zum Hauptinhalt
Das Künstlerpaar Eva & Adele inszeniert sich selbst als extravagantes Museum.
© Andreas Klaer

150 Jahre Postkarte im Potsdamer Kunstraum: Hallöchen mit Kuss

Zum 150. Jubiläum der Postkarte führen im Potsdamer Kunstraum 150 Kunstkarten mit teils witzigen Korrespondenzen durch die jüngere Kunstgeschichte.

Potsdam - Zwei Kussmünder aufgedrückt mit Lippenstift. Viel mehr ist nicht zu „lesen“ auf der Postkarte. Nur der Adressat ist in großen schwarzen Lettern zu erkennen: Der Kussgruß geht an Sebastian Strenger, Leiter des Europäischen Kunstvereins in Berlin – und Kurator der aktuellen Ausstellung im Obergeschoss des Potsdamer Kunstraums. Anlässlich des 150. Jubiläums der Postkarte hat er unter dem Titel „Postcard Reloaded“ eine Schau mit 150 besonderen Exemplare zusammengestellt: Zu sehen sind Arbeiten von 93 bildenden Künstlern, etwa von Norbert Bisky, dessen Werke demnächst in der Villa Schöningen zu sehen sein werden. 

Entstanden ist ein Gang durch die jüngere Kunstgeschichte. Aber auch eine Hommage an die Postkarte, die zunächst als Bildkarte und ab 1905 als Textkarte in die ganze Welt verschickt wird. Auch heute noch – in einer Zeit, in der analog-schriftliche Korrespondenzen eigentlich für tot erklärt sind. Gestaltet haben die Künstler ihre Karten in einigen Fällen sogar direkt für die Ausstellung. 

Herrmann Hesse schreibt 1942 einem Freund, dass er jetzt einen Verleger für "Der Steppenwolf" gefunden hat.
Herrmann Hesse schreibt 1942 einem Freund, dass er jetzt einen Verleger für "Der Steppenwolf" gefunden hat.
© Andreas Klaer

Extravaganz in Pink

So wie die erwähnte von Eva & Adele. Das Berliner Paar versteht sich unter dem Motto „Wo wir sind ist Museum“ selbst als Kunstwerk und tritt in extravaganten, nicht selten pinken Damenkostümen auf. Seit 1989 ist es auf Kunstausstellungen und auch im öffentlichen Raum anzutreffen. Im Kunstraum ist es auf mehreren Postkarten zu sehen. Ein Bild zeigt ihre eng aneinander liegenden Köpfe, die Lippen tief rot bemalt, darunter der Schriftzug „L’Amour du Risque“ – „Die Liebe zum Risiko“. Ein anderes Foto zeigt sie mit pinken Feenflügeln vor einem rosa Kleinbus. Es macht Spaß sich festzugucken in dieser knalligen Szenerie, dem lebendigen Kunstwerk, das in dem kleinen Format der Postkarte zu ganz verschiedenen Empfängern spricht. 

Regelrecht spannend ist hingegen eine Postkarte von Hermann Hesse aus dem Jahr 1942 – die älteste der Ausstellung. Adressiert ist sie an Georg Goetz, ein Freund Hesses, dem er mitteilt, dass er womöglich einen Verleger für seinen berühmten Roman „Der Steppenwolf“ gefunden habe. Bedrückend: Über Hesses Handschrift prangt ein roter Stempel mit dem Reichsadler der Nazis, durch deren Kontrolle die Postkarte ging. 

Kurator Sebastian Strenger im Kunstraum.
Kurator Sebastian Strenger im Kunstraum.
© Andreas Klaer

Hermann Hesses Initialzündung

Die Vorderseite der Karte zeigt Kurator Sebastian Strenger besonders stolz. Diese hat Hesse, der nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Maler tätig war, mit der Zeichnung eines Feuers versehen. Als Symbol einer Initialzündung interpretiert Strenger das Bild. Es scheint so, als hätte Hesse gewusst, dass „Der Steppenwolf“ zu seinem Durchbruch führen und er vier Jahre später mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet werden würde. Postkarten wie diese werden mit Vor- und Rückseite abgebildet. Weil die Botschaften auf beiden Seiten wichtig sind – und Einblick in die jüngere Kulturgeschichte geben. 

So auch die Korrespondenz zwischen den zeitgenössischen Künstlern Albert Oehlen und Werner Büttner sowie dem 1997 verstorbenen Martin Kippenberger. Sie alle gehörten der sogenannten „Lord Jim Loge“ an, die sich nach dem Tod Kippenbergers auflöste. Gemeinsam versuchten sie etwa in der Spielbank den Jackpot zu knacken und schickten sich errechnete Zahlencodes per Postkarte zu. Besonders witzig: Eine Karte von Kippenberger aus Shanghai adressiert an die Loge, auf der einfach nur „Hallöchen“ steht. Ein Gruß, der wie eine Whats-App-Nachricht anmutet – ähnlich wie die Küsse von Eva & Adele Emojis erinnern. 

>>„Postcard Reloaded“, bis zum 19. November im Kunstraum, Schiffbauergasse 4D. Am 7. November wird vor Ort um 20 Uhr ein Buch zu der Ausstellung präsentiert 

Zur Startseite