SV Babelsberg 03: „Skandalöse und eklatante Ungerechtigkeit“
Der Nordostdeutsche Fußballverband bleibt bei seiner harten Gangart gegen den Regionalligisten SV Babelsberg 03. Dabei werden fragwürdige Parallelen offenbart. Im Mittelpunkt steht ein 73 Jahre alter Verbandsrichter.
Es bleibt dabei. Der Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) ist – stellvertretend für mehr als eine halbe Million Mitglieder – der Meinung, dass es bestraft werden muss, wenn man einer Horde Rechtsradikaler entgegenruft: „Nazischweine raus!“ Gerufen hat das ein Anhänger des SV Babelsberg 03 am 28. April dieses Jahres während des Fußballspiels gegen den FC Energie Cottbus im Karl-Liebknecht-Stadion. Dort tummelten sich im Gästeblock an die 100 Rechtsradikale; Arme wurde zum Hitlergruß gestreckt, „Arbeit macht frei. Babelsberg 03“ skandiert. Böller und Raketen flogen – auf beiden Fanseiten. Zweimal musste das Fußballspiel unterbrochen werden.
Das Sportgericht verhängte drastische Strafen gegen beide Vereine. 7000 Euro soll der SVB zahlen. Beide Klubs haben gegen die erlassenen Urteile protestiert – nur einer mit Erfolg. Während für den FC Energie das Urteil erheblich gemildert wurde, indem von ursprünglich 10.000 Euro ein Teilbetrag von 4000 Euro zur Bewährung ausgesetzt und ein zunächst verhängtes Geisterspiel zurückgenommen wurde, hat sich an der Strafe für den SVB nichts geändert. Das NOFV-Gericht hat nun nach einer zuvor abgelehnten Berufungsverhandlung auch dem Antrag des SVB widersprochen, das Verfahren wieder aufzunehmen. „Wir werden unser Recht nun auf zivilem Rechtsweg einklagen“, kündigte SVB-Vorstand Archibald Horlitz an.
Berfungsablehnung wegen eines vermeintlichen Formfehlers
Der oberste Sportrichter des Verbandes, Jürgen Lischewski, begründet die Ablehnung der Wiederaufnahme unter anderem damit, dass der SVB keine neuen Beweise oder bisher unbekannte Tatsachen benannt habe. Auch das Recht auf rechtliches Gehör sei nicht verletzt worden. Doch genau das wirft der SVB dem Verbandsgericht vor. Eben weil dieses mit dem Verweis auf vermeintliche Formfehler den Antrag des Vereins auf eine Berufungsverhandlung abgelehnt hatte, konnten gar keine neuen Tatsachen vorgetragen werden.
Der angebliche Formfehler, den Lischewski anführt: Die Berufungsschrift ist nicht vom Vorstand des SVB namentlich unterschrieben worden. Das allerdings ist längst gängige Praxis, so der Nulldrei-Vorstand: Verbandskorrespondenzen werden seit Langem über eine elektronisches Postfach verschickt, dessen Zugang nur durch ein geschütztes Passwort möglich ist. Der Verband selbst praktiziert es so – auch das Urteil gegen den SVB war namentlich nicht unterschrieben. „Muss es auch nicht“, sagt Lischewski und moniert gleichzeitig, dass unter der Berufungsschrift nur „Vorstand des SV Babelsberg 03“ stand.
Verbandsrichter handelt nicht zum ersten Mal mit zweierlei Maß
Lischewskis scheinbare Eigenschaft, die Dinge mit zweierlei Maß zu messen, ist nicht neu. Die „reine Willkür“, mit der der 73 Jahre alte oberste Sportrichter des NOFV agiert, kennt Burak Isikdaglioglu nur zu gut. Der in Berlin äußerst bekannte und engagierte Sport- und Fußballfunktionär hat ganz eigene Erfahrungen mit dem Multi-Funktionär Lischewski, der nicht nur an der Spitze des Sportgerichtes des NOFV, sondern auch des Berliner Fußballverbandes (BFV) steht. Und nach Ansicht von Isikdaglioglu die „eigenen Satzungen und Ordnungen nach Lust und Laune beugt“.
Isikdaglioglu erinnert sich an einen Fall aus der Saison 2010/11 in der Berliner Kreisliga B, der durchaus Parallelen zur aktuellen Causa SVB hat. Zwei Vereine legten gegen ein Sportgerichtsurteil Berufung ein. Nach damaliger Rechts- und Verfahrensordnung des BFV mussten auf einem Berufsantrag zwei Unterschriften des jeweiligen Vereinsvorstandes sowie der Vereinsstempel stehen. Beides habe auf dem Schriftstück des BSC Rehberge gefehlt, gegen den Isikdaglioglu damals mit dem SK Türkyurt stritt. Lischewski habe die Berufungsverhandlung dennoch zugelassen. Mehr noch: Es habe ihm genügt, dass der damalige im Urlaub weilende Rehberger Klubvorstand einem anderem Vereinsfunktionär mündlich gesagt habe, dass er den Verein in der Verhandlung vertreten kann. Zur Erinnerung: Im Fall des SVB beharrt Lischewski auf namentliche Unterschriften, eindeutige Legitimation und Identifikation von Vereinsfunktionären. Beim BSC Rehberge reichte ihm Isikdaglioglu zufolge das mündliche Wort, dass ein anderes Vereinsmitglied den Vorstand vertritt. Lischewskis urteilte für Rehberge und gegen den SK Türkyurt. Der beantragte – wie der SVB – eine Wiederaufnahme des Verfahrens: ohne Erfolg. „Wir haben uns gegen diese ungerechte Verhandlung, die mit der Sportgerichtsbarkeit nichts mehr zu tun hatte und nicht mehr unter dem Schutz der Satzung stand, gewehrt und entschieden, die Sache vor ein ordentlichen Gericht zu bringen“, berichtet Isikdaglioglu. Vor dem Berliner Kammergericht bekam der SK Türkyurt schließlich Recht.
"Mit sinnvoller Sportgerichtsbarkeit und Fairness nichts mehr zu tun"
Vertreten wurde der Verein von dem Rechtsanwalt Nathan Gelbart, der bereits 2008 erfolgreich für den TuS Makkabi gestritten hatte, nachdem bei einem Fußballspiel gegen VSG Altglienicke II Zuschauer antisemitischen Parolen gegen die jüdischen Makkabi-Spieler pöbelten. Auch in diesem Rechtsstreit hatte das BFV-Sportgericht – unter seinem damaligen Vorsitzenden und heutigem NOFV-Gerichtsbeisitzer Kriegelstein – nach seinem beschlossenen Urteil eine Berufungsverhandlung abgelehnt – mit bekanntem Tenor: wegen vermeintlicher Verfahrensfehler bei den Berufungsanträgen. Beide Vereine waren mit der Strafe nicht einverstanden: Altglienicke hielt zwei Spiele ohne Zuschauer und die Auflage, dass Spieler, Trainer und Betreuer auf teilweise eigene Kosten an einem Anti-Rassismus-Seminar teilnehmen müssen, für zu hart. Makkabi war das Urteil zu milde, zudem ging es um den verhinderten sportlichen Aufstieg des jüdischen Klubs. Weil das BFV-Sportgericht nicht mehr verhandeln wollte, ging Makkabi den zivilen Gerichtsweg – und hatte am Berliner Landgericht Erfolg. Der Streit sorgte deutschlandweit für Schlagzeilen. Der damalige Makkabi-Vorstand warf dem BFV, dessen Sportgerichtsfunktionäre auch im aktuellen Fall des SVB handelnde Akteure sind, vor: „So macht sich der Eindruck breit, dass man sich mehr oder weniger ungestraft auf deutschen Fußballplätzen antisemitisch verhalten darf.“ Auch diesmal stellt sich die Frage, warum rechtsradikale Parolen in einem deutschen Fußballstadion vom Sportgericht nicht einmal erwähnt werden, die Auflehnung gegen – inzwischen starfrechtlich geahndete – Nazi-Gesänge aber bestraft wird.
„Das erschließt sich nicht“, sagt Nathan Gelbart. Der Anwalt vertritt nunmehr auch den SV Babelsberg 03. „Mit großer Enttäuschung“ hat er die Ablehnung des Wiederaufnahmeantrages zur Kenntnis genommen, sagt Gelbart. Dadurch habe der Verband „die Chance verpasst, eine skandalöse und eklatante Ungerechtigkeit wiedergutzumachen und mit dem SVB ins Gespräch zu kommen“. Strafmaß, Urteilsbegründung und der Verweis auf angebliche Verfahrensfehler „sind reinste Schikane, die mit sinnvoller Sportgerichtsbarkeit und Fairness nichts mehr zu tun haben“. Es mache ihn äußert nachdenklich, wie willkürlich Verbandsregeln ausgelegt werden, sodass Vereine wie der SVB gezwungen werden, den Rahmen der Sportgerichtsbarkeit zu verlassen und um ihr Recht auf zivilem Rechtsweg streiten müssen. Mit viel Geld und Aufwand.
Rücktritt von Verbandsrichter Jürgen Lischewski gefordert
Burak Isikdaglioglu kennt das. Er hält es für an der Zeit, dass der 73 Jahre alte Multi-Funktionär Lischewski „den Weg freimacht für Sportrichter, denen es wirklich am Herzen liegt, gerechte und faire Urteile zu treffen und die nicht die eigenen Satzungen und Ordnungen beugen, wie es ihnen gefällt“. Isikdaglioglu fordert Lischewski öffentlich zum Rücktritt auf: „ Sie sind womöglich so weit in Ihren eigenen Interessen befangen, dass Sie sogar Rechtsextremisten gewollt oder ungewollt schützen.“ Er kann den SVB nur auffordern, „klare Kante“ zu zeigen und sich zu wehren. „Und ich hoffe, dass Babelsberg dabei viel Unterstützung erfährt“, so Isikdaglioglu.
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