Fraktion im Stadtparlament: Potsdams Linke entmachtet ihren Chef Scharfenberg
Nach der Kommunalwahl ist die Linke-Fraktion im Potsdamer Stadtparlament geschrumpft. Jetzt verweigern die Genossen ihrem langjährigen Fraktions-Chef Scharfenberg die Gefolgschaft.
Potsdam - Nach der faktischen Entmachtung des langjährigen Potsdamer Linke-Fraktionschefs Hans-Jürgen Scharfenberg droht der in der Kommunalwahl arg gebeutelten Partei eine Zerreißprobe. Nach PNN-Recherchen wollte Scharfenberg zumindest für eine Übergangszeit weiter die Fraktion führen – was eine knappe Mehrheit aber ablehnte und dies so auch artikulierte.
So verlief die mehr als zweistündige Sitzung der Linke-Fraktion am Montagabend, bei der mit Stefan Wollenberg der bisherige Linke-Kreischef auch zum Vorsitzenden der Fraktion gewählt wurde, in frostiger Atmosphäre, mit einem vier Köpfe umfassenden Lager um Scharfenberg auf der einen und sechs teils deutlich jüngeren Linken auf der anderen Seite.
Scharfenberg holte die meisten Stimmen in Potsdam
Auch am Tag danach war die bei der Kommunalwahl von 15 auf zehn Mitglieder geschrumpfte Fraktion noch uneins. So verwies etwa der bisherige Chef des Bauausschusses, Ralf Jäkel, gegenüber den PNN darauf, dass das Vorgehen in der Fraktion nicht der Lebensleistung von Scharfenberg entspreche: „Das hat dann zu Missstimmung geführt.“
Der 64 Jahre alte Scharfenberg hatte als Linken-Zugpferd bei der Kommunalwahl erneut die meisten Stimmen in Potsdam geholt: 7721 waren es in seinem Wahlkreis, auch das allerdings rund 1000 weniger als noch 2014.
Gleichwohl hat er wie kaum ein anderer Genosse die Linke in Potsdam geprägt und wäre trotz Stasi-Vergangenheit bei seiner ersten Oberbürgermeisterkandidatur 2002 fast Rathauschef geworden. Nur wenige Stimmen trennten ihn damals von seinem Dauerrivalen Jann Jakobs (SPD). Danach bildete Scharfenberg, als die Trennlinie in Potsdam zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen noch deutlich schärfer verlief, lange Jahre das für viele Potsdamer nötige Gegengewicht zum SPD-Oberbürgermeister westdeutscher Herkunft. Jakobs allerdings verließ die politische Bühne bekanntlich bereits im vergangenen Jahr aus eigenem Antrieb. Scharfenberg verpasste den Zeitpunkt eines würdigen Abgangs – und muss nun seinen Sturz mitansehen.
Seine Verdienste für Potsdam sind unbestritten
Die eigenen Genossen haben ihm die Gefolgschaft verweigert. Längst zeichnete sich ab, dass es in der überalterten Partei grummelt, zumal Scharfenberg aus Sicht vieler potenzielle Nachfolger in der Vergangenheit meist eher bekämpft statt gefördert hatte.
Seine Verdienste für die Stadt sind unbestritten. Gegenüber Jakobs, mit dem er sich zuletzt privat gut verstand, drückte er oft linke Positionen durch – im Gegenzug ließ er den Rathauschef und das bürgerliche Lager bei der Gestaltung der Potsdamer Mitte gewähren. Nicht jeder in der Linke-Klientel war davon erbaut.
Und nicht wenige, vor allem jüngere Wähler, dürfte Scharfenberg damit in die Arme der linksalternativen Wählergruppe Die Andere getrieben haben. In den vergangenen Jahren ging es für die Partei bei den Kommunalwahlen im wachsenden Potsdam stetig bergab, von einst 33,8 auf nun 18,1 Prozent, Platz drei hinter den Grünen.
Kein Nachfolger für Scharfenberg
Doch am Niedergang haben die Scharfenberg-Gegner in der Partei einen ebenso großen Anteil. Weder vermochte es die frühere Linke-Kreisspitze um den seit 2017 in Südafrika weilenden Sascha Krämer, rechtzeitig gegen den Willen des damals noch mächtigen Leitbullen einen adäquaten Nachfolger aufzubauen. Noch schafften das Krämers Nachfolger als Kreischefs, Kati Bieseke und Stefan Wollenberg. Der jüngste Kommunalwahlkampf war an Unentschlossenheit kaum zu überbieten: Scharfenberg als – wie sein persönliches Wahlergebnis beweist – immer noch mächtiger Trumpf wurde nicht ausgespielt, eigene Akzente vor allem gegen die in den Plattenbaugebieten Stimmen wildernde AfD wurden nicht gesetzt.
Die Quittung: Wollenberg bekam bei der Kommunalwahl 2664 Stimmen, gut 5000 weniger als Scharfenberg. Krämer halbierte sein Ergebnis von 2014 sogar: Statt 3461 Stimmen in der Waldstadt kam er nun auf nur 1729 in der Innenstadt. Parteiintern waren nicht alle glücklich mit der Konstellation eines Ex-Kreischefs, der von der südlichen Hemisphäre aus immer wieder in die Potsdamer Geschäfte hineingrätschte, aber im Wahlkampf auch nur bedingt präsent war. Bald wird Krämer das wieder von Potsdam aus tun, sein familär begründeter Aufenthalt in Südafrika endet in ein paar Wochen. Noch am Wahlabend hatte Krämer ziemlich unverhohlen Scharfenberg angegriffen – und eine „personelle und inhaltliche“ Neuausrichtung der Partei gefordert. Am Dienstag sagte er, er wolle eine "moderne Linke mit sozialem Engagement, ökologische und gesamtwirtschaftlicher Verantwortung, aufgeklärter Bürgerschaft und einem Mehr an Demokratie.“
Scharfenberg will Direktmandat für Landtag verteidigen
Wollenberg ist seine Rolle im Umgang mit Scharfenberg offenbar etwas unangenehmer. So sagte er den PNN am Dienstag, er schätze Scharfenberg und wolle weiter vertrauensvoll und erfolgreich mit ihm zusammenarbeiten. Scharfenberg, der bei der Landtagswahl im September wohl wegen seines Alters zum letzten Mal sein Direktmandat im Potsdamer Süden verteidigen will, war am Dienstag nicht zu erreichen. Er habe viele Landtagstermine, ließ sein Büro wissen. Am Mittwochvormittag schließlich sagte er den PNN: "Kein Kommentar."
Streit um Verkehrspolitik
Die Personalie Scharfenberg ist nicht der einzige Spaltpilz in der Fraktion. Auch das Thema Verkehr ist umstritten – vor allem der dritte Havelübergang. Altvordere Autolobbyisten wie Jäkel wollen ihn gebaut sehen, Wollenberg und die Fraktionsmehrheit lehnt das ab. Gegensätzliches Abstimmungsverhalten – daran wird man sich bei den Linken gewöhnen müssen. So verwies Jäkel auf einen Parteitagsbeschluss aus dem Februar, wonach die Genossen sich damals durchaus dafür positionierten, den Verkehr um das Zentrum Potsdams herumzuführen – auf einer Umgehungsstraße wie das Projekt Havelspange. „Diesen Meinungsunterschied" mit der Mehrheit der Fraktion und auch Wollenberg werde "man nicht unter einen Teppich kehren können“, sagte Jäkel. In solchen Fragen werde er dann eben anders als seine Fraktionskollegen abstimmen, machte er deutlich. Jäkel hatte bei der Kommunalwahl 2000 Stimmen erreicht, 700 mehr als noch 2014.
Schafft Wollenberg seine Arbeit?
Noch eine Sorge haben manche Genossen. Schafft Wollenberg überhaupt seine Arbeit? Denn auf ihn wartet nun eine Mehrfachbelastung – als Landesgeschäftsführer der Linken sowie Potsdamer Kreis- und eben auch Fraktionschef, dazu ist er auch noch PR-Berater. Dazu erklärte Wollenberg auf Anfrage, er wolle versuchen, gerade die ehrenamtliche Arbeit zu reduzieren. Zudem habe er im mit einer Doppelspitze besetzten Kreisvorstand und in der Fraktion eben auch Helfer.