Schluss machen: "So lonely" feierte Premiere am HOT
Vom Drama der ersten Liebe: Petra Schönwald inszeniert das Jugendstück „So lonely“ am Hans Otto Theater in Potsdam als moderne und gleichzeitig zeitlose Geschichte.
Potsdam - Deutschunterricht in der 9. Klasse, das ist kein Zuckerschlecken für Lehrer. Vor allem nicht, wenn die Unterrichtseinheit „Ein Schauspiel lesen und interpretieren“ ansteht. Die meisten Schüler sind noch traumatisiert vom Goethe-oder Schiller-Klassiker, durch den sie sich im vergangenen Jahr kämpfen mussten. Für die Neunte ist im Rahmenlehrplan immerhin ein „modernes Drama“ vorgesehen. Doch was machen viele Lehrer? Sie legen den Pubertierenden den „Besuch der alten Dame“ von Friedrich Dürrenmatt auf die Tische. Ein Stück, das auch schon deren Eltern in der Schule durchgenommen haben. Und vermutlich auch deren Großeltern. Denn die Uraufführung fand 1956 statt.
Zum Glück sind die Theater da innovativer. Wer als Lehrkraft klug ist, vertraut also dem, was die Bühnen in ihren Jugendprogrammen anbieten. In der Reithalle des Hans Otto Theaters beispielsweise läuft jetzt „So lonely“, empfohlen für die Altersgruppe 13 aufwärts. Mucksmäuschenstill verfolgen die anwesenden Schüler am Freitag die Premiere – ein deutlicher Indikator dafür, dass diese Neuproduktion bei der Zielgruppe bestens ankommt.
Die Romanvorlage des schwedischen Autors Per Nilsson hat bereits eine beachtliche Karriere hinter sich. 1992 ist das Original erschienen, 1996 kam die Übersetzung heraus, ein Jahr später wurde Nilsson für so „So lonely“ mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Die Dramatisierung von Michael Müller entstand 2011 für das Berliner Gripstheater.
Heutig und zugleich zeitlos
Der namenlose männliche Protagonist, der in seiner Persönlichkeitswerdung irgendwo zwischen Kind und Mann hängt, verliebt sich im Schulbus in ein Mädchen. Es dauert lange, bis er einen ersten Kontakt zu dieser Ann-Katrin hinbekommt. Dann aber entwickelt sich die Bekanntschaft so gut, dass sie in einer gemeinsamen Nacht gipfelt. Nach einem Sommerferien-Aufenthalt in den USA allerdings ist die Story dann schon wieder vorbei. Sie hat einen neuen Lover, will den Ex aber gerne als Freund behalten. Doch er ist tief im Herzen verletzt, will nur noch Schluss machen: Auf eine pathetisch zelebrierte Zerstörung seiner Erinnerungsstücke an Ann-Katrin soll der Suizid folgen, nach dem Vorbild des leidenden, jungen Werther.
Ein Festnetz-Telefon und ein Dutzend Briefe spielen tragende Rollen im Buch. Das wirkt 2019 geradezu prähistorisch. Doch auch wenn sich die Kommunikationsmittel geändert haben, die emotionalen Stürme, die junge Leute auf dem Weg ins Erwachsensein erschüttern, sind dieselben geblieben. Und dem Kreativteam gelingt es auf souveräne Weise, die beiden zeitlichen Ebenen zusammenzubringen. Was Tina Schorcht als Ann-Katrin und Paul Sies als Junge durchleben, wirkt zugleich heutig und zeitlos.
Die Bühne von Ragna Heiny ist ein offener Raum, in dem Beziehungs-Reliquien an langen Schnüren von der Decke baumeln. Zehn von ihnen wird Paul Sies im Laufe der 90-minütigen Aufführung abpflücken, um seine Trauerwut an ihnen auszulassen – mit beträchtlichem technischen Aufwand. Wie er ein Schulbuch mit dem Schlagbohrer durchlöchert, ein Geschenk vom Gartenabfall-Schredder zerfetzen und ihre Haare, die er vom Teppich aufgelesen hat, im Mixer herumwirbeln lässt, das ist von skurriler Komik. Die meisten Lacher aber erntet die Aktion, bei der er ein Kondom per Bügeleisen zum schlabbrigen Latexlappen macht.
Berührende Momente analoger Romantik
Regisseurin Petra Schönwald ist es gelungen, ihre beiden Darsteller so in die eigene Jugendzeit zurückzuführen, dass sie die Verwirrungen des Verliebtseins noch einmal durchleben können. Tina Schorcht ist mittlerweile 24, Paul Sies 25, auf der Bühne aber agieren sie glaubwürdig wie Teenager: Da ist diese Unbeholfenheit, wenn sie zum ersten Mal in Ann-Katrins Kinderzimmer auf dem Boden hocken. Da ist die Phase der Peinlichkeit, wenn es darum geht, wer den ersten Schritt macht, als es in seiner sturmfreien Bude zum Sex kommen soll.
Zum einen hat „So lonely“ berührende Momente analoger Romantik – wenn sie ihm ein Töpfchen Zitronenmelisse schenkt oder er berichtet, wie er das Bettlaken ihrer Liebesnacht mit nach Amerika genommen hat, um damit zu kuscheln. Zum anderen aber ist da die Idee der Regisseurin, dass alle Aktionen des Paares ständig von einer Handycam aufgezeichnet und auf Leinwände projiziert werden. Oder ist das der Livestream des Lebens, den nicht nur die Zuschauer vor Ort mitverfolgen, sondern zeitgleich auch die Follower der beiden Protagonisten im Internet?
>>„So lonely“, die Vorstellung am 18. Dezember ist ausverkauft, weitere Vorstellungen am 21. und 31. Januar, im Hans Otto Theater, Schiffbauergasse