Literatur aus Weißrussland: Alhierd Bacharevič war zu Gast in Potsdam
Für seinen Roman "Die Hunde Europas" dachte sich der weißrussische Schriftsteller Alhierd Bacharevič eine eigene Sprache aus. Im Einstein Forum gab er eine Kostprobe.
Potsdam - Einfach, poetisch, geheimnisvoll. So muss eine Sprache charakterisiert sein, sagt Alhierd Bacharevič und hat in seinem aktuellen Roman gleich eine eigene erfunden. „Balbutta“ heißt sie und klingt wie eine Mischung aus Italienisch, Russisch und Japanisch. Am Mittwochabend las Bacharevič im Einstein Forum ein Gedicht in der Sprache vor – aus seinem Mund erklang sie ganz selbstverständlich. Gemeinsam mit dem Literaturübersetzer Thomas Weiler war der Weißrussische Schriftsteller dort zu Gast, um über sein Buch „Die Hunde Europas“ - im Original: "Сабакі Эўропы" - zu sprechen.
Der Roman – ein 900-Seiten-Monument – ist bereits 2017 in Weißrussland auf Belarussisch, also Weißrussisch, erschienen, Bacharevič hat ihn dann selbst ins Russische übertragen und dabei noch einmal umgeschrieben. Zwei Jahre hat das gedauert, für die Originalfassung brauchte er ein Jahr. „Es ist natürlich klar, dass ein Buch, an dem zwei Jahre gearbeitet wurde, viel besser ist“, sagte Bacharevič, der fließend Deutsch spricht, am Mittwochabend.
Bacharevič hat die Grimmschen Märchen übersetzt
Der 44-Jährige ist selbst Literaturübersetzer. Er war von 2008 bis 2011 Writers-in-Exile-Stipendiat in Hamburg und hat beispielsweise die Grimm’schen Märchen und Wilhelm Hauffs „Das kalte Herz“ ins Weißrussische übertragen. Von seinen Werken sind bisher nur sein Roman „Die Elster auf dem Galgen“ sowie „Berlin, Paris und das Dorf. Essays, aus dem Belarussischen“ auf Deutsch erschienen. Übersetzt hat sie der Leipziger Thomas Weiler.
Exklusiv für die Lesung im Einstein Forum hat er auch schon einige Seiten aus „Die Hunde Europas“ ins Deutsche übertragen, die er am Mittwoch vorlas. In sechs Teilen erzählt der Roman Geschichten aus Weißrussland, die in der Gegenwart oder in einer nahen Zukunft spielen. Teils an realen, teils an imaginären Orten. Der Protagonist des ersten Teils ist ein junger Mann, der sich so eingeengt in seinem Land und seiner Sprache fühlt, dass er sich eine eigene Sprache ausdenkt. Schon als 13-Jähriger hat er damit begonnen und klare Regeln aufgestellt, welche Kriterien eine Sprache erfüllen muss. Einfachheit, Poesie und Geheimnis sind nur drei davon. „Eine Sprache ist keine Sprache, wenn sie keine Geheimnisse birgt“, heißt es dazu im Buch.
Roman, Grammatik und Wörterbuch in einem
Für seine Balbutta-Sprache liefert Bacharevič in „Die Hunde Europas“ gleich auch noch eine Grammatik und ein Wörterbuch mit. Sie hat wohl bereits eine große Fangemeinde und wird laut dem Schriftsteller in den sozialen Netzwerken heiß diskutiert – und sogar gelernt. Die neue Sprache ist für den Protagonisten des Buches eine Befreiung aus den Zwängen seiner realen Welt, sagte Bacharevič, dessen Werke in seinem Heimatland zum Teil zensiert wurden. Das gleiche gelte für ihn selbst: „Deswegen schreibe ich. Bücher sind meine Rettung aus der Langeweile der Welt.“
Von simplem, schnellem Lesestoff hält Bacharevič nicht viel: „Ein Schriftsteller muss über Eros und Thanatos schreiben und sich nicht nach Verkaufszahlen richten“, sagte er. Das Leben sei schwere Arbeit, auch ein Leser sollte sich ein Buch erarbeiten müssen, man müsse ihn dazu zwingen. „Man muss sich die Sprache tatsächlich erschließen“, ergänzte Übersetzer Thomas Weiler. „Sonst gehen einem Teile des Buches verloren.“ Bei einer Übertragung der Balbutta ins Deutsche liege die Schwierigkeit vor allem darin, die slawischen Grammatikregeln an das Deutsche anzupassen. Zum Beispiel den Genitiv, der anders verwendet wird. Ob er das Buch jemals ganz übersetzen wird, ist allerdings noch unklar. „So ein Großprojekt wird einfach extrem teuer werden“, sagte Weiler.
Sprache ist unsterblich
Es bleibt zu hoffen, dass sich ein Verlag für das Buch findet, schon nach den wenigen Passagen möchte man ganz eintauchen in die Fabulierlust Bacharevič’. Allein seine Sätze über Sprache sind kleine Schätze: „Meine ausgedachte Sprache leuchtete mir ins Gesicht wie der Vollmond“, heißt es an einer Stelle, „Sprache ist ohne Flexibilität nicht denkbar, sie ist eine Schlange“, an einer anderen.
Warum diese Besessenheit von Sprache? „Sie ist unsterblich, ich hingegen sterbe irgendwann“, sagte Bacharevič. „Ich möchte, dass die Sprache ihre Unsterblichkeit mit mir teilt.“ Und dann ergänzt er mit einem Lächeln: „Das habe ich jetzt schön gesagt, oder?“