Interview | Klimaforscherin Ricarda Winkelmann: „Sie hat eine ungeheure Neugier”
Ricarda Winkelmann sprach am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit Greta Thunberg. Die Wissenschaftlerin über den Besuch der Klimaaktivistin und die Bedeutung von Eisbohrkernen.
Frau Winkelmann, Sie haben am vergangenen Freitag (21.8.) zum zweiten Mal Greta Thunberg am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) begrüßt. Wie haben Sie diese 17 Jahre junge Frau erlebt?
Greta hat uns schon im März 2019 am PIK besucht und damals mit mehreren Kollegen über die neuesten Erkenntnisse der Klimaforschung geredet. Bei beiden Treffen haben wir sehr schnell auch eine lebhafte Diskussion über die physikalischen Hintergründe des Klimawandels und den Meeresspiegelanstieg geführt.
Sie beide treffen viele Menschen und reisen viel. Erkennt man sich nach einer so langen Zeit wieder?
Begegnungen mit Greta Thunberg vergisst man nicht. Und sie ist ja ganz gezielt zu uns gekommen, weil sie mehr über die Schwerpunkte unserer Arbeit erfahren wollte, über unsere Projekte zum Meeresspiegelanstieg, zur Eisdynamik und den sogenannten Kipppunkten im Klimasystem.
Sie sind seit vielen Jahren eine renommierte Wissenschaftlerin. Greta Thunberg ist eine 17-jährige Schülerin. Ist da ein wirklicher Austausch möglich?
Gerade bei einer so wichtigen Thematik wie dem Klimawandel, die Menschen jeden Alters und aus allen Weltregionen betrifft und verbindet, ist der generationenübergreifende Austausch meines Erachtens nicht nur besonders wichtig, sondern notwendig. Ich war auch am vergangenen Freitag wieder sehr beeindruckt von Gretas Intellekt und ihrem außerordentlichen Interesse an den wissenschaftlichen Grundlagen zum Klimawandel.
Was haben Sie denn als 17-Jährige gemacht?
Mit 17 hatte ich gerade angefangen, in Göttingen Physik und Mathematik zu studieren.
Sie ist sehr bescheiden im Auftritt, immer bei der Sache, wenn man mit ihr spricht.
Ricarda Winkelmann
Welche Parallelen sehen Sie zu Greta Thunberg?
Sie hat eine ungeheure Neugier und starke Willenskraft, den Dingen auf den Grund zu gehen. Ich hatte damals dieselbe Neugier, mit der sie das Leben betrachtet, und habe mich deshalb für eine Laufbahn in der Wissenschaft entschieden. Was Greta als Aktivistin in Bewegung setzt, hat natürlich eine ganz andere Dimension.
Was halten Sie für das größte Verdienst dieser jungen Schwedin?
Sie hat als Angehörige der jungen Generation die Schulstreiks für das Klima initiiert, die zur globalen Bewegung Fridays for Future gewachsen sind. Sie hat dem, was wir Wissenschaftler seit Jahrzehnten kommunizieren, mit ihren Worten eine Plattform für junge Menschen gegeben.
Thunberg hat im September 2019 auf dem UN-Klimagipfel in New York gesprochen, am vergangenen Donnerstag (20.8.) hat Kanzlerin Angela Merkel sie empfangen. Sie ist eine Ikone der Bewegung. Merkt man ihr das an, wenn sie in Potsdam zu Gast ist?
Nein. Sie ist sehr bescheiden im Auftritt, immer ganz bei der Sache, wenn man mit ihr spricht. Ihre zentrale Frage ist stets: Wie kommt man von Fragestellungen zu konkreten Lösungsansätzen?
Man liest über Greta, sie sei sehr ernst, sie lächle wenig, und das könne in Zusammenhang mit ihrer Krankheit, dem Asperger-Syndrom stehen, einer Form von Autismus. Welchen Eindruck hatten Sie von ihr?
Wir als Forscher haben sie als sehr offen und anderen zugewandt erlebt. Sie macht sich viele Gedanken, stellt tiefgründige Fragen, und geht ihren Weg sehr konsequent.
Wie kam es zu dem Besuch von Greta Thunberg an Ihrem Institut?
Sie hat das PIK kontaktiert, um ein Interview mit mir über die Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Eisschilde in Grönland und Antarktis und die Kippelemente im Klimasystem zu führen. Begleitet wurde sie dabei von einem Team der britischen BBC.
Haben Sie ihr auch den Hochleistungsrechner gezeigt, der speziell für das PIK entwickelt wurde?
Natürlich. Greta war beeindruckt davon, wie der Hochleistungsrechner für die verschiedensten Modelle genutzt wird, und wie viele Simulationen in Projektionen der Erderwärmung und seiner Folgen eingehen. Häufig erstellen wir tausende von Simulationen, um Unsicherheiten genau auszuloten.
Sie wurden 2015, mit nur 29 Jahren, zur Juniorprofessorin für Klimasystemanalyse an der Uni Potsdam und dem PIK berufen. Sie haben schon etliche Preise erhalten, unter anderem waren sie Nachwuchswissenschaftlerin des Jahres 2018.
Als Wissenschaftlerin lebe ich wirklich meinen Traum. Es ist wunderbar, dass ich meinen Beruf mit großer Leidenschaft ausüben und zu einem so spannenden und aktuellen Thema forschen kann. Mir ist es aber genauso wichtig, der Gesellschaft mit meiner Forschung etwas zurückzugeben und ein kleines Stück weit zu einem positiven Wandel beitragen zu können.
Sie waren schon zweimal in der Antarktis, bei der ersten Reise dorthin waren Sie 25 Jahre jung. 2018 waren Sie ebenfalls an Bord des Forschungseisbrechers „Polarstern”. Was beeindruckt Sie an der Antarktis?
Auch wenn die Antarktis weit weg erscheinen mag, spielt sie eine ganz entscheidende Rolle für unser Erdsystem – von der tiefen Vergangenheit bis heute. Wie kaum eine andere Kraft haben die Eisschilde über die glazialen Zyklen hinweg unsere globale Umwelt geformt – und auch heute ist ihr Einfluss nicht zu unterschätzen. Allein das schiere Volumen des antarktischen Eisschildes ist beeindruckend: Würde er komplett abschmelzen, hätte das einen weltweiten Meeresspiegelanstieg von mehr als 55 Metern zur Folge.
Mit Eisbohrkernen können wir einen Blick in die Vergangenheit werfen.
Ricarda Winkelmann
Warum sind die Eisschilde für unser Verständnis des Klimawandels so wichtig?
Die Polarregionen sind ein einzigartiges Klimaarchiv. Mit Eisbohrkernen können wir einen Blick über Hunderttausende Jahre in die Vergangenheit werfen. Bei den Bohrkernen lassen sich Altersschichten wie bei Baumringen bestimmen; die Lufteinschlüsse verraten uns eine Menge über die Temperatur, die Eigenschaften der Atmosphäre und Umwelt zu der jeweiligen Zeit.
Was muss Ihrer Meinung nach im Bereich Klimaschutz passieren?
Das Pariser Klimaschutzabkommen muss umgesetzt werden, die Politik sollte einen angemessenen CO-Preis festlegen. Und die Gesellschaft muss ihren Energieverbrauch reduzieren.
Greta Thunberg hat sich bei Ihnen für den Besuch und das Interview bedankt und Ihnen geschrieben, sie hoffe, bald wieder in Potsdam zu sein.
Es war für mich persönlich eine große Freude, Greta wieder zu treffen und mit ihr über den Klimawandel und die Eisschilde zu reden. Grundsätzlich freuen wir uns natürlich immer, unsere wissenschaftliche Expertise zur Verfügung zu stellen und begrüßen Greta, wie auch andere interessierte Vertreter aus Politik und Wirtschaft, auch in Zukunft sehr gerne am PIK.
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