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Marion Brasch spielt in ihrem aktuellen Roman Schicksal.
© Kitty Kleist-Heinrich

Marion Braschs Roman "Lieber woanders": Von Koboldhand herbeigeführt

Autorin Marion Brasch spielt in ihrem aktuellen Roman „Lieber woanders“ Schicksalsfee. Am 2. April stellt sie ihn im Thalia-Kino vor. 

Potsdam - Huch! Das ist wohl das Wort, das nach dem Beenden von Marion Braschs aktuellem Roman zuerst über die Lippen rutscht. Huch, weil das, was da gerade passiert ist, ziemlich überraschend daherkommt – und weil das Buch, das Brasch an diesem Dienstag im Thalia vorstellt, da aufhört. Einfach so und viel zu schnell.

Gerade erst hat sich eine Beziehung aufgebaut zu den beiden Protagonisten, die – wie der Titel schon sagt – „Lieber woanders“ wären. Woanders als in ihrem eigenen Leben, das auf ganz unterschiedliche Weise angeknackst ist. Da ist Alex, der als Montagetechniker einer Band fast nie zu Hause ist und seit sieben Jahren seine Frau betrügt. Er trägt eine Schuld mit sich herum, über die er mit niemandem spricht. Nur einmal erzählt er davon: einer Schulzeitbekanntschaft im Zug.

Der Zufall ist überall

Zufällig hat er sie getroffen und überhaupt spielt der Zufall in Braschs viertem Roman eine große Rolle – auch im umgekehrten Sinn. Etwa wenn die zweite Protagonistin Toni und Alex sich nur beinahe im Zug begegnen. Er ist auf dem Weg ins Krankenhaus, um seine blinddarmkranke Tochter zu besuchen. Toni ist mit einer Verlagsfrau verabredet, die ihre Zeichnungen als Buch herausgeben möchte. Doch Toni verpasst den Zug, der Zufall soll beide erst später zusammenführen.

Wer Marion Braschs „Wunderlich fährt nach Norden“ gelesen hat, kennt Toni schon. Dort ist sie eine Nebenfigur mit einer tragischen Vergangenheit, die nun in „Lieber woanders“ erklärt wird. Vor sieben Jahren hat sie ihren Bruder verloren und fühlt sich deswegen schuldig. Um zu erkennen, dass ihre Schuldgefühle mit denen von Alex zusammenhängen, braucht es nicht lange. Brasch erzählt die Stränge beider Figuren in kurzen Textabschnitten und lässt sie aufeinander zulaufen. Schnell scheint das Ende des Romans klar, alles steuert auf die große Konfrontation hin, das erlösende Dramamoment.

Eine dritte, magische Ebene

Doch Marion Brasch macht es anders. Sie wählt eben diesen Huch-Moment, der auf gar keinen Fall vorweggenommen werden darf. Denn in ihm liegt die eigentliche Kraft des Buches. In ihm und der dritten Ebene, die sie mit einem allwissenden Erzähler einbaut. Ähnlich wie in Michael Endes „Die Unendliche Geschichte“, eröffnet er Rück- oder Ausblicke auf Nebenfiguren der Geschichte. So wie Ringo, Tonis Chef, der auch schon in „Wunderlich fährt nach Norden“ vorkommt. Oder zwei Jungs, die neben Alex im Bus stehen und von denen einer keinen Fahrschein hat.

Kontrolliert wird er nicht, denn der Kontrolleur bekommt einen mysteriösen Anruf. „Er hat ganz erschrocken ausgesehen, kreidebleich ist er geworden und ganz verwirrt ausgestiegen. Irgendetwas musste passiert sein.“ Was genau, erfährt Alex nicht. „Wir auch nicht“, wie Marion Brasch ihren Erzähler sagen lässt. Dafür richtet er den Blick kurz auf die beiden Jungs und schließt mit dem Satz: „So hätte es gewesen sein können. Aber vielleicht auch ganz anders, wer weiß.“

Viel zu schnell vorbei

Einschübe wie diese geben dem Roman etwas Märchenhaftes. Die Zufälle scheinen wie von Feen- oder Koboldhand herbeigeführt. Einen dieser Kobolde lässt Marion Brasch in Form eines Obdachlosen auf Alex treffen. Die beiden trinken Wein zusammen und der Fremde scheint mehr über Alex zu wissen, als er sollte. Als Alex dann noch ein seltsames Bootserlebnis hat, bei dem nicht klar wird, ob es Traum oder Wirklichkeit war, vermischen sich die Ebenen vollkommen.

Es macht Spaß, diese magischen Momente zu entdecken. Den Figuren wäre man gerne noch länger gefolgt, der finale Huch-Moment lässt sie immerhin noch eine Weile nachhallen.
>>Marion Brasch liest am 2. April um 19.30 Uhr im Thalia-Kino

— Marion Brasch: Lieber woanders. S.Fischer Verlage, 2019, 160 Seiten, 20 Euro.

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