Next Stage Europe in Potsdam: Theater aus Osteuropa
Schauspieler des Hans Otto Theaters lesen online Texte von Autoren aus der Ukraine, Weißrussland, Russland und der Republik Moldau. Sie erzählen von Verunsicherung und Existenzängsten.
Potsdam - Eine Frau und ein Mann liegen im selben Krankenhauszimmer, eine Zivilistin und ein Soldat, beide schwer verletzt, beide aus der Ukraine. Doch während er vom Kampf für sein Land überzeugt ist, besteht sie auf ihre russische Muttersprache und versteht den nationalistischen Kampf nicht. So ist die Ausgangssituation in Dmytro Ternovys "Zimmer Nummer 7". Ein Auszug aus dem Stück des ukrainischen Autors ist seit Mittwoch als szenische Lesung auf dem YouTube-Kanal des Hans Otto Theaters zu sehen.
Das Video wurde im Rahmen von "Next Stage Europe 2020" aufgenommen, eine Kooperation des Hans Otto Theaters, des Festivals Lit:Potsdam und des Goethe-Instituts, im Zuge derer seit 2017 Autoren aus den "Ländern der östlichen Partnerschaften" in Potsdam vorgestellt werden. In den letzten Jahren sind die Autoren immer persönlich bei Lit:Potsdam aufgetreten, in Zeiten von Corona ist das nicht möglich. Deswegen werden nun diese Woche vier Stücke von Autoren aus der Ukraine, Russland, Weißrussland und der Republik Moldau online vorgestellt, gelesen von Schauspielern des Hans Otto Theaters, unter der Leitung von Jen Whigham und Christopher Hanf.
"Wir möchten die Autoren und Stücke sichtbar machen"
Entstanden sind die die Aufzeichnungen am 3. Juni in der Reithalle des Hans Otto Theaters, die Lesungen werden online jeweils von einem kurzen Portrait des jeweiligen Autors und einem, sich an an die Lesung anschließenden, Gespräch ergänzt. Heute, am 11. Juni geht um 19.30 Uhr ein Auszug aus dem Stück "Er muss kommen" der russischen Autorin Kristina Karmalita online. Die anderen beiden Stücke werden um die gleiche Zeit am 12. und 13. Juni hochgeladen. Wer diese Woche keine Zeit hat, in die Streams reinzuschauen muss nicht verzweifeln: Laut Sabine Haack, Projektleiterin von Lit:Potsdam bleiben die Aufzeichnungen für längere Zeit online, wenn es nach ihr geht, sogar bis zur nächsten Ausgabe von "Next Stage Europe".
"Wir möchten die Autoren und Stücke sichtbar machen und auch sichtbar halten", sagt sie im PNN-Gespräch. Der Fokus von "Next Stage Europe" liege außerdem auf dem Austausch zwischen den verschiedenen Künstlern, der leider in diesem Jahr nicht so intensiv wie gewohnt stattfinden könne. "Ursprünglich hatten wir acht Autoren nach Potsdam eingeladen, für die wir verschiedene Veranstaltungen vorbereitet hatten", sagt Haack.
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Von Liebe und Würde
Ausgewählt werden die Künstler traditionsgemäß bei Workshops in den verschiedenen Ländern. Die fanden auch dieses Jahr noch vor dem Corona-Lockdown statt. Thematisch sind die ausgewählten Texte ganz unterschiedlich gesetzt und geben Einblicke in die jeweiligen Kulturszenen. Wird in "Zimmer Nummer 7" beispielsweise ganz klar die politische Situation in der Ukraine angesprochen, widmet sich "Er muss kommen" einer Frau, die auf ihren Traumpartner wartet. Der Zuschauer sieht laut Haack der Frau beim Älterwerden zu und wird Zeuge ihrer Desillusionierung. "Das ist ein eher abstraktes Stück, das teilweise an 'Warten auf Godot' erinnert."
Sie persönlich habe besonders das dritte Stück mit dem Titel "Diskret" beeindruckt. Die weißrussische Autorin Kacia Chekatouskaya, die auch studierte Psychologin ist, verarbeite darin ihre eigenen Erfahrungen als ehemalige Ehrenamtlerin in einer Psychiatrischen Klinik. "Es geht hier um den Umgang mit den Patienten, die Frage, ob sie würdevoll behandelt werden, das ist wahnsinnig stark", sagt Haack.
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Die Frage nach der Zugehörigkeit
Interessant klingt auch das vierte Stück "Limerenz" von Inna Cebotari aus der Republik Moldau. Sie erzählt von einem Künstlerpärchen - sie Theaterautorin, er Schauspieler - , die in sehr prekären Verhältnissen leben. Da sie keinen Erfolg mit ihren Stücken hat, muss er jeden noch so doofen Job annehmen, damit die beiden über die Runden kommen können. Das führt zu einer heftigen Diskussion. Wie Haack sagt, lebt Autorin Inna Cebotari mit ihrer Familie selbst am Limit, kann sich derzeit keine eigene Wohnung leisten. "Das erzählt sie in dem Gespräch, das Sie am Samstag online finden werden." Das Stück gebe damit auch einen Einblick in die extreme Situation der Künstler vor Ort, die für anspruchsvolle Kunst ihre Existenz aufs Spiel setzen müssen.
In allen Stücken finde sich eine Verunsicherung der Figuren, die sich fragen, zu wem sie eigentlich gehören wollen. So formuliert es Christopher Hanf, Dramaturg am Hans Otto Theater, in seiner Videoansprache zu "Next Stage Europe". In "Zimmer Nummer 7" mündet diese Verunsicherung in Suizidgedanken - ob das Stück tragisch endet, soll an dieser Stelle aber nicht verraten werden.
Mittwoch, 10. Juni, 19.30 Uhr: Teil 1 – Ukraine: Dmytro Ternovy: „Zimmer Nummer 7“
Donnerstag, 11. Juni, 19.30 Uhr: Teil 2 – Russland: Kristina Karmalita: „Er muss kommen“
Freitag, 12. Juni, 19.30 Uhr: Teil 3 – Belarus: Kacia Chekatouskaya: „Diskret“
Samstag, 13. Juni, 19.30 Uhr: Teil 4 – Republik Moldau: Inna Cebotari: „Limerenz“
Es lesen: Franziska Melzer, Hannes Schumacher, Henning Strübbe und Katja Zinsmeister vom Hans Otto Theater