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Immer mit vollem Einsatz dabei. Alexander Tchigir lebt Wasserball mit jeder Faser seines Körpers - auch am Beckenrand. 
© Benjamin Feller

Potsdams Wasserballtrainer Alexander Tchigir: Überschwappender Ehrgeiz

Seit knapp zehn Jahren ist Alexander Tchigir als Trainer beim Wasserball-Bundesligisten OSC Potsdam tätig. Der Ex-Weltklasse-Torwart treibt sein Team zu Top-Leistungen, hat den Verein "auf eine neue Stufe geführt" - mit deutscher Akribie und russischem Eifer.

Potsdam - Ist er das? Ist es wirklich der Mann, der gerade während des Wasserballspiels am Beckenrand aufbrauste wie die Wellengischt an einer Felsküste? Wer sich nach einer Partie des Bundesligisten OSC Potsdam mit dessen Trainer Alexander Tchigir unterhält, den beschleicht das Gefühl, einer anderen Person als gedacht gegenüberzustehen.

Zwei Seiten: der Fachmann und der Heißsporn

Im Spiel läuft Tchigir unter Dauerstrom, lebt die Aktionen mit jeder Faser seines Körpers mit, gibt Tipps, meckert, schreit. Und danach, im Gespräch, schildert er wiederum ruhig, sanft und sachlich seine Eindrücke. Der Heißsporn ist abgetaucht, der Analytiker mit kühlem Kopf kommt heraus. Nur seine Stimme, kratzig und heiser, verrät, dass er es tatsächlich war, der da zuvor an der Wasserkante als Coach das Match so intensiv begleitete. „Diese beiden Seiten machen ihn aus“, sagt André Laube, sportlicher Leiter der OSC-Wasserballer. „Tchaga“, wie der Coach genannt wird, „ist emotional, hochengagiert, beim Spiel und Training immer mit 100 Prozent dabei – und zugleich ist er ein nüchterner Fachmann.“ Für den Potsdamer Verein ist dies ein besonders wertvoller Mix. „Mit seiner Leidenschaft und seinem Wissen hat er uns auf eine neue Stufe geführt“, sagt Laube.

Legende zwischen den Pfosten. Alexander Tchigir machte fast 700 Länderspiele und war der weltbeste Keeper seiner Zeit. 
Legende zwischen den Pfosten. Alexander Tchigir machte fast 700 Länderspiele und war der weltbeste Keeper seiner Zeit. 
© A. Kovacs /dpa

Seit nunmehr knapp zehn Jahren ist Alexander Tchigir beim OSC Potsdam tätig. In der Männermannschaft zunächst als Assistent von Laube, seit 2012 in der Rolle des Chefcoachs. Unter seiner Führung gelang dem OSC die Qualifikation für das Final-Four-Turnier um den Deutschen Pokal, der Vorstoß in den Europapokal sowie ins Bundesliga-Halbfinale – jeweils mehrfach. Vorige Saison wurde mit Ligabronze die bisherige Krönung erreicht. Als erster Verein aus den neuen Bundesländern holte Potsdam eine nationale Medaille im Männer-Wasserball.

Mehr Russe oder Deutscher? Weder noch!

Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung hin zu einem deutschen Top-Verein sei Alexander Tchigir, betont Hannes Schulz. „Er ist ein sehr guter Trainer. Ein Perfektionist und Taktikfuchs, der immer wieder neue Ideen hat“, sagt der Teamkapitän. Wie André Laube erkennt auch Hannes Schulz immer wieder die zwei Seiten in dem 50-Jährigen, die sehr gut zu seiner persönlichen Vita passen würden. Alexander Tchigir stehe für „akribische Arbeit“, wie es Deutschland gerne bescheinigt wird. „Und dann hat er sein russisches Temperament, auch russische Härte und Disziplinansprüche. Aber mit herzlich guter Seele.“

Vor zehn Jahren begann Alexander Tchigir er als Trainer beim OSC und ist seit 2012 Chefcoach der Potsdamer Männer-Bundesligisten.
Vor zehn Jahren begann Alexander Tchigir er als Trainer beim OSC und ist seit 2012 Chefcoach der Potsdamer Männer-Bundesligisten.
© Benjamin Feller

Alexander Tchigir wurde in Moskau geboren, reifte in Russland zum weltbesten Wasserball-Torhüter seiner Zeit, holte je Bronze bei der Europa- und Weltmeisterschaft sowie Olympia. 1992 kam er wegen des Sports nach Deutschland. Er spielte für Wuppertal, Uerdingen, Würzburg und prägte dann ab 1997 die Wasserfreunde Spandau zwischen den Pfosten. Im selben Jahr erhielt Tchigir die deutsche Staatsbürgerschaft und brachte es letztlich auf fast 700 Länderspiele für Russland und Deutschland – nahezu paritätisch verteilt. Als was er sich mehr sehe, als Russe oder Deutscher, wurde er mal in einem Interview mit dem Magazin „Swim & More“ gefragt. Seine Antwort: „Ich bin international, ein Weltbürger.“

Defensive als Grundlage seiner Spielphilosophie 

Als ein solcher Weltbürger schloss Alexander Tchigir einst eine enge Freundschaft zum deutschen Nationalspieler Andreas Ehrl. Der habe ihn bei Olympia 1992 zum Wechsel in die Bundesliga geraten, sagt Tchigir. Er nahm die Herausforderung an. Und jener Freund bereitete dem Diplom-Sportlehrer dann auch den Weg in den Trainerberuf. Ehrl lotste als Wasserball-Abteilungsleiter des OSC Tchigir nach Potsdam. Es begann ein sportliches Doppelleben am und im Wasser. Er spielte noch für Spandau und war Assistenzcoach beim OSC – sogar in seiner ersten Saison als Potsdamer Cheftrainer vollzog er den Spagat, weil die Berliner Personalprobleme hatten und er sie nicht im Stich lassen wollte. 2013 kletterte Alexander Tchigir aber aus dem Becken und fokussierte sich einzig auf das Trainer-Dasein.

Motivator. Alexander Tchigir versucht stets, sein Team mitzureißen. 
Motivator. Alexander Tchigir versucht stets, sein Team mitzureißen. 
© Sandra Seifert/Verein

Er bekam eine Stelle als Lehrertrainer an der Sportschule, betreut dort Wasserballer der siebten und achten Klasse – damit formt er die Talente, die er dann später in der Männer-Bundesliga integrieren möchte. „Gerade in der technischen Ausbildung macht er die Jungs stark“, sagt André Laube. Was die Nachwuchsleute von Alexander Tchigir gelehrt bekommen? Vor allem eine Spielanlage, die zu einem Torwart passt. „Das Verteidigen ist die Grundlage“, sagt er selbst. „Wenn das passt, hat man eine gute Basis für Erfolg.“

Er hasst Genügsamkeit, Selbstzufriedenheit und negatives Denken

Erfolgreich sein – das treibt ihn an. „Ich“, sagte Tchigir einmal, „bin ein verrückter Sportler: Ich will jedes Spiel gewinnen.“ Seine Maxime hat sich auch als Trainer in keinster Weise geändert, egal, wie eine Paarung lautet. Gutes Beispiel ist das Viertelfinale des diesjährigen Deutschen Pokals. Potsdam musste auswärts gegen den Titelverteidiger und amtierenden Deutschen Meister Waspo Hannover ran. Amateure zu Gast bei einer internationalen Profi-Truppe. Doch von einer Unmöglichkeit, den haushohen Favoriten zu schlagen, möchte ein Typ wie Alexander Tchigir nichts hören. Sein Team verlor zwar 8:19, doch nichts schenkte er her, ließ die Dinge nicht einfach über sich ergehen. Stattdessen kämpfte er wieder außen voller Entschlossenheit mit – und empfand sein Team als derart von den Schiedsrichtern benachteiligt, dass er seinen Unmut kundtat. Die Quittung: seine erste Rote Karte als Trainer. Als ein Trainer, der zu jeder Zeit und bei jeder Konstellation vor Ehrgeiz überschwappt, stets nach dem Besten strebt.

Genügsamkeit und Selbstzufriedenheit könne er daher überhaupt nicht ab, sagt Alexander Tchigir. Ebenso das „verbreitete Negativ-Denken“. Nur wer positiv gestimmt ist, kann sich positiv entwickeln, meint er. Eine Denkweise, die sich im Potsdamer Wasserball manifestiert hat, wie der Fortschritt belegt.

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