Das Filmporträt der „Familie Brasch“: Vor den Vätern sterben die Söhne: Ein Gespräch im Potsdamer Thalia-Kino
Die Geschichte der Familie Brasch ist eine aufregende, zugleich tief tragische – und fast wäre sie nie erzählt worden. Die letzte Überlebende, Marion Brasch, schrieb sie auf.
Am Ende half offenbar der Zufall nach, um die wilden Brasch-Biografien in einen Kontext zu bringen: „Ich habe geschrieben, weil die Leute gesagt haben, dass ich das aufschreiben soll“, sagt die Radiojournalistin Marion Brasch, die „letzte Überlebende der Braschs“, wie das Thalia-Kino ihren Besuch am Dienstag ankündigte. Mit der grandiosen autobiografischen Erzählung „Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie“ führte sie die Fäden wieder zusammen. Dabei habe sie gar nicht vorgehabt, etwas zu verarbeiten. Und sagt heute doch: „Andere Leute gehen zum Psychiater auf die Couch. Ich habe eben das Buch geschrieben.“
Zwischen Aufbau und Untergang
Der Vergleich mit der literarisch-zerstrittenen Familie der Manns ist oft, vielleicht zu oft, bemüht worden im Zusammenhang mit den Braschs. Dennoch wirken die Biografien der Geschwister Thomas, Peter, Klaus und Marion Brasch, wie die der Manns, exemplarisch für ihre Zeit – eine Generation zwischen Aufbau und Untergang.
Annekatrin Hendel – die mit Marion Brasch eine intensive Freundschaft pflegt – hat nun einen Dokumentarfilm darüber gedreht: Am Dienstagabend stellte sie „Familie Brasch“ im Thalia-Kino vor. Ein Familienporträt: Die Geschichte beginnt chronologisch, mit Vater Horst Brasch, der als Jude 1922 in Berlin geboren wird und mit einem Kindertransport nach Großbritannien kommt, von wo es für ihn weiter nach Kanada geht. Brasch konvertiert zum Katholizismus, entdeckt aber auch den Kommunismus: Im Exil baut er die FDJ mit auf. Nach Kriegsende landet er wieder in Ostberlin, seine Frau Gerda, gebürtige Wienerin, folgt ihm – und wird in diesem Land nie glücklich. Während sie „an der Seite ihres Mannes verkümmert“ (Marion Brasch), macht er Karriere in der jungen DDR, schafft es bis zum stellvertretenden Kulturminister. Hier könnte die Geschichte eigentlich auserzählt sein.
Der Vater-Sohn-Konflikt
Aber sie geht weiter, Annekatrin Hendel lässt sie von Wegbegleitern der Söhne erzählen: von Christoph Hein etwa, mit dem Thomas Brasch eine Freundschaft verband, oder der Schauspielerin Katharina Thalbach, die viele Jahre mit Thomas Brasch zusammenlebte. Der Vater-Sohn-Konflikt ist zentrales Thema des Dokumentarfilms. Dessen Ursprung lässt sich zeitlich genau definieren: 1968 wurde der Funktionärssohn Thomas im Laufe der Proteste gegen den „Prager Frühling“ inhaftiert – was den Bruch für beide auslöste. Horst Brasch wurde nach Moskau abkommandiert, Thomas schließlich kurz nach Biermann ausgebürgert.
Glücklich schien er „im Westen“ nie geworden zu sein. 1977 schreibt er seine noch in der DDR verfassten Prosa-Miniaturen „Vor den Vätern sterben die Söhne“ – ein Erfolg, dessen Titel schmerzhaft exemplarisch werden sollte. Auch Thomas Braschs Brüder „im Osten“ finden ihr Glück dort nicht: Klaus Brasch geht zum Film, spielt etwa in Konrad Wolfs „Solo Sunny“ – und stirbt kurz vor seinem 30. Geburtstag an einem tödlichen Cocktail aus Alkohol und Schmerzmitteln. Bruder Peter schafft es als Autor von Kinderhörspielen immerhin über die Wende, bevor auch ihn 2001 der Alkohol dahinrafft – wenige Monate vor seinem Bruder Thomas. Am Ende bleibt nur Marion. Ihrem Vater habe sie nichts zu vergeben, sagt sie: Er habe ihr nie etwas angetan. Auch wenn er sein Leben bis zum Ende der Partei gewidmet und die Kinder hintenangestellt habe.
Dem Film gelingt es, nahtlos an Marion Braschs Buch anzuknüpfen und den Erzählungen die passenden Bilder zu liefern. „Familie Brasch“ bleibt nicht nur die Bestandsaufnahme des Zeitgeists einer in ihren Idealen gespaltenen Nation, sondern auch das eindrucksvolle Porträt einer Familie, die letztlich an sich selbst scheitert.
„Familie Brasch“, täglich im Thalia-Kino, Rudolf-Breitscheid-Straße 50
Oliver Dietrich