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Gerhard Schröder war zu Kanzlerzeiten ein großer Currywurst-Fan - und ist es heute noch.
© Thomas Imo/Imago

Politik geht durch den Magen: Schröder ist mit der Currywurst wohl in den 90ern stehengeblieben

Eine Gesellschaft wandelt sich, die Parteien haben es immer noch nicht gemerkt: Wie ein Autokonzern den ethischen Konsum praktiziert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Rettet die Currywurst! Unter diesem Hashtag hat gerade Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder in den sozialen Medien seinen Unmut darüber geäußert, dass die VW-Betriebskantine ihre durchaus berühmte Currywurst vom Speiseplan streichen will.

Viele Mitarbeiter:innen hatten sich nach einer internen Umfrage mehr vegetarische und vegane Kost gewünscht, und so plant man bei VW, nach dem Werkurlaub gleich ganz auf Fleisch zu verzichten.

Man könnte das Ganze für eine Petitesse halten, aus der durch Schröders Intervention eine Posse wurde, zumal durch seinen Satz, Currywurst mit Pommes sei „einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion“.

Man könnte auch darüber räsonnieren, wie sehr hier ein einfaches Gericht unter Druck steht, eines, das zu einem Kulturgut geworden ist, das in Pop (Grönemeyer), Literatur (Uwe Timm) und im Fernsehen sowieso („Tatort“, „Drei Damen vom Grill“) gefeiert, historisiert und untersucht wurde.

Gut in Erinnerung: der "Veggie Day"

Doch steht dieser Schröder/VW-Disput nicht auch sinnbildlich für einen gesellschaftlichen Wandel? Man erinnert sich in diesen Tagen des doch sehr müden Bundeswahlkampfs gut daran, wie die Grünen vor ein paar Jahren die Forderung aufstellten, dass in öffentlichen Kantinen zumindest einmal in der Woche kein Fleisch angeboten werde, der berühmt-berüchtigte „Veggie Day“.

Damals hielt man der Partei vor, sie würde die Deutschen buchstäblich bevormunden wollen. Wenn jetzt vom zu hohen Fleischkonsum im Zusammenhang mit dem Klimawandel die Rede ist, fordern die Grünen lieber vorsichtiger und vager, dass weniger Tiere gehalten werden müssten.

Ausgerechnet ein Autokonzern macht ihnen nun vor, wie radikal man vorgehen kann. Wobei er den Verzicht auf Fleisch in der Betriebskantine aber im Einverständnis mit der Belegschaft beschlossen hat.

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Wenn Gerhard Schröder also glaubt, für den Facharbeiter oder die Facharbeiterin zu sprechen, scheint er noch einer Zeit verhaftet zu sein, in der er Niedersachsens Ministerpräsident war, den neunziger Jahren. In der auch die SPD noch als Volkspartei bezeichnet werden konnte und eine Currywurst nicht darauf abgeschmeckt wurde, ob ihr Fleisch von Tieren aus artgerechter Haltung kommt. Denn darum geht es nicht zuletzt, um ethischen, nachhaltigen Konsum.

Vielleicht ist die Gesellschaft der Singularitäten, die neue Mittelklasse, wie sie der Soziologe Andreas Reckwitz beschrieben hat, doch größer als auch von ihm selbst angenommen.

Die Parteien trauen sich nicht, die Wahrheit zu sagen

Wie man an der Belegschaft bei dem Wolfsburger Autobauer und ihrer Forderung nach mehr vegetarischen und veganen Angeboten sieht, ist es nicht mehr nur ein bestimmtes Milieu in den großen Städten, in Vierteln wie Berlin-Mitte oder Prenzlauer Berg, das ein Bewusstsein für einen grundlegenden Lebenswandel entwickelt hat. Sondern es sind eben viel breitere Gesellschaftsschichten. Was wiederum die Parteien aufmerken lassen müsste. Die sträuben sich weiterhin allesamt, ihren potentiellen Wählerinnen und Wählern zu sagen, dass ihr augenblicklicher Lebensstil keine Zukunft hat – vom Tempolimit, das nie zu kommen scheint, über den zögerlichen Umstieg in die E-Mobilität bis hin zum Billigfleisch, das nach wie vor bei den Discountern in Massen zu kaufen ist. Dabei ist gegen eine Currywurst mit Pommes einmal die Woche nichts zu sagen.

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