Ausstellung in der Galerie Nöth: Taillenweite 48
Plötzlich war das Korsett verschwunden und die Pumphosen kamen: Die Galerie Nöth zeigt Zeichnungen aus dem Atelier Poiret.
Potsdam - Einen kostbaren Nachlass hat der Potsdamer Galerist Michael Nöth erworben: die Sammlung Paul Poiret. Zeichnungen, die eine Revolution der Mode Anfang des vergangenen Jahrhunderts dokumentieren, sind nun in der Galerie am Alten Markt zu sehen. George Lepape, Erté, José de Zamora, Howard Greer und Maguette Buhler fertigten für Paul Poiret Zeichnungen für Kleider an. Die waren deutlich anders als das bisher vorherrschende Bild der Frau vor 1900. Die ideale Silhouette der Frau um die vorherige Jahrhundertwende sollte einer S-Form gleichen. Sie wurde eingeschnürt in ein enges Korsett, das den Rumpf seiner Trägerin auf eine Taillenweite von 48 Zentimetern zusammenschnürte. Das Hinterteil dazu wurde gut ausgepolstert. Sans Ventre, ohne Bauch, war die Fachbezeichnung für diese Art von Verpackung. Die damit einher gehende Einschränkung der Bewegungsfreiheit war wohl beabsichtigt und entsprach der gesellschaftlichen Stellung der Frau.
Filigrane Zeichnungen von Georges Lepape dagegen zeigen Frauen, die in weiten Röcken und Hosen, gefertigt aus leichten Stoffen, ungezwungen mit Perlenschnüren spielen oder selbstbewusst und leichtfüßig aus dem Blatt blicken. Das Korsett hatte ausgedient.
Der 1879 in Paris als Sohn eines Tuchhändlers geborene Paul Poiret hatte 1903 seine Ausbildung bei einem Schirmmacher und als Mitarbeiter bei dem wohl ersten Modeschöpfer Charles Frederick Worth abgeschlossen. Er eröffnete einen eigenen Couture Salon. 1905 präsentierte Poiret eine Kreation, die er „La Vague“ betitelte. Eine lose herabfallende Silhouette kennzeichnete die Kreation, die kein Korsett benötigte. Eine Neigung zum Orientalen und zur Exotik waren fortan Markenzeichen der Entwürfe aus dem Haus Poiret. Die Kleidung der Frau wurde luftiger, bei Festkleidung auch ein wenig verspielt. Zur gleichen Zeit erfreute sich Paris am Ballett des Sergej Diaghilev. Der russische Impresario band in die Ausstattung seiner Balletttruppe bildende Künstler wie George Braque, Pablo Picasso und Natalia Gontscharowa ein.
Daran nahm sich Poiret ein Beispiel und verstand auch seine Zeichner als Künstler, deren Blätter er in gesonderten Editionen drucken ließ und verkaufte. Häufig in natürlicher Pose waren selbstbewusste Frauen zu sehen, schlank und langbeinig, die im Modehaus vertriebene Ware demonstrierten. Stilbildend war hierbei seine Frau Denise Boulet, die, ebenfalls schlank und grazil, einen Frauentyp prägte, der noch heute die Modeschauen zeigt. Als 19-Jährige hatte Poiret sie geheiratet und mit ihr zusammen fünf Kinder. Sie war es auch, die Arbeiten der Zeichenkünstler archivierte.
Poiret beschränkte sich nicht darauf, Mode entwerfen zu lassen. Er inszenierte seine Models in aufwendigen Szenarien, gestaltete Räume für die angemessene Darbietung und erfand den Laufsteg. Der Modeschöpfer kreierte ein Parfüm und und war überaus erfolgreich. 1914 entwarf er einen Militärmantel, der aufgrund der wenigen verfügbaren Farben Indigoblau und Weiß war: das Erscheinungsbild der französischen Truppen. Als erster Designer präsentierte Poiret seine Kreationen auch im Ausland: in London, St. Petersburg und New York und ließ seine Modelle 1911 von Edward Steichen fotografieren. Zwar gelang es ihm nach dem Ersten Weltkrieg noch einige Filialen in Frankreich zu eröffnen, aber sein Stern sank.
Die aufstrebende Designerin Coco Chanel mit ihrem Unisex-Appeal und konsequent reduzierter Stil erwies sich als übermächtige Konkurrenz. Auch das Frauenbild änderte sich infolge des Krieges. Die kriegsversehrten oder traumatisierten Männer waren in der industriellen Produktion nur noch bedingt einsatzfähig. So wuchs die gesellschaftliche Rolle und das Selbstbewusstsein der Frau. Das schlug sich auch in der Kleidung nieder. Der spielerische Ansatz von Poiret war nicht mehr gefragt. 1944 starb der Modedesigner völlig verarmt.
>>Zu sehen bis 15. September in der Galerie Nöth, Humboldtstaße 4
Richard Rabensaat