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Malerin Ulla Walter.
© Andreas Klaer

Ulla Walter im sans titre: Neugeburt des prallen Fisches

Die schillernden Bildergeschichten der Künstlerin Ulla Walter „Die Lust der Kunst“ haben im sans titre Premiere.

Potsdam - Ihre „Fische“ malte Ulla Walter 1978, in dem Jahr, als sie gerade dem „Ideologie-Tümpel“ in Dresden entkommen war. „Diese Hochschule mit dem einstmals so hervorragenden Namen war nichts weiter als eine ideologisch verseuchte Sammelstelle für künstlerische Stümper geworden“, schreibt sie in ihrem Buch „Die Lust der Kunst“, das einen pointierten Blick in ihre Bilder- und Gedankenwelt freigibt. Die junge wilde Studentin dachte damals keineswegs daran, ihre Malerei dieser Parteidisziplin zu unterwerfen. Sie floh nach Leipzig. In dieser neuen, rivalisierenden Umgebung, dem großen Haifischbecken, fühlte sie sich anfangs sehr nackt. Ihre Fische wurden zum Abbild dieser Neugeburt. „Jeder Fisch – das bin irgendwie ich. Zumindest der schöne dicke. Ich war nämlich damals ein üppiges Weib“, schreibt sie und erinnert sich an den angesetzten Speck aus der Dresdner Hochschulkantine.

An der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig begrüßte sie der Rektor Bernhard Heisig mit dem Satz: „An meiner Schule können Sie machen, was Sie wollen. Sie müssen es nur gut machen.“ Ulla Walter legte sich ins Zeug und wurde schließlich seine Meisterschülerin. Danach bot Heisig ihr eine Assistenz an. Sie lehnte ab, hielt es für „Inzucht“. Sie fühlte sich künstlerisch einfach noch zu nah dran an ihrem Professor, der oft auch als Despot beschrieben wird. Ulla Walter gefielen indes seine unkonventionellen Methoden, als er zum Beispiel mit zwei Weinflaschen auftauchte, während sie und eine Kommilitonin lustlos an einem wenig reizvollen Thema laborierten: „Morgen sind die Bilder fertig“, sagte Heisig und schloss die Tür zur Mal-Etage hinter den beiden Frauen ab. Plötzlich kam großer Eifer in ihre Malerei. Und morgens waren die Bilder wirklich fertig.

Das große Vorbild in „Rembrandts Erbe“, 2005.
Das große Vorbild in „Rembrandts Erbe“, 2005.
© Uwe Walter

Mit frischem ironischen Ton

Ulla Walter versteht auf den 280 Seiten Spannung zu schüren, sie plaudert mit frischem-ironischem Ton, gibt preis, was andere Künstler oft brüskiert ablehnen: nämlich die eigenen Bilder zu interpretieren. Hier nun sind Kunst und Entstehungsgeschichte aufs Engste verzahnt: die Abbildungen werden flankiert von Erinnerungssplittern, die die Seele Ulla Walters malträtierten oder jubeln ließen.

Neben Heisig fand die junge Frau noch andere Meister, einen ganz besonders: den flämischen Maler Rembrandt, der Seelen aus der Tiefe heraus leuchten ließ. Ihm begegnete sie als Nachtwächterin im Dresdner Zwinger. Das war 1975, bei einem ihrer Hilfsjobs, nachdem sie ihr Studium an der Technischen Universität hingeworfen hatte. „Ihm gehörte jede meiner Nachtschichten.“ In der Stille des Dämmerlichts begann sie schon damals ihr Malerei-Studium. Gedanklich. Immer wieder fragte sie sich: Wie lässt sich diese einzigartige Spannung in eine moderne Malweise übersetzen, wie sich Farbe in Leben verwandeln? Ihr 2005 entstandenes Bild „Rembrandts Erbe“ ist eine Huldigung und erzählt von ihren eigenen Selbstzweifeln. Mit verschränkten Armen malt sie sich klein am unteren Bildrand, während der Meister zwei Drittel der Leinwand einnimmt.

Verblichene Erlebnisfetzen werden lebendig

Wie bei einem Gemälde alter Meister trägt Ulla Walter in ihrem Geschichtenbuch Schicht für Schicht auf: malt das Bild ihres Lebens. Wir treten ein in ihr Atelier im brandenburgischen Schöneiche, dem alten Tanzsaal, den sie Anfang der 80er Jahre vor dem Abriss rettete. Die vergangenen Zeiten steckten noch in den Ritzen des verquollenen Parketts. Ulla Walter fühlte sich in die Abenteuer dieser Ruine hineingeboren. In dem alten Saal drehte die 1955 in Meiningen geborene Künstlerin nun ihre eigenen Kreise, füllte die Wände mit immer neuen Bildern, die inzwischen oft schon alte Schinken sind. In ihrem Buch werden sie alle wieder lebendig: verblichene Erlebnisfetzen ziehen sprachenthusiastisch Vergangenes an die Oberfläche. Schichten fließen ineinander, werden zu einem buntgewebten Teppich, der sich über die DDR, den Mauerfall und dem „Pool East/West“ federleicht und gedankentief erhebt.

Ulla Walter, die 2017 den Brandenburger Kunstpreis erhielt, zeitgleich in der großen Ausstellung „Die wilden 80er Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ im Potsdam Museum vertreten war und kürzlich im sans titre den heutigen gesellschaftlichen Verwerfungen nachspürte, fabuliert, kritisiert, polemisiert. Und sie erzählt von ihrer Suche nach der Liebe; den zwei gescheiterten Ehen, dem Glück einer Sommerexplosion, neu aufgestellten Wünschen, dem Surfen im Partnerportal, das plötzlich diesen Stefan ausspuckt, den 25 Jahre Jüngeren, den Seelenverwandten. Sie zeichnet ihn, baut ihn als Plastik, als „Freidenker mit archimedischem Punkt“. Und sie baut noch einen zweiten Kopf. Eine Staunende, sich selbst. „Wer mich im Atelier besucht, weiß, woran er bei mir ist.“ Wer ihr Buch liest, ebenfalls. 

>>Ihr Buch hat am Donnerstag, 24. Oktober um 19 Uhr, im Kunsthaus sans titre, Französische Straße 10, Premiere

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