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Van Goghs "Stillleben mit einem Teller Zwiebeln" von 1889 ist eigentlich ein verstecktes Selbstporträt.
© Kröller-Müller Museum, Otterlo, Niederlande

Interview mit Barberini-Kurator Michael Philipp: „Zwiebeln stehen für Leid und Tränen“

Am Freitag eröffnet die Ausstellung „Van Gogh. Stillleben“ im Museum Barberini. Der Kurator Michael Philipp verrät mehr über den großen Meister und dessen Vorliebe für Kürbisse sowie Kartoffeln.

Von Helena Davenport

Herr Philipp, Vincent van Gogh lebte in ärmlichen Verhältnissen. Stimmt es denn, dass er kein Geld für Modelle hatte, weswegen er so viele Stillleben malte?

Das ist ein Klischee, das sich gehalten hat. Ja, es ist so, dass er Modelle im Allgemeinen bezahlen musste und das Geld nicht hatte. Aber er hätte ja auch Landschaften malen können oder etwas anderes. Stillleben jedoch malte er in großer Zahl und zwar während seiner ganzen Laufbahn. Van Gogh war bis 1885 in den Niederlanden und ist anschließend nach Paris gegangen, mit einem Abstecher in Antwerpen. Bevor er nach Paris kam, schreibt er in einem Brief: „Ich habe gehört, es gibt den Impressionismus. Ich weiß nicht, was das ist.“ Er geht in Paris in Ausstellungen, und auch durch seinen Bruder, einen Kunsthändler, lernt er die aktuelle Kunst kennen. Es gibt einen Maler, der heute nahezu unbekannt ist: Adolphe Monticelli. Er hat Blumenstillleben gemalt hat und war Van Goghs großes Vorbild. Was er von Monticelli hat, sind die helleren, farbigen Hintergründe und den pastosen Farbauftrag.

Und warum haben Sie sich bei der Konzeption der Ausstellung ausschließlich auf Stillleben konzentriert?

Es hat über alle Aspekte Van Goghs Ausstellungen gegeben. Über die Porträts, die Landschaften, die Bilder in Paris, die Bilder in Arles. Aber noch nie gab es eine Ausstellung, die sich ausschließlich mit Stillleben beschäftigt hat. Was wir hier zeigen, ist insofern ein neuer Blick, als dass wir ein für Van Gogh wichtiges Genre in den Fokus nehmen, das bisher unter dem Radar geblieben ist. Das ist erstaunlich, weil Van Gogh über 800 Bilder gemalt hat und darunter mehr als 170 Stillleben. Das ist ein Fünftel. Wie kann man sagen, ein Fünftel des Werkes ist nur Nebensache? Dazu kommt: Van Gogh hat Zeit seines Lebens Stillleben gemalt. Zwar in unterschiedlicher Intensität, aber immer und immer wieder. Sein allererstes Ölgemälde ist ein Stillleben, und in den letzten sechs Wochen, die er in Auvers-sur-Oise verbrachte, hat er 80 Bilder gemalt, von denen zehn Stillleben sind. Das heißt, von 1881 bis 1890 findet sich dieses Genre, und wir zeigen in der Ausstellung diese ganze zeitliche Spanne. Weil die Entwicklung mit den jeweiligen Orten in Verbindung steht, an denen Van Gogh lebte, haben wir Bilder aus Den Haag, aus Nuenen, Paris, Arles, Saint-Rémy und Auvers. Mit dieser Ausstellung wird erstmals deutlich, welchen Anteil die Stillleben an seinem Oeuvre haben.

Kurator Michael Philipp.
Kurator Michael Philipp.
© Andreas Klaer

Sie haben sein erstes Bild erwähnt. Wie begann Van Goghs Laufbahn?

Er war 27 Jahre alt, als er anfing, sich überhaupt mit Kunst zu beschäftigen. Er hat mit Zeichnungen begonnen. Er hatte einen angeheirateten Cousin, Anton Mauve, der in Den Haag lebte. Van Gogh besuchte ihn und lernte von ihm die ersten Schritte in der Ölmalerei. An seinen Bruder Theo schreibt er: ,Ich rechne jetzt damit, am Anfang von etwas Ernstzunehmenden zu stehen.' Zwischendurch hat Van Gogh andere Sachen gemacht, und er kam erst drei Jahre später wieder auf das Thema Stillleben zurück. Er lebte in Nuenen bei Eindhoven und hat drei Amateurmaler unterrichtet, denen er erklärte: „Stillleben malen ist der Anfang von allem. Wenn du eine Kartoffel malen kannst, kannst du alles malen.“

Die ersten Stillleben sehen sehr dunkel aus.

Die Bilder sind vermutlich ein bisschen nachgedunkelt, aber tendenziell sind sie so dunkel angelegt. Bei seinen ganz frühen Stillleben sieht man auch, dass es Van Gogh erst einmal nur darum geht, Raum zu schaffen, mit Licht und Schatten zu operieren. Was sich aber durch das ganze Werk zieht: Raum ist eigentlich nicht sein Thema. Das sieht man etwa anhand des Gemäldes „Stillleben mit fünf Flaschen“ von 1885. Die Tischplatte ist so schräg dargestellt – da müsste die Genever-Flasche eigentlich herunterrollen. Es geht Van Gogh zunächst nur um die Beziehung der Objekte zueinander. Wenig später fängt er an, mit Farbe zu experimentieren. Er kennt die niederländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts. Frans Hals und Rembrandt sind seine großen Helden aus der Vergangenheit. Bei ihnen ist alles braun dargestellt, fast monochrom. Über Bilder wie diese schreibt er ausführlich an seinen Bruder, seitenlang. Auch darüber, wie er dann die unterschiedlichen Farbschattierungen herstellt. Er malt eine ganze Serie, neun Bilder, von Kürbissen und Kartoffeln. Aber letztlich geht es nicht darum, was es ist, sondern es geht um die Fragen: Wie bekomme ich die Farbe da rein? Wie kann ich sie akzentuieren?


Was ist das Besondere an seinen Stillleben?

Eine Besonderheit ist, dass er einige von ihnen symbolisch auflädt. Van Gogh war ein großer Naturfreund und hat auch eine Serie mit Vogelnestern gemalt. Er wusste genau, von welchen Vögeln die Nester sind. Auch hier geht es natürlich wieder um die Farbe. Außer einer rein künstlerischen, haben diese Gemälde aber auch eine inhaltliche Bedeutung. An seinen Bruder schreibt Van Gogh sinngemäß: „Diese Vogelnester sind mir so lieb, sie sind wie die Hütten auf der Heide.“ Das heißt also, hier taucht ein Vogelnest als Ausdruck von Geborgenheit, Heim auf.

Sie haben ja bereits erwähnt, dass es keine andere Ausstellung gab, die die Stillleben in den Blick genommen hat. Wie verlief denn die Arbeit an der Ausstellung?

Wir arbeiten an dem Thema seit sechs Jahren. Das ist auch der Vorlauf, den man benötigt, um die Bilder zu bekommen. Wir haben uns als erstes an das Kröller-Müller Museum in Otterlo, dann an das Van Gogh Museum in Amsterdam gewandt und über Kooperationsmöglichkeiten gesprochen. Das sind die Häuser mit den wichtigsten Sammlungen zu Van Gogh. Ansonsten zeigen wir drei Bilder aus Privatsammlungen außerhalb Europas. Eines dieser Bilder war jahrzehntelang nicht öffentlich zu sehen. Dann Bilder aus vier Häusern in den USA, aus der Schweiz, Frankreich, Österreich.


Und welche Bedeutung hatte für Van Gogh selbst das Stillleben?

Das „Stillleben mit einem Teller Zwiebeln“, unser Titelmotiv, ist ein verstecktes Selbstporträt. Nach einer persönlichen Krise schreibt er an seinen Bruder: „Ich fange mit Stillleben an, um mich wieder an das Malen zu gewöhnen.“ Alle Gegenstände auf dem Gemälde haben eine Bedeutung. Die Kerze ist von seinem Stillleben „Gauguins Stuhl“ bekannt. Der abgebildete Brief ist von seinem Bruder Theo – die beiden haben sich fast jeden zweiten Tag geschrieben. Theo war seine wichtigste Bezugsperson, die ihm vor allem auch Geld geschickt hat. Bei dem gezeigten Buch ist der französische Titel lesbar: „Jahrbuch für Gesundheit“. Van Gogh hatte nicht nur eine psychische Krise, er war auch körperlich angeschlagen. Dieses Buch enthält Tipps zum Gesundwerden. Pfeife und Tabak tauchen bereits in seinem Gemälde „Van Goghs Stuhl“ auf und sind in diesem Stillleben ebenfalls abgebildet. Dort ist auch eine Kiste mit Zwiebeln zu sehen. Zwiebeln – scharf, tragisch –, stehen für Leid und Tränen, sind aber auch ein Symbol für Wachstum. Van Gogh kommt also nach der Entlassung aus dem Krankenhaus zurück nach Hause und fängt an, sich zu besinnen, anhand dieses Gemäldes. Das zeigt, was Stillleben für ihn bedeuteten. Dass Künstler durch bestimmte Gegenstände Leute porträtiert haben, gab es schon im 17. Jahrhundert. In dieser Tradition steht dieses Bild. Es ist also auch ein Rückgriff auf seine niederländische Herkunft.

Er hatte wie bereits gesagt kaum Geld. War ihm die Rezeption seiner Werke überhaupt wichtig?

Dass er nur ein Bild verkauft hat, ist übrigens ein Klischee. Er hat mehr als eines verkauft. Aber tatsächlich ist es so, dass er weithin auf Unverständnis gestoßen ist. Er war aber keineswegs ein einsamer Mensch. Er war mit Paul Signac, mit Paul Gauguin, mit Henri de Toulouse-Lautrec befreundet, hat also mit Künstlern verkehrt, mit ihnen Bilder getauscht und korrespondiert. Er wollte immer mit ihnen gemeinsam ausstellen. Sie waren untereinander jedoch zerstritten, was das Ganze schwierig gemacht hat. Van Gogh war dennoch aktiv in der Künstlerszene, und die Kollegen haben seine Bilder geschätzt. In seinen Briefen betonte er auch immer wieder, dass er etwas Verkaufbares produzieren möchte. Aber er hatte keinerlei Einkommen, sein Bruder hat ihn finanziert. Er schreibt an ihn, dass er hofft, der Verkauf seiner Bilder würde das Geld aufbringen, dass Theo für seinen Lebensunterhalt zur Verfügung stellt. Die große Anerkennung blieb also aus, bis der wichtige Kunstkritiker Albert Aurier 1889 einen hymnischen Artikel über ihn schreibt. Van Gogh suchte Anerkennung, hat diese aber nur bei Kollegen beziehungsweise erst sehr spät bei diesem Kunstkritiker erhalten.

Hatte er Lieblingsmotive?

Manche Themen ziehen sich durch: Fische zum Beispiel, die er bereits in Paris gemalt hat, hat er auch in Arles gemalt. Dann Früchte. Angefangen hatte er mit dunklen Früchten, mit Kartoffeln, Äpfeln und Birnen. Später waren es Zitronen und Apfelsinen. Blumen begegnen einem immer wieder. Aber alles ist stilistisch so unterschiedlich, dass man sich wundert, dass das alles von ein und demselben Künstler ist. Daran erkennt man, dass er Stillleben gemalt hat, um zu experimentieren. Es gibt zum Beispiel Gladiolen zu sehen, die fast schon expressionistisch anmuten, oder Mohnblumen, deren Farbauftrag sehr dünn ist. Van Gogh hat dadurch das extrem Zarte der Mohnblüten wiedergegeben. In den Stillleben fängt er auch an, den Hintergrund zu strukturieren. Dadurch entsteht eine gewisse Dynamik. Auch sein späterer Stil, der sich in einzelnen Pinselstrichen ausdrückt, wird in den Stillleben sichtbar.

Es entsteht eine Art Sogwirkung.

Genau. Ich habe ja schon gesagt, dass das Räumliche nicht sein Thema war. Und teilweise – das sieht man auf einigen Stillleben – wird der Bildraum völlig autonom. Wie bei Eisenspänen und einem Magnetfeld hat man eine energetische Aufladung. Alles scheint sich zu bewegen. Das ist das, was in anderen Bildformen auch zum Tragen kommt, bei seinen Landschaften etwa, und was dazu führt, dass der Betrachter angesprochen wird. Weil sich diese Energie mitteilt. In Stillleben hat er das ausprobiert. Das Kuriose dabei: Ein Stillleben ist eigentlich still. Er hat es aber aufgeladen.

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