber auch das größte Problem. Komme eine solche Straßenbahn, bleibe nichts anderes übrig, als auf die nächste Bahn zu warten.

Dabei ist Barrierefreiheit in Potsdam alles andere als ein Nischenthema. Mehr als 20 000 Menschen mit Behinderung leben in Potsdam. Dazu kommt angesichts des demografischen Wandels eine wachsende Anzahl an älteren Menschen. Ganz zu schweigen davon, dass Niederflurbahnen und stufenlose Haltestellen für alle Fahrgäste mehr Komfort bedeuten.

Geplante Sonderinvestitionen

Der ViP und auch das Rathaus hatten die Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs durch Land und Bund bereits vor drei Jahren als Teil einer bundesweiten Kampagne angesprochen. Passiert ist seitdem nichts. Doch nun meldet sich die Landespolitik zu Wort: Dass mit den fünf Millionen Euro, die das Land jährlich für alle brandenburgischen Straßenbahnbetriebe und den Eberswalder Obus für Investitionen bereitstellt, die Straßenbahnflotten bis 2022 nicht auf einen barrierefreien Betrieb umgestellt werden können, liege auf der Hand, so Axel Vogel, der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Grünen: „Wir werden die Landesregierung bitten, im Verkehrsausschuss zu dem Thema Stellung zu beziehen.“ Die ebenfalls oppositionelle CDU-Fraktion geht weiter: Sie will einen Antrag zum Doppelhaushalt für die Jahre 2017/2018 vorbereiten, teilte ihr verkehrspolitischer Sprecher Rainer Genilke mit. Darin will sie ein Sonderinvestitionsprogramm für den kommunalen Nahverkehr formulieren. „Es ist völlig unverständlich, dass die Zuweisungen des Landes an die kommunalen Aufgabenträger seit Jahren stagnieren“, so Genilke. (mit dpa)

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