Tatort Chopinstraße: Die Straftat in Teltow ist kein Einzelfall
Eine 60-Jährige wurde von ihrem Ehemann in Teltow durch Stiche in den Oberkörper tödlich verletzt. In Deutschland werden immer wieder Frauen von ihren Partnern getötet.
Teltow - Es sieht so aus, als wäre nichts passiert. Rund eine Woche nach der schrecklichen Tat in der Chopinstraße in Teltow, bei der ein Ehemann seine Frau umgebracht haben soll, herrscht im Musikerviertel Kleinstadtidylle wie eh und je. Einfamilienhäuser reihen sich aneinander, im Vorgarten Kinderschaukeln und frisch gemähter Rasen. Das Haus der Familie sieht einladend aus. Mit viel Holz an der Fassade, am Haus aufgestapelten Holzscheiten – für Winterabende am Kamin. Vor dem türkisfarbenen Tor zur Einfahrt liegen weder Blumen noch wurden Kerzen aufgestellt. Das einzige Indiz, das etwas anders ist als sonst, sind die zugezogenen Vorhänge an den Fenstern.
Das Opfer soll nett und hübsch gewesen sein, sagen Nachbarn
In der Nachbarschaft nimmt man dennoch Anteil, still und fassungslos. Das was passiert ist, sei sehr ungewöhnlich für hier, sagt ein Anwohnerin aus dem Viertel und geht mit ihrem Hund schnell weiter. Eine andere kann nur den Kopf schütteln. Es sei unglaublich, „so eine nette und hübsche Frau“. Sie hat sie immer „mit dem Hund gehen sehen“, ab und zu mit ihr gesprochen. Über was? Nichts bestimmtes, den Garten, das Wetter. Mehrere Stiche in den Oberkörper sollen es gewesen sein, die für die Frau in der Nacht zu Freitag tödlich waren, das teilte die Staatsanwaltschaft Potsdam auf Anfrage mit. Mit was der Ehemann seine Frau attackiert hat, will die Behörde aus ermittlungstechnischen Gründen nicht sagen. Die Tatwaffe jedoch wurde gesichert.
Warum der Mann seine Frau angriff, ist noch unklar
Zur Tat selbst ist auch nach rund einer Woche noch wenig bekannt. Warum der Mann seine Frau angegriffen hat, warum die Gewalt derart eskalierte, darüber gibt es bisher nur Spekulationen. Medienberichten zufolge soll sich das Paar in Trennung befunden haben, die 60-jährige Frau wollte ihren 57-jährigen Mann verlassen. Wie die „B.Z.“ berichtete, soll er im Bundestag arbeiten. Sie wiederum soll laut Medienberichten mehrere Jahre im Büro einer Fahrschule tätig und Hausfrau gewesen sein.
Fragt man vor Ort nach der Familie, erzählen Nachbarn, dass man sich vom Sehen kannte. Nett sollen sie gewesen sein, einer von ihnen immer mit dem Hund unterwegs. Hundebesitzer gibt es viele im Teltower Musikerviertel mit seinen Grünzügen – doch so richtig kannte die Familie offenbar niemand. Als höflich, aber distanziert, beschreibt ein junger Nachbar den Kontakt zu der Familie. Ein anderer erzählt, dass sie vor 15 bis 18 Jahren aus Bonn zugezogen seien. Zwei erwachsene Kinder, eine Tochter und einen Sohn, sollen sie haben. Der Sohn lebt wohl noch im Elternhaus. In den letzten vier Wochen hätte er den Mann nicht mehr mit dem Hund Gassigehen gesehen, erzählt der Nachbar. Und dann sagte er noch, dass er von einem anderen Nachbarn gehört habe, dass die Frau von ihrem Mann immer wieder attackiert worden sein soll.
Tatsächlich waren es laute Schreie, die Nachbarn in der Nacht zu Freitag aufhorchen ließen, sie alarmierten die Polizei. Die trafen vor Ort auf den schwerverletzten Mann und die tödlich verletzte Frau. Dass es Streit gab zwischen dem Paar ist nicht neu: Der Mann soll seiner Frau aufgelauert haben, wie die „Märkische Allgemeine“ berichtet. Die Zeitung will auch erfahren haben, dass die 60-Jährige ein Kontaktverbot gegen ihren Mann erwirkt haben soll. Er aber soll sich nicht daran gehalten haben. Gegen ihn wurde nun Haftbefehl erlassen.
140 Todesopfer in 2017, 80 Prozent Frauen
Die Staatsanwaltschaft will diese Vorgeschichte auf Anfrage nicht bestätigen. „Das ist Gegenstand der Ermittlungen“, so die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Dorina Dubrau. Das Amtsgericht, das ein solches Verbot ausgesprochen haben könnte, verweist wiederum auf die Ermittler, denen es jetzt obliegt, Details an die Presse zu geben oder nicht.
Der Fall aus Teltow zeigt, dass Gewalt an Frauen, die tödlich endet, in Deutschland nicht selten ist: Laut einer Studie zur Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamts kam es im Jahr 2017 deutschlandweit zu 455 Tötungsdelikten, in 140 Fällen mit Todesfolge. In 80 Prozent der Fälle waren Frauen betroffen. Nach Zahlen des Bundeskriminalamtes versucht in Deutschland im Durchschnitt fast jeden Tag ein Mann, seine Frau oder Ex-Partnerin umzubringen. 2018 wurden bundesweit 123 Frauen von ihren Lebensgefährten oder Ex-Männern getötet, hinzu kamen 208 Mord- beziehungsweise Totschlagsversuche in Partnerschaften.
Im Land Brandenburg wurden im Jahr 2017 insgesamt 4254 Straftaten im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt in der Polizeilichen Kriminalstatistik registriert. Auch hier sind es zu knapp 80 Prozent Frauen, die von Gewalt betroffen sind. 13 Straftaten gegen das Leben wurden 2017 erfasst, darunter zwei Morde und elf Fälle des Totschlags, von denen sechs als Versuche gewertet wurden.
Den größten Anteil an den Straftaten der häuslichen Gewalt nahmen mit rund 87 Prozent die Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit ein. Die höchste Steigerung gab es erneut bei den Körperverletzungen, knapp 3000 Straftaten waren es im Jahr 2017.
Täter kommen oft ungestraft davon
Was nicht in der Statistik steht: Die Täter kommen oft ungestraft davon. „Bei häuslicher Gewalt werden zwischen 70 und 75 Prozent der Verfahren eingestellt, weil die Frauen die Aussage verweigern oder es Aussage gegen Aussage steht“, sagt Henrike Krüsmann, Sozialarbeiterin aus Michendorf, die Frauen begleitet von der Anzeige bei der Polizei bis vor Gericht. Krüsmann arbeitet auch als Koordinatorin bei der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen. Das Problem, warum sich viele Frauen nicht oder zu spät Hilfe holen ist, dass häusliche Gewalt „sehr schambelastet und schuldbesetzt ist“. Viele Frauen hätten Angst, dass man ihnen nicht glaubt – besonders dann, wenn die soziale Stellung des Partners hoch ist. Wenn der Mann einen guten Job hat, nach außen hin nett wirkt und sich womöglich noch ehrenamtlich engagiert, „dann werden die Vorfälle von außen oft ganz anders bewertet und gesehen.“
Frauen sind in Trennungssituationen besonders gefährdet
Besonders gefährlich werde die Situation für Frauen in der Phase der Trennung oder direkt danach, so Krüsmann. „Männer denken dann oft, dass sie alles verlieren, sie merken, dass ihre Macht schwindet, wenn die Frau geht.“ Partner würden häufig Gewalt im Falle einer Trennung androhen. Gleichzeitig würden Frauen das Gefährdungspotenzial zum Teil unterschätzen. „Es ist auch unvorstellbar, dass jemand mit dem man Jahrzehnte lang zusammenlebt, zusammen Kinder und ein Haus hat, so gewalttätig sein kann“, so Krüsmann.
Unter der kostenlosen Telefonnummer 08000 - 116 016 beraten und informieren die Mitarbeiterinnen des Hilfetelefons zu allen Formen von Gewalt gegen Frauen