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Der 64-Jährige wollte sich selbst umbringen und fuhr gegen eine Hauswand im Industriegebiet in Plötzin.
© Julian Stähle

Angriff von Noch-Ehemann: Frau stirbt nach Gewalttat in Glindow

In Glindow ist es am Montagabend zu einem mutmaßlichen Femizid gekommen. Das Motiv für die Tat soll "ein Trennungsstreit" gewesen sein. Der Täter wollte danach Selbstmord begehen. 

Werder (Havel) - Eine grausame Gewalttat hat sich am Montagabend im Glindower Gemeindeteil Elisabethhöhe in Werder (Havel) zugetragen: Ein 64-jähriger Mann soll nach Polizeiangaben seine 40-jährige Frau so schwer verletzt haben, dass sie trotz Wiederbelebungsmaßnahmen noch vor Ort an den Folgen verstarb. Der Täter soll zudem versucht haben, die Frau in einem Teich im Garten zu ertränken. Nach der Tat hat der Mann in seinem Auto die Flucht ergriffen, teilte die Polizei mit. Kurze Zeit später wurde er in einem Industriegebiet in Plötzin gefunden. Er ist laut Polizeiangaben frontal gegen eine Hauswand gefahren. Schwerverletzt wurde er in ein Krankenhaus gebracht und ist laut den Ermittlern am Dienstag noch nicht ansprechbar gewesen. 

Mann soll sich nach Tat versucht haben, umzubringen

Die Potsdamer Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen übernommen und Haftbefehl wegen Totschlags beantragt. Das Strafmaß liegt dafür zwischen fünf und 15 Jahren. Das Motiv soll ein "Trennungsstreit unter Eheleuten" gewesen sein, so der Leiter der Staatsanwaltschaft, Wilfried Lehmann. „Wir gehen davon aus, dass der Unfall nach der Flucht in suizidaler Absicht erfolgt ist.“ Der Mann hat nach der Bluttat versucht, sich das Leben zu nehmen. Laut dem Oberstaatsanwalt soll es mehrere Zeugen geben, der Ehemann sei bisher der Tatverdächtige. Zur Tatwaffe sowie zum Ablauf der Tat wollte sich Lehmann mit Verweis auf den Beginn der Ermittlungen noch nicht äußern. 

Paar soll 20 Jahre zusammengelebt haben, dann wollte sie sich trennen

Der Hausbesitzer, auf dessen Grundstück sich die Tat ereignete und der auch die Polizei alarmierte, zeigte sich gesprächiger. Nach seinen Informationen soll sich das Paar, das seit rund 20 Jahren zusammen war und im Potsdamer Ortsteil Marquardt lebte, in Trennung befinden. Gemeinsam hätten sie einen elfjährigen Sohn und eine 14-jährige Tochter, so der Hausbesitzer Axel Fries.  Auf die Frage, warum die Frau mit ihren Kindern derzeit in seinem Haus lebte, erklärte Fries, dass die Verstorbene in den Ferienwohnungen von Fries in Elisabethhöhe sauber gemacht hätte und eine Bekannte seiner Frau sei. „Da der Ehemann die ganze Familie vor einer Weile bedroht hatte, habe ich, da ich coronabedingt keine Ferienwohnungen vermieten kann, der Familie angeboten, hier unterzukommen.“ Laut Fries habe die 40-jährige Frau ihren Mann wegen eines neuen Partners verlassen wollen. Seit rund vier Wochen soll die Frau mit ihrer Schwester und den zwei Kindern in Glindow gelebt haben. 

Der Täter soll am Küchentisch plötzlich ein großes Messer gezückt haben

Zur Tat selbst sagte Fries, dass der Noch-Ehemann am Montagabend mit Abendessen für die ganze Familie vorbeigekommen sein soll. Auch zuvor soll er für Besuche auf dem Grundstück gewesen sein, unter anderem Blumen soll er der Verstorbenen gebracht haben. Am Küchentisch jedoch soll er am Abend der Tat ein großes Armeemesser gezückt und die Frau damit bedroht haben, zu einem Streit soll es nicht gekommen sein – das hätte Fries’ Frau, die eine Etage tiefer saß, sonst gehört. Das Paar mitsamt den Kindern soll kurze Zeit später im Garten zu sehen gewesen sein, nach Fries’ Aussagen soll der Mann die Frau von hinten angegriffen und verletzt haben, beide Ehepartner sollen daraufhin im Teich gelegen haben. Fries alarmierte die Polizei und eilte der Frau zur Hilfe. Ihr Mann soll sie mit dem Kopf untergetaucht haben. 

Kinder sollen Gewalttat offenbar mitangesehen haben

Als Fries den Täter aufforderte aufzuhören, soll er mit einer Schreckschusspistole auf ihn geschossen haben. Auch der Sohn, der versucht haben soll, seine Mutter zu retten, soll vom Vater mit der Waffe bedroht worden sein. Die Kinder, die offenbar die Tat mitansehen mussten, würden laut Fries unter Schock stehen und sollen in einer betreuten Einrichtung untergebracht worden sein. Die Inobhutname bestätigte auch der Landkreis.
Für die Sprecherin des Frauenpolitischen Rat Brandenburg, Heiderose Gerber, handelt es sich um einen mutmaßlichen Femizid. Damit ist die geschlechtsspezifische Tötung von Frauen gemeint. Der Begriff soll verdeutlichen, dass es sich nicht um ein Ehedrama oder einen eskalierten Ehestreit handelt, sondern dass ein Mann ganz gezielt seine Frau umbringt, so Gerber. Sie sieht auch Parallelen zu dem Mord eines Ehemanns an seiner Frau in Teltow im vergangenen Jahr.
Das Autonome Frauenzentrum in Potsdam, das als Träger des Potsdamer Frauenhauses auch im Landkreis Potsdam-Mittelmark zuständig ist, fordert besonders jetzt, in der coronabedingten Isolation, zur erhöhten Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt an Frauen auf. „Durch die Kontaktbeschränkungen im Zuge der Coronapandemie hat sich die Situation in vielen Haushalten nochmals zugespitzt“, so Gerber. Aus Angst, sich mit Corona zu infizieren, würden derzeit viele Frauen darauf verzichten, persönlich zu Beratungsstellen, Frauenhäusern oder der Polizei zu gehen und dort um Hilfe zu bitten. 

Gerade in Coronazeiten genauer hinschauen, was bei Nachbarn, Freunden, Bekannten passiert

Auch das Frauenzentrum habe einen rapiden Einbruch an Beratungsanfragen in der Coronakrise registriert. Nachbarn, Freunde und Bekannte sollten sich trauen, und aus ihrer Sicht problematische Situationen zur Sprache bringen. Gerber schlägt unter anderem vor, die Kontaktdaten des Frauenhauses, der Frauenberatungsstelle oder des Hilfetelefons „Gewalt gegen Frauen“ im Treppenhaus auszuhängen oder in Briefkästen zu verteilen. „Im Zweifel gilt: Die Polizei rufen“, sagte Gerber.  Der mutmaßliche Totschlag in Werder ist laut dem Frauenpolitischen Rat kein Einzelfall: Deutschlandweit wurde 2018 etwa jeden dritten Tag eine Frau durch ihren Mann, Partner oder Ex-Partner getötet – das entspricht insgesamt 118 Frauen. Das Motiv ist fast immer die Trennungsabsicht der Frau oder eine bereits erfolgte Trennung, welche der Ex-Partner nicht akzeptieren will. 2018 verzeichnete das Land Brandenburg 3.131 Frauen, die körperlichen und/oder sexualisierten Gewaltdelikten ausgesetzt waren. „Die gefährlichste Situation für Frauen ist die in Werder, wenn die Frau ernst macht und auszieht“, so Gerber. Der Mann bemerkt, dass er keinen Zugriff mehr auf sie habe, „sie aus seinem Machtgebiet verschwindet“. Wenn Frauen sich aufgrund der Kinder weiterhin mit den Ex-Partnern in Kontakt bleiben müssen, könne die Gefährdungssituation noch lange bestehen bleiben. „Gut wäre es, wenn auf Grundlage einer Gefährdungseinschätzung Frauen einen Notfallknopf wie in Berlin oder den Niederlanden bekommen könnten.“ Werde der Knopf gedrückt, sei die Polizei schnell vor Ort. 

Das Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser forderte am Dienstag eine sicherheitspolitische Strategie gegen die Femizide: „Sie müssen auch als politisch-motivierte Verbrechen verstanden werden“, so die Sprecherin des Netzwerk der brandenburgischen Frauenhäuser, Bärbel Heide Uhl. Die Motivlage des Täters sollte laut Uhl im Mittelpunkt der Strafverfolgung stehen und nicht das Verhalten des Opfers – mit Fragen wie: Warum hat sie ihn nicht verlassen? 

Was sollte man tun, wenn man einen Verdacht hat? Wie kann man helfen?
Die Berater des bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, die unter der kostenlosen Nummer 08000 116 016 zu erreichen sind,
  helfen nicht nur betroffenen Frauen, sondern beraten auch und gerade Nachbarn, Freunde und Angehörige. Gemeinsam wird überlegt, wie in der jeweiligen Situation von Gewalt betroffene Frauen am besten unterstützt werden können. Außerdem gibt es in Deutschland das Gewaltschutzgesetz, das unter anderem die Möglichkeit einer Wegweisung vorsieht. Der Täter kann damit vor Ort ohne richterlichen Beschluss der Wohnung verwiesen werden. So bleiben von Gewalt betroffene Frauen und Kinder geschützt in der Wohnung. 

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