Martin Schuster stellt in der Sperlgalerie aus: Romantik als Wrack
Der Potsdamer Künstler Martin Schuster spürt menschlichem Verhalten nach. Die Sperlgalerie zeigt seine übergroßen Bilder, auf denen es fast zu viel zu entdecken gibt.
Potsdam - Wie die Ruine eines Supermarkts sieht das verwahrloste Gebäude aus, das bei Martin Schuster einfach aus einer Pfütze wächst und im Meer mündet. Großstadtkids haben hier sicher ihren Spaß – eine Mülltonne brennt, Autowracks liegen herum und an den Wänden leuchten bunte Schriftzüge. Oben schiebt jemand seinen Gefährten mit dem Einkaufswagen über das karge Flachdach, unten hat jemand Sandburgen mit Bierflaschen gekrönt. Schaut man noch genauer hin, was es auf Schusters großformatigem Bild mit dem Titel „Learn to fly“ („Lerne zu fliegen“) alles zu finden gibt, fällt aber auch der Junge mit Mundschutz auf, der am unteren Bildrand etwas aus der Pfütze fischen will. Müll vielleicht? Die Weise, in der er sich bückt, kommt einem irgendwie bekannt vor. Warum eigentlich? Schuster nimmt die Ikonografie des Alltags – das was man aufschnappt in Nachrichten, Werbespots und Games – in seine phantastischen Landschaften mit auf. So entstehen schräge Szenen: Am linken Bildrand geht ein LKW im Meer unter, dessen aufgedruckter Slogan „Wir versetzen Berge“ wohl nicht ernst gemeint war.
Am Sonntag, zum Tag der offenen Ateliers, eröffnet Schuster seine erste Einzelausstellung in der Sperlgalerie. „Human Behaviour“ lautet ihr Titel. Der Potsdamer Maler spürt dem menschlichen Verhalten nach und lässt Unannehmlichkeiten nicht aus. Tja, so ist der Mensch, möchte man sagen: Er neigt zu Selbstüberschätzung, lässt sich gehen, beutet den anderen aus, will immer Spaß haben, und er träumt. Mit „Learn to fly“ hat er die Romantik an sich zu einem Wrack erklärt, bei dem auf einem Wandrest die Sonne untergeht. Oder ist das ganze Konstrukt eine verkommene Baustelle, weil der Transporter mit den Gerätschaften abgesoffen ist?
Man kann sich festgucken
Wer die Galerie Sperl besuchen möchte, ist nicht schlecht beraten, sich ein Höckerchen zum Hinsetzen mitzunehmen. Man kann sich wahrlich festgucken, möchte immer weiter in Schusters Welten eindringen, ihre Details verstehen, die Puzzleteile zusammensetzen. Niederschmetternd sind sie dabei nicht, eher belustigend. Selbst dann wenn ziemlich dreckige Verhaltensmuster an den Tag gelegt werden. Nach dem Motto: Was soll’s, steht zu dem, was ihr seid! Und es gibt sehr viele Werke zu sehen – mit seinen 32 Jahren scheint Schuster ein wahres Arbeitstier zu sein. Am Dienstag standen noch unzählige seiner Acryl- und Öl-Werke in den zwei Galerieräumen an die Wände gelehnt. Das Galeristenpaar war sich noch nicht sicher, inwiefern sich die Werke gegenüberstehen dürfen, so stark sind sie.
2011 kam Schuster zum ersten Mal mit der Mappe in der Hand in ihre Galerie, erzählte Ursula Sperl. Da habe sie zu ihm gesagt, dass er erst einmal sein Studium machen solle. Das tat er auch, an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle, mit kurzem Abstecher in Hanoi. Und dann stand er wieder in der Galerie, dieses Mal mit dem Diplom in der Hand. „Für mich sind das Bilder aus dem Jetzt“, sagt Ursula Sperl. Vergangenes Jahr hat sogar ein Museum ein Bild von Schuster gekauft, das Museum der bildenden Künste Leipzig.
Die Glorifizierung des Mannes
Auch die Glorifizierung des Mannes hat der Maler als Verhaltensmuster nicht unberücksichtigt gelassen. In seinem Bild „Milchbach“ hat er sein eigenes Abbild geschaffen – jedenfalls sieht ihm die nackte Männerfigur, die wie Jesus bei Christi Himmelfahrt samt Heiligenschein in der Luft schwebt, ziemlich ähnlich. Um seinen Körper hat sich allerdings eine wenig heilige Schlange geschlängelt und seine Unterstützer dort droben sind nicht etwa Engel, sondern Hexen. Eine der fliegenden Damen hat ihr Hinterteil entblößt. Und siehe da: Ihm entspringt das weiße Gewässer, welches Titelgebend ist, und den Männlein und Weiblein unter dem Künstler viel Freude zu bringen scheint. Beflügelt wurde die Hexe möglicherweise von einem der Nackten, der sich sichtlich befriedigt zurückgelehnt hat. Schuster habe im vergangenen Jahr gesagt, dass er mehr Männer malen wolle, weil schon genug Frauen gemalt worden seien, erzählte Rainer Sperl. Der Gleichstellung würde es sicherlich nicht schaden, wenn auch der Mann einmal mehr zum Objekt würde.
Schusters Welten beruhen auf eigenen Erlebnissen, und Phantasien. Einige Elemente erinnern an Hölleninszenierungen von Bosch oder Bruegel. Und eines kommt öfter vor: fliegende Fetzen. Als würde eine andere Realität die Bildrealität zu durchdringen versuchen oder zumindest hindurchschimmern. Die Fetzen kommen bei einer Clubszene vor, von der auch eine kleinformatigere Version existiert. Hier sind die Gäste – wohl nach einer durchtanzten Nacht – nur noch Zombies. Es sind aber auch ruhigere Motive in der Schau zu finden: Ein Haus auf einer Lichtung vor dem satten Grün der Bäume oder eine kantige Wolke, die über dem Tannenwald hängt.
>>Eröffnung am Sonntag, Schopenhauerstraße 27, Ausstellung bis zum 30. Juni