Norbert Bisky in der Potsdamer Villa Schöningen: Vertraute Exotik
Der Künstler Norbert Bisky eröffnet am 9. November seine Ausstellung „Rant“ in der Villa Schöningen - thematisch passend zum Mauerfalljubiläum.
Potsdam - „Ich schimpfe auch, aber nicht anonym“, sagt Norbert Bisky bei einem Gang durch seine neue Ausstellung in der Villa Schöningen. „Rant“ hat er sie genannt. Mit dem englischen Verb wird auch Gezeter im Netz bezeichnet, dessen Urheber sich jedoch meist hinter Pseudonymen verstecken. Man schreit im Jahr 2019 halt gerne mit erhobenem Zeigefinger hinaus in die Welt, was einem auf der Seele brennt – so wie es der junge Mann in gestreiftem Tanktop tut, der einem auf Biskys titelgebenden Bild entgegenrennt.
Die Plattenbauten in seinem Hintergrund wirken wie Felsen in der Brandung, während die übrige Welt gefährlich angeschwollen ist, als würde sie sich gleich als riesige Welle brechen. Dazu liegen die für Norbert Bisky typischen Fetzen in der Luft. Die Welt ist aus den Fugen geraten – aber wo etwas ruiniert ist, kann Neues entstehen.
Der 49-jährige Maler, in Leipzig geboren, ist selbst in so einer Platte im 13. Stock großgeworden. Mit seiner Potsdamer Schau, die pünktlich zum 9. November eröffnet und einer parallel stattfindenden Ausstellung in der St. Matthaus-Kirche in Berlin, schaut er von heute auf seine DDR-Zeit zurück, auf ihr Ende und das anschließende Chaos der Nachwendezeit. Dazu passt es, dass die Villa Schöningen, die einst innerhalb des Grenzsperrgebietes lag, am heutigen Freitag um 19 Uhr ihr zehnjähriges Bestehen als Museum feiert.
Bisky hat mit Fotografien gearbeitet, mit solchen, die er selbst geschossen hat, und anderen, die er fand. Und ebenfalls mit Landkarten – weil sie mehr sagen könnten, sagt er. Auch bei seinem großformatigen Ölbild „Katzensprung“ bilden Strukturen einer Berlinkarte den Untergrund. Im Ostteil scheint es alles zu geben: „Strom, Intellektuelle, Chemiefabriken, auch Steine für die nächste Mauer“, zählt Bisky auf. Während im Westen nur Wasserwege eingezeichnet sind. Mit so einer Karte sei er unterrichtet worden. Im Vordergrund sind zwei Jungen in Badehosen abgebildet.
Als würden sie gleich einen Tanz hinlegen, halten sie sich an den Händen fest, während der Linke in blauen Shorts einen Blick in den Abgrund riskiert. Bisky möchte mit dieser Arbeit auf die Geschichte eines türkischen Jungen aus Westberlin verweisen, der 1975 zu seinem fünften Geburtstag einen Ball bekam. Als das Geschenk ins Wasser fiel, sprang der Junge hinterher. Die Grenzbeamten von der anderen Seite bemerkten dies zwar, taten aber nichts. Es hätte viele dieser tragischen Unfälle gegeben, sagt Bisky. Vorfälle, die seiner Meinung nach so viel über das Land aussagen würden, das die DDR war.
Die meisten Bilder, die in den aktuellen Ausstellungen zu sehen sind, hat Bisky während der vergangenen zwei Jahre in seinem Berliner Atelier gemalt. Die Beschäftigung mit der Wende reicht wesentlich weiter zurück. Sein Professor, der Maler Georg Baselitz, hatte ihm ans Herz gelegt, das Hauptaugenmerk auf die eigenen Erfahrungen zu richten. Nun sei er auch froh, dass diese Arbeit abgeschlossen ist, sagt Bisky.
Für die Berliner Schau mit dem Titel „Pompa“ hat der Künstler etwas gewagt, dass es zuvor noch nie in der St. Matthäuskirche gab: eine Deckenpräsentation. Biskys knallige Bilder bilden den Himmel über der Gemeinde, wie es zur Barockzeit üblich war, und sind durch einen großen Spiegel am Boden auch unter den Füßen sichtbar. Beim Begehen entsteht die Illusion einer schwindelerregenden Tiefe. Dabei bleiben die Bilder selbst unerreichbar. Wie in einem Spiegelkabinett schreitet der Besucher gen Altar. Angekommen, steht er seinem eigenen Spiegelbild gegenüber.
Die Potsdamer Schau wirkt da bodenständiger. Bisky hat sie durch Objekte erweitert, die denjenigen vertraut vorkommen dürften, die ebenfalls aus dem Osten stammen. DDR-Mülltonnen zum Beispiel, bis oben hin gefüllt mit Wimpeln. Was einst als Belohnung galt, wurde nach der Wende einfach entsorgt. Bisky mag herbe Ironie. Und das ist es, was seine Potsdamer Ausstellung ausmacht. Denn bei einem Westdeutschen lösen die Tonnen alles andere als Vertrautheit aus – seltsam fremd wirken sie, fast exotisch.
Vieles benötigt Erläuterungen, die genauen Kritikpunkte sind nicht immer auf Anhieb ersichtlich. Dennoch ist das Zwiegespaltene in fast jeder Arbeit zu spüren. Die Uneinigkeit darüber, ob etwas gut oder schlecht war, die Zerrissenheit an sich, die noch immer präsent ist. In vielen von Biskys Bildern liegen Schönheit und Gewalt eng beieinander, gleichzeitig reiben sich in der Schau Ironie und Ernsthaftigkeit zahm aneinander. Anonyme Kritik könnte niemals so treffend sein.
>>„Rant“, Villa Schöningen, 9. November bis 23. Februar, „Pompa“, Berliner St. Matthäus-Kirche, 10. November bis 16. Februar