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Olivia Colman als Queen Elizabeth in einer Szene der dritten Staffel des Serie «The Crown» (undatierte Filmszene).
© dpa/Netflix/Des Willie

Einblicke in die britische Königsfamilie: Was die Serie „The Crown“ über das Oprah-Interview verrät

Auch die Netflix-Serie zeigt das Leben und Leiden der Royals. Was ergänzt sich mit den Enthüllungen von Harry und Meghan – und was nicht?

Persönliches Glück. Was ist das für eine Größe? Was hat das für einen Wert? Wer darüber reflektieren und auch debattieren möchte, könnte das Leben der britischen Königin Elizabeth II. betrachten. Längst ist man dabei ja nicht mehr nur auf die Schlagzeilen der notorischen britischen Skandalpresse und Enthüllungsinterviews angewiesen.

Das Medienunternehmen Netflix hat die lang vermisste Rolle eines modernen William Shakespeare übernommen und erzählt verdichtet die komplexe Geschichte der Queen und ihrer Familie in ruhigen graugrüngoldenen Bildern wohl ziemlich nah an der Wirklichkeit entlang.

Persönliches Glück war Lilibeth, wie sie in ihrer Kindheit genannt wurde, durchaus vergönnt. Sie durfte 1947 ihre große Liebe Prinz Philip heiraten. Ihrer jüngeren Schwester Margaret oder ihrem ältesten Sohn Charles wurde solches Glück später verwehrt.

Charles’ Sohn Prinz Harry hat zusammen mit seiner Frau Meghan im Gespräch mit dem US-Talkshow-Star Oprah Winfrey nun öffentlich erzählt, wo er selbst sein Glück gefunden hat und was in seiner Familie nicht in Ordnung ist. Dabei geht es nicht mal in erster Linie um überkommene Konventionen. Rassismus prangert das Paar an und unterlassene Hilfeleistung bei Suizidgedanken.

Weit weg von den Zwängen und hohen Mauern des Palastes, in einem feinen Wohnviertel am pazifischen Ozean fühlen sie sich endlich wohl, in einem Land, das sich das Recht des Menschen auf das Streben nach Glück gleich am Anfang in die Verfassung geschrieben hat.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in dem die Bereitschaft, fürs Vaterland zu sterben, als eine grausam perverse Selbstverständlichkeit betrachtet wurde, war persönliches Glück in der Prioritätenskala der Royals eher eine skandalträchtige Ausnahmeerscheinung. Um die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten zu können, musste König Edward VIII. 1936 auf den Thron verzichten zugunsten seines Bruders, der schon mit 57 Jahren starb.

Die Nachricht von dessen Tod erreichte die künftige Königin auf einer Reise im Februar 1952. Ehemann Prinz Philip hatte in seiner Kindheit und Jugend selbst manche psychische Grausamkeit am eigenen Leib erfahren, wie man aus „The Crown“ lernt. Dass Elizabeth ihm bei der Hochzeit unter anderem „Gehorsam“ gelobte, löst bei Netflix einiges Tuscheln in der Kirche aus.

Aber das ist vielleicht nur ein dramaturgischer Trick. Es war die Zeit, in der zum Beispiel in Deutschland ein Mann den Job seiner Frau kündigen konnte, ohne ihr das vorab auch nur mitzuteilen. Und natürlich muss sie schon geahnt haben, welche Opfer Prinz Philip würde bringen müssen als ewiger Prinzgemahl an ihrer Seite. Das Fernsehen war zwar schon erfunden, aber noch nicht so weit verbreitet, dass die Hochzeit ein Massenereignis sein konnte, wie später bei ihrem Enkel Prinz Harry, dem 2018 weltweit mehr als zwei Milliarden Menschen zuschauten bei seinem Ja-Wort für Meghan.

Wie anders die Zeit damals war, wird bei Netflix in wenigen eindringlichen Szenen deutlich. Wenn Prinz Philip einem afrikanischen Würdenträger in jovialer Kolonialherrenmanier zuruft: „Lustigen Hut haben Sie da“. Und von seiner peinlich berührten Frau zurechtgewiesen wird: „Das ist eine Krone!“.

Die junge Frau und die alten Rituale. Am 2. Juni 1953 wurde Queen Elizabeth II. in Westminster Abbey gekrönt.
Die junge Frau und die alten Rituale. Am 2. Juni 1953 wurde Queen Elizabeth II. in Westminster Abbey gekrönt.
© imago images/Everett Collection

In „The Crown“ ist auch zu sehen, wie die Queen 1961, um eine Commonwealth-Krise zu beenden, mit dem damaligen Präsidenten von Ghana tanzt, was offensichtlich keine Selbstverständlichkeit war.

Bis zu den Vorwürfen angesichts einer Diskussion ungenannter Familienmitglieder über die mögliche Hautfarbe von Meghans Baby sollte es noch fast 60 Jahre dauern. Und es sollte noch mehr als 40 Jahre dauern, bis zum ersten Mal mit Prinzessin Diana ein Mitglied der königlichen Familie sein kummervolles Herz vor laufenden TV-Kameras ausschütten würde.

Wie das Familienunternehmen der Windsors funktioniert, lässt sich in „The Crown“ gut nachvollziehen. Prinz Philip hat ihm den lässigen Namen „Die Firma“ gegeben. Prinz Harry hat im Januar 2020 die Kündigung gewagt, wohl ohne sich über die Konsequenzen ganz im Klaren zu sein. Lässig geht es in der Firma nämlich überhaupt nicht zu. Zu viele Folgen gibt es in „The Crown“, in denen ein Lebensglück geopfert wird auf dem Altar der Monarchie. Erst nach den Diana-Folgen wurde die Sorge hörbar, dass Prinz Charles in ein zu schlechtes Licht getaucht würde.

Diana kannte die Regeln im Detail - und scheiterte doch

Wohl niemand hat die Royals so getroffen wie Diana, die den Sündenfall der Familie weltweit in gleißendes Scheinwerferlicht getaucht hat. Und sie war keine Braut aus den ehemaligen Kolonien wie Wallis Simpson oder Meghan Markle. Prinzessin Diana stammte aus bestem britischem Adel, aus einer Familie, die ihre Wurzeln bis 1469 zurückverfolgen kann und die auch den langjährigen Premierminister Winston Churchill hervorgebracht hat. Anders als Meghan, die nicht mal wusste, dass von ihr ein Hofknicks vor der Queen erwartet würde, kannte Diana die Regeln im Detail.

Das wird in „The Crown“ sehr plastisch erzählt anhand des Tests, den Neulinge bestehen müssen, wenn sie ein Wochenende mit der königlichen Familie auf Schloss Balmoral in Schottland verbringen dürfen. Premierministerin Maggie Thatcher hat dabei einen peinlichen Fauxpas nach dem anderen begangen, indem sie etwa im Abendkleid zum Cocktail erschien. Diana wusste genau, dass die wichtigsten Gegenstände im Reisegepäck grobe Schuhe sein würden. Sie bestand mit Bravour.

Die Ehe wird eisern weitergeführt, man lässt sich nicht scheiden

Dass die Queen gern ein Leben als Landadelige geführt hätte, umgeben von Hunden und Pferden, wird in einer Serienstaffel gezeigt, als ihr Familienleben nicht unbeschwert glücklich gewesen sein kann. Prinz Philip hat da offensichtlich außereheliche Affären und andere Ansichten über die Erziehung der Kinder als sie. Eisern hält man dennoch zusammen. Auch Bürgerliche ließen sich nicht einfach scheiden in den 1950er Jahren.

Elizabeth II., die auch Oberhaupt der anglikanischen Kirche ist, gilt als tiefgläubige Frau, die ihren heiligen Eid vor Gott bei der Krönung sehr ernst genommen hat. Sie ist damals eine lebenslange Verpflichtung eingegangen, zu der sie auch mit bald 95 Jahren steht.

Die Krönungsmesse am 2. Juni 1953 war das erste globale TV-Ereignis. Seitdem nimmt die Welt Anteil an den Geschicken der Familie und der „Firma“.

Prinzessin Margaret, die Schwester der Queen, durfte ihre große Liebe Peter Townsend nicht heiraten, weil in den 50er Jahren eine königliche Hochzeit mit einem geschiedenen Mann als undenkbar galt. Sie starb nach einem unruhigen Leben mit 72 Jahren.

Seine große Liebe Camilla durfte Charles nicht heiraten

In gewisser Weise wiederholte sich die Geschichte später, als Prinz Charles seine große Liebe Camilla nicht vor den Traualtar führen konnte und stattdessen Diana ehelichen musste, die Jungfrau war, wie es sich gehörte für die Frau eines Thronfolgers. Er heiratete sie der Familienratio zuliebe.

Was die 68er in der bürgerlichen Welt zustande gebracht hatten, was die Beatles und die Rolling Stones bewirkten, alte, verkrustete Strukturen aufzubrechen und in Frage zu stellen, das musste Prinzessin Diana in der britischen Monarchie in den 80er Jahren bewirken. So wurde sie selbst zu einer Weltikone und zur monarchischen Märtyrerin. Was da eigentlich passierte, hat nach ihrem Tod auch die Queen spät verstanden.

Es ist nicht leicht, sich die Dimension der britischen Königin als Weltikone klar zu machen. Wenn man an Kanadas Westküste ein Schiff besteigt und vorher noch einen Kaffee trinkt, wird man ihn mit Münzen bezahlen, die das Konterfei der Queen zeigen.

Bis heute ziert die Queen die Geldmünzen in Kanada wie Australien

Landet man nach der Überfahrt auf dem Pazifik im australischen Sydney und bezahlt auch dort mit Münzen, so werden die wieder das Abbild der Queen zeigen. Sie ist ja nicht nur die Königin von Großbritannien, sondern auch das Oberhaupt des Commonwealth, dem 54 Länder angeschlossen sind, viele davon ehemalige Kolonien.

Um alles im Blick zu behalten, lässt sich die Queen berichten, wohl auch über das Interview ihres Enkels. So wie sie sich immer hat berichten lassen, zum Beispiel vom legendären Premierminister Winston Churchill. Wer fast 70 Jahre lang ständig mit herausragenden Figuren der Weltgeschichte gesprochen hat, mit Persönlichkeiten wie John F. Kennedy, Nelson Mandela oder den Beatles, wird zwangsläufig zu einem lebendigen Geschichtsbuch. Lange hat sie sich an die Vorgabe ihrer Mutter gehalten, sich nicht zu beklagen und nichts zu erklären.

Die Krone wiegt schwer, trotzdem trägt Elizabeth II. sie aufrecht

Dass sie lernfähig ist und auch empathisch, sieht man in „The Crown“, wo sie bereut, nicht rechtzeitig den Hinterbliebenen eines Grubenunglücks in Südwales beigestanden zu haben, bei dem 116 Kinder und 28 Erwachsene starben.

Welche Talkshow hat eine Chance, aufregender zu sein als dieses Leben, das in den unaufgeregten Bildern in „The Crown“ nacherzählt wird? Wie schwer die Krone wiegt, hat die Queen kaum je durchschimmern lassen. Am ehesten vielleicht in der Ansprache 1992 über das Annus Horribilis, als die Brüche in der Familie offensichtlich wurden und dann auch noch ein Feuer in Windsor ausbrach. Auch aus dieser Krise ging die Monarchin gestärkt hervor.

Dass ihr Enkel Harry mit seiner Familie jetzt im sonnigen Kalifornien das Glück gefunden hat und ihren Unterhalt nach allen Regeln der modernen Vermarktungskunst zu sichern sucht, könnte Elizabeth II. wohl einigermaßen gelassen betrachten. Allerdings schlagen die Wogen in Großbritannien wieder sehr hoch.

Die neue Krise beginnt gerade erst. Die Weltgemeinde, die auf sie blickt, mag sich die Schlussszene von Shakespeares „King Lear“ in Erinnerung rufen, nach dem Tod des alten, verblendeten und einsamen Königs: Wir, die wir jung sind, werden so viel nicht sehen, wir werden so lange nicht leben.

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