Potsdamer Klimaforscher: „Das war meine Lebensleistung“
Hans Joachim Schellnhuber, eine der renommiertesten Klimaforscher der Welt, wird 70 Jahre alt. Der menschengemachte Klimawandel ist und bleibt sein Thema.
„Das war vermutlich meine größte Lebensleistung“, sagt Hans Joachim Schellnhuber und blickt an den mit Schriftstücken und Büchern vollgepackten Regalen entlang zur hohen Decke seines Büros. Der emeritierte Professor für Theoretische Physik meint nicht sein wissenschaftliches Werk, das ihn zu einem der bekanntesten Klimaforscher machte, sondern das ehemalige Königlich-Preußische Observatorium, das der 69-Jährige in knapp dreißig Jahren zum weltweit anerkannten Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) formte. Am 7. Juni wird Schellnhuber 70 Jahre alt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schreibt in seinem Glückwunschbrief an den Wissenschaftler, dieser habe „an Eindringlichkeit und Engagement nichts eingebüßt“.
Der Klimawandel, einst ein exotisches Thema
Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber (CDU) hatte den Physiker 1992 von der Universität Oldenburg als Gründungsdirektor des PIK nach Potsdam geholt. In Niedersachsen hatte Schellnhuber ein Forschungsprojekt zur Auswirkung des steigenden Meeresspiegels auf das Watt geleitet. „Damals war der menschengemachte Klimawandel noch ein recht exotisches Thema“, so der Wissenschaftler. „Aber mir war schnell klar, dass es ein Jahrhundertthema werden kann.“ Der Physiker brachte das Konzept der Kippelemente beziehungsweise Kipppunkte in die Klimaforschung ein. Zuvor war man davon ausgegangen, dass die Veränderungen im Erdsystem sich mit allmählicher Erwärmung langsam und stetig entwickeln. „Es gibt aber Kippelemente, bei denen sich der Wechsel ab einer bestimmten Temperatur abrupt und unumkehrbar vollzieht“, erläutert Schellnhuber. Dazu gehöre das Abschmelzen der Eisschilde, das Versiegen des Golfstroms oder das Entgleisen des indischen Sommermonsuns.
Angefangen hat alles in der ehemaligen Stasi-Zentrale
Auch das heute völkerrechtlich anerkannte und auf der Pariser Klimakonferenz von fast allen Staaten der Welt beschlossene Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, geht auf Schellnhuber zurück. „Wir haben damals mit rund 20 Mitarbeitern in Büros der ehemaligen Stasi-Zentrale an der Berliner Normannenstraße angefangen“, erinnert sich Schellnhuber an die Anfänge des PIK. 1994 nutzte er die Chance zum Umzug in die historischen Gebäude auf dem Potsdamer Telegrafenberg, in denen schon Albert Einstein seine Relativitätstheorie weiterentwickelt hatte. Sein wachsendes wissenschaftliches Renommee sorgte dafür, dass er das PIK stetig ausbauen konnte. „Ich hatte hochkarätige Angebote aus Großbritannien und den USA“, sagt Schellnhuber. „Und in den „Bleibe-Verhandlungen“ mit den zuständigen Ministerien konnte ich stets Mittel für die Gebäudesanierung und den Ausbau des Instituts herausschlagen.“ Inzwischen arbeiten am PIK 300 feste Mitarbeiter und bis zu 100 Gastforscher in fünf Häusern.
Seine wissenschaftliche Arbeit geht weiter
Der 69-Jährige hat im September 2018 die Leitung des PIK abgegeben. Seine wissenschaftliche Arbeit setzt er fort. „Ich stehe jeden Morgen um 5.15 Uhr auf und gehe um Mitternacht zu Bett“, beschreibt Schellnhuber seinen Alltag. „Und wenn ich nicht mit meinem zwölfjährigen Sohn unterwegs bin, geht die Forschungsarbeit weiter“, sagt er lächelnd. „Physiker sterben in den Stiefeln beziehungsweise mitten in ihren Formeln.“ Für dieses Jahr habe er sich sieben bis acht Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften vorgenommen. Er ist weiter Mitglied in wissenschaftlichen Akademien weltweit und Berater von Papst Franziskus, dessen Umweltenzyklika er 2015 mit vorgestellt hatte.
Es bleiben nur noch etwa zehn Jahre
Doch sein Ziel, dass die Erderwärmung durch eine spürbare Reduktion der Verbrennung fossiler Energie auf maximal zwei Grad begrenzt wird, hat Schellnhuber noch nicht erreicht. „Der Politik fällt es schwer, langfristige Ziele zu verwirklichen, sie sucht stets kurzfristige Lösungen“, urteilt der Wissenschaftler. Für geeignete Maßnahmen gebe es aber nur noch einen Zeitraum von etwa zehn Jahren. „Technisch, physikalisch und selbst wirtschaftlich können wir die Begrenzung noch erreichen“, sagt er. „Wenn wir noch eine Dekade verlieren, dann ist der Zug wahrscheinlich abgefahren.“ Dies sei ähnlich wie in der derzeitigen Corona-Krise, meint Schellnhuber. „Hätte man eine Woche früher reagiert, wären Zehntausende Menschen gerettet worden.“ Und am härtesten seien Länder wie die USA, Russland, Großbritannien und Brasilien getroffen. „Weil sie die Wissenschaft nicht ernst genommen haben.“ „Wenn nichts geschieht, wird die Erderwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts vier bis fünf Grad betragen“, mahnt der Wissenschaftler. „Erdgeschichtlich gesehen wäre das eine Zeitreise von 30 Millionen Jahren zurück, mit verheerenden Wetter-Extremen und Meeresspiegel-Anstieg.“ Sein Sohn könne dies noch erleben, sagt Schellnhuber. „Es ist daher unsere verdammte Pflicht unserer Generation, das Klima zu stabilisieren, um auch nachkommenden Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen.“
Klaus Peters
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