Brandenburg: Mehr häusliche Gewalt in Potsdam
Trauriger Spitzenreiter in Brandenburg: In Potsdam stieg die Zahl von häuslichen Gewaltfällen. Jugendliche sollen jetzt für Beziehungsthemen sensibilisiert werden.
Potsdam - Zwei Mädchen, die eine 17, die andere 19 Jahre alt, sitzen zusammen an einem Tisch und grübeln. Das Thema: Nähe in Liebesbeziehungen. Ob es zum Beispiel okay sei, einmal im Monat das Handy des Partners zu durchforsten? So etwas gehe gar nicht, findet die 17-Jährige. Das Gespräch der beiden findet in einem fünfminütigen Video statt. Es ist Teil der am Donnerstag gestarteten Kampagne „Was geht bei Euch? – Beziehungen auf Augenhöhe“ vom Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff), die im Potsdamer Frauenzentrum vorgestellt wurde.
Bilder von gleichberechtigten Beziehungen vermittelt
Der Verband möchte, dass Jugendliche und junge Erwachsene sich mit den eigenen Vorstellungen und Wünschen an eine Beziehung auseinandersetzen, dass sie miteinander ins Gespräch kommen, sich mitunter auf humorvoller Ebene austauschen. Außerdem sollen Bilder von gleichberechtigten Beziehungen vermittelt werden – um im besten Fall Gewalt vorzubeugen. Oder um denjenigen, die von Gewalt betroffen sind, Auswege aufzuzeigen. Der Potsdamer Mädchentreff Zimtzicken beteiligt sich an der Kampagne. So kommen etwa die vier weiblichen Darstellerinnen im Video aus Potsdam. Anlass gibt der Internationale Tag gegen Gewalt an Frauen am Sonntag.
Solche Präventionsarbeit erscheint dringend notwendig. Die aktuelle Statistik zu Fällen von häuslicher Gewalt im Jahr 2017 zeigt ein trauriges Ergebnis: Allein in Potsdam hat die Polizei 441 Fälle festgestellt. Ein Jahr zuvor waren es 403 Fälle – die Zahl stieg demzufolge um 9,4 Prozent an. Und hier spreche man lediglich von den sogenannten Hellfällen, erklärte Heiderose Gerber, geschäftsführende Vorstandsfrau des Vereins Frauenzentrum Potsdam. „Die Dunkelziffer ist weitaus höher“, sagte sie. Denn erfahrungsgemäß würden nur 20 Prozent der Fälle überhaupt gemeldet werden.
Potsdam ist trauriger Spitzenreiter
Potsdam ist mit einem Anteil von 7,8 Prozent an den im Land erfassten 4254 Fällen sogar Brandenburgs Spitzenreiter. „Es ist davon auszugehen, dass sich meistens die Frauen in den Opferrollen befinden“, so Gerber. In 73,2 Prozent aller Brandenburger Fälle sind Frauen die Opfer von häuslicher Gewalt, in 20,2 Prozent der Fälle sind Frauen Täterinnen. Für die Landeshauptstadt sind hier keine genauen Zahlen bekannt. Ein einziges positives Detail: Die Zahl der Straftaten, die sich gegen die sexuelle Selbstbestimmung richteten, sank im Vergleich zum Vorjahr um 18 Straftaten. Ob vielleicht nur weniger gemeldet wurden, bleibt ungewiss.
Zurück zu der Kampagne – und einer anderen Videoszene, Thema: Sex. „Hast du zur Zeit Sex mit jemandem?“, fragt da ein junger Mann einen anderen. „Na jetzt gerade nicht“, antwortet der und lacht herzhaft. In wieder einer anderen Szene spricht ein Mädchen darüber, dass sie Sex außerhalb der Beziehung zulassen würde. Ihre Gesprächspartnerin könnte sich das niemals vorstellen. Neben den Themenkomplexen Nähe beziehungsweise Distanz und Sexualität, spielt auch das Thema Kommunikation eine wichtige Rolle bei der Aktion. Zu jedem der drei Themen hat der Verband bff einen Beziehungstest gestaltet: Wie viel Nähe brauchst du? Soll ein Paar über alles reden? Die Tests gibt es online oder auf Plakaten, die bestellt werden können. „Es wäre schön, wenn in vielen Schulen Plakate aufgehängt werden“, sagt Elena Riese, Sozialpädagogin vom Mädchentreff Zimtzicken.
Themen Beziehung und Sex zu wenig im Unterricht
Ein großes Problem sei, dass über die Themen Beziehung, aber auch Sex, nicht ausreichend in den Schulen geredet werde, so Riese. „Wir hatten kaum Sexualkunde und zuletzt haben wir mit Büchern von 1998 gearbeitet“, berichtete Hong Anh Nguyen, die im Kampagnenvideo mitspielt. Von der Aktion ist die 16-jährige Potsdamerin begeistert: Sie könne sich nun viel besser selbst reflektieren. Bedrängt man den Partner? Die eigene Rolle wird in den Tests hinterfragt. Ein weiteres Problem sei, dass viele Frauen zu lange warten würden, sagt Heiderose Gerber. „Es ist besser, schon nach der ersten Ohrfeige Hilfe zu suchen“, rät sie – oft hätten Frauen aber Angst, dass ihnen etwa ihre Kinder weggenommen werden. Vielen sei auch gar nicht bewusst, dass das Gewalt ist, was sie erleben, so Riese.
Betroffene können sich jederzeit in den Einrichtungen des Frauenzentrums telefonisch einen Termin geben lassen oder direkt vorbeikommen. Auch eine juristische Beratung gibt es dort kostenlos. Betroffene würden immer anonym bleiben, es gebe auch einen gesonderten Eingang, betont Gerber. Als einzige Fachberatungsstelle Brandenburgs hätten sie jedoch viel aufzuholen. Auch der Fachkräftemangel mache sich bemerkbar – zum Glück gebe es viele Ehrenamtliche. „Ich hoffe, wir können alles auffangen“, so Gerber.
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