Cross-Schau im Barberini: Zurück im Licht
Potsdams Museum Barberini zeigt die farbopulenten Bilder des von den Nazis verfemten Neoimpressionisten Henri-Edmond Cross. Was Besucher von der Schau erwarten können.
Potsdam - In dieser flirrenden Welt malt der Zuschauer mit an der Wirkung des Bildes. Verweilt er dicht an der Oberfläche, sieht er Farbtupfer an Farbtupfer gesetzt: eine aufgerissene poröse Haut. Gemischt werden diese reinen Farben erst im Auge des sich entfernenden Betrachters. In einer Distanz von wenigen Metern schlagen die lila-rosa Punkte zu Wellen auf, vereinen sich blaue und grüne Tupfer im Wolkenmeer. Aus dem akribisch ausgetüftelten Bildwerk erwächst eine pulsierende Strahlkraft.
Paradiesisch anmutende Mosaikwelt
Pointillismus nennt sich diese aufwendige neoimpressionistische Malweise und einer ihrer großen Vertreter, Henri-Edmond Cross, durchzieht ab heute das Museum Barberini. Wir tauchen ein in seine paradiesisch anmutende Mosaikwelt, die eine Ode auf die Natur, auf das Licht und die Farbe anstimmt. Unter dem sonnigen Himmel der Cote d’Azur fand Henri-Edmond Cross sein Glück, dort erfüllte sich sein Traum vom Anarchismus. Freikörperkultur statt Fabrikschlote, Bauerngärten statt Boulevards: Das war es, was ihn faszinierte, als er 1891 der Großstadt Paris den Rücken kehrte.
Cross ist ein Vergessener
Für den vergessenen Maler, der einst zu den Leitfiguren der Avantgarde gehörte, wird wieder der Teppich ausgerollt. Die Nationalsozialisten vertrieben ihn in den 1930er Jahren aus den deutschen Museen, diffamierten ihn und seine Kollegen als „entartet“. Cross’ Werke wurden zwangsversteigert, viele gelten als verschollen. „Die frühe deutsche Cross-Rezeption war ein wichtiger Ansatzpunkt für unsere Ausstellung. Wir wollen zeigen, welche Einschnitte der Krieg und der Nationalsozialismus gebracht haben“, sagte Museumsdirektorin Ortrud Westheider am Freitag vor der Presse.
Dem Barberini gelang es, mit dem Musée des impressionnismes Giverny in großer Recherchearbeit eine Retrospektive zu gestalten, die Schlüsselwerke aus allen Phasen des Schaffens zeigt. Der 1910 an Krebs verstorbene Cross malte sich in seinen nur 53 Lebensjahren durch die verschiedensten Strömungen.
"Cross" ist ein Pseudonym
Gleich im ersten Raum klingen sie vor dem edlen Grau der Wände in ihren vielen Akkorden bildmächtig an. Da sehen wir das Selbstporträt des Malers um 1882: in dunklen tonigen Farben, ganz realistisch ausgeführt. Damals stellte er noch unter seinem Geburtsnamen Henri-Edmond-Joseph Delacoix aus. Das Pseudonym Cross nahm der Maler erst an, um Verwechslungen mit seinem berühmten Vorgänger Delacroix zu vermeiden. Cross ist eine verkürzte Version seines Geburtsnamens und ein Tribut an die in England geborene Mutter, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist. Gleich neben den dunklen Porträts von Mutter und Sohn sowie des vollbärtigen Cross-Förderers „Doktor Soins“ strahlt frisch und hell das ausladende Gemälde „Monaco“ aus dem Jahr 1884.
Nach 1884 folgte der Bruch
Man riecht förmlich die Zitronen an den Bäumen, die blühenden Rosen, die gerade von einer jungen Frau geschnitten werden. Hier ist noch der freie Pinselschwung der Impressionisten zu spüren. Kurz darauf folgte der Bruch und die Hinwendung zur radikalen Aufsplitterung der Bildfläche in kleine Farbtupfer, was Kritiker als „Fleckenmalerei“ abtaten, Bewunderer als „Edelsteinoptik“ feierten. Cross gehörte nach dem Vorreiter Georges Seurat mit zu den Bahnbrechern dieser neuen Bildsprache, zu den Neos, den Jungen Wilden, die den Impressionisten mit ihren romantischen Bildern rigoros den Rücken kehrten.
Gallionsfigur der zweiten Phase des Neoimpressionismus
Da gibt es in der Ausstellung das fein nuancierte Farbmosaik des „Stierkampfes“ von 1891/92 oder die geheimnisvollen Farbverläufe im „Bauernhof“, den Cross am Morgen und am Abend malte und aus denen seine Begeisterung für japanische Holzschnitte mitschwingt. Und dann sehen wir einen Raum weiter, wie sich Cross von den Punkten löst, seine Pinselstriche wieder breiter werden, „er sich als Gallionsfigur der zweiten Phase des Neoimpressionismus hin zum Abstrakten öffnet“, wie Kurator Daniel Zamani sagte. Ihm habe die Vorbereitung dieser Schau ein schlafloses Jahr bereitet, so Zamani. Tausende Leihgesuche schickte er hinaus, um Werke zusammenzutragen. Immerhin sind nun gut 100 Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen beieinander, die gute Hälfte von privaten Leihgebern.
Herausforderung, Cross wieder in die erste Reihe zu stellen
„Die französischen Impressionisten sind in der Sammlung der Stiftung Barberini fest verankert“, sagt Westheider. Eine Cross-Arbeit zählt ebenfalls dazu: das Aquarell nach „Stierkampf“ von 1893. Auch deshalb fühlt sich das Museum herausgefordert, Cross wieder in die erste Reihe zu stellen, ihn als Pionier der Moderne zu feiern. Für die Ausstellung ließ das Barberini zudem die Gemälde „Blühende Mandelbäume“ und „Wäscherin der Provence“ sowie zwei Zeichnungen restaurieren. Die farbopulente Ausstellung, die in Cross’ Verherrlichung der göttlichen Natur mündet, führt am Ende in ein dunkles Kabinett mit seinen Zeichnungen: Vorarbeiten zu den Gemälden. Es sind wahre Kleinode, weit mehr als Studien. Und nur wenige sind erhalten.