Potsdamer Steinskulpturen zum Tag der offenen Ateliers: Der Kapitän des Granits
Der Golmer Bildhauer Norbert Müller schipperte über große Gewässer und kehrte dann nach Potsdam zurück. Ein Besuch.
Potsdam - Eigentlich ist es doch ein Paradox: Granitnomaden. Der schwere, massige Stein und das Umherwandern von Ort zu Ort. Oder? „Das stimmt schon“, sagt Norbert Müller. „Aber der Granit hat seine Wanderung während der Eiszeit gemacht.“ Aha, Bewegung in einem sehr bedächtigen Schrittmaß mit viel Zeit drumherum. Wir sitzen auf Gartenstühlen auf dem Grundstück hinter dem Haus eines Freundes von Norbert Müller, umgeben von frischem Frühlingsgrün, blühenden Obstbäumen und Forsythien und vielen Plastiken. Hier ist der Arbeitsort des Golmer Steinbildhauers, der am Sonntag anlässlich des Tags der offenen Ateliers einlädt.
Die Werkstattjurte mit dem Ofen für die kalten Tage steht gerade offen. Der Vater zweier Töchter wohnt mit seiner Familie in Babelsberg und kommt jeden Tag hierher an diesen Ort mitten in den Feldern in Golm an den Bahngleisen. „Ich bin immer wieder froh, dass ich hier draußen sein kann“, sagt Müller. Hier kann er Lärm machen mit seinen Maschinen, und wenn der Güterzug vorbeirattert, hört er ihn nicht unter den Ohrschützern.
Norbert Müller wurde 1973 in Cottbus geboren und hat nicht geradewegs zu den Steinen gefunden. Als Schüler kam er nach Potsdam und hat auf dem weicheren Element Wasser ein paar Grundtechniken im Segeln erworben. Kurz nach der politischen Wende, Anfang der neunziger Jahre, schloss er sich im damals frisch besetzten Archiv in der Leipziger Straße einer Künstlergruppe an und machte erste Erfahrungen im Arbeiten mit Sandstein.
Müller arbeitete sich bis zum Kapitän hoch
Doch der Wunsch, einmal Steuermann auf einem Segelschiff zu sein blieb. In Holland könne man auf Schiffen mitfahren, hatte Norbert Müller gehört und tat sich dort um. Bald lernte er einen gleichaltrigen Mann kennen, der ihn auf seinem Segelschiff als Matrose anlernte. „Wir waren das Dreamteam“, sagt Müller heute. Auf einer Seefahrtsschule in Holland absolvierte er ein Fernstudium und brachte es vom Steuermann zum Kapitän. Er steuert Touristenschiffe mit Schulklassen, Jugendgruppen und Vereinen durchs holländische Binnengewässer und bis raus auf die Ostsee. Er wohnt in Rostock und ist für eine Tour immer ein bis zwei Wochen auf dem Segelschiff. „Nach vierzehn Jahren bin ich an meine Grenzen gestoßen“, erinnert sich Norbert Müller. „In größere Fahrgebiete und auf größere Schiffe wollte ich nicht. Und nach den Jahren hat es auch mal gereicht mit den Touristen.“
Wie es weitergehen könnte, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ihm war nur klar, dass er mit dem Alten aufhören wollte. Vielleicht mit Holz arbeiten? Holzmöbel herstellen? „Ich habe mir einen dicken Baumstamm zum Bearbeiten gesucht“, erzählt Müller auf seine ruhige und entspannte Weise, die uns allmählich wieder zu den harten Steinen kommen lässt. In der Ahrenshooper Werkstatt des Bildhauers Matthias Wendt bekommt Müller „technische Tipps und Anregungen“, um Feldsteine zu bearbeiten und kann in den Räumen des Kollegen bald selbst ausstellen. Vor zweieinhalb Jahren ist Müller wieder nach Potsdam gezogen.
Der harte Stein fasziniert ihn
„Ich habe es immer mal wieder mit Holzskulpturen probiert“, erzählt er, aber der harte Stein interessiert mich mehr, weil man Schritt für Schritt heran geht. Beim Holz ist zu schnell zu viel weg.“ Und so begibt er sich mit den Diamanttrennscheiben an den Stein, um die große Form herauszuschneiden, arbeitet sich mit dem Presslufthammer in die Tiefe, um schließlich mit den feineren Trennscheiben zu glätten und Granit oder Gneis auf Hochglanz zu polieren. Gern lässt Müller etwas von der harten, grobkristallinen Außenschale des Steines stehen. „Ich mag diesen starken Kontrast zwischen dem verwitterten, rohen Material und der weichen Form, dem Nasseffekt“, erklärt der Bildhauer.
Dieses Feine, Zarte liegt in vielen Gesichtern seiner Skulpturen, über denen manchmal der rauhe Block des Steines thront, aus dem Müller das Figürliche heraus gerarbeitet hat. Bei unserem Rundgang ums Haus sehen wir auch Müllers erste Skulptur, den „Kopf mit Schulter“, der so griesgrämig mit zusammengekniffenen Augen unter der Faltenstirn und mit herabgezogenen Mundwinkeln blickt. Kennt er diesen Menschen? Oder ist das ein Gemütszustand? Der Bildhauer lächelt. Müller bietet keine Geschichten und tiefere Bedeutungsebenen zu seinen Skulpturen an. Eigentlich verzichtet er auch gern auf Titel. Aber zum Katalogisieren benötigt er sie dann. „Ich versuche auch immer wieder etwas Abstraktes“, erzählt Norbert Müller. „Aber meistens bleibe ich dann doch wieder beim Figürlichen hängen.“ Er liebt die Überrraschung, was herauskommt, wenn er die Schichten des Steins abträgt, die Farben, die hervorkommen. Und da ist das Spektrum beim Granit groß: weiß, rosa bis grau oder diese goldgelbe Tüpfelung, die sich bei der liegenden Frau so eindrücklich über die Außenhaut des Steins zieht.
Tut es ihm leid, sich von den Stücken zu trennen, die hier draußen so Heimat gefunden zu haben scheinen? Manchmal, ein bisschen, sagt er. Aber eigentlich lässt er sie dann auch gerne wieder ziehen, seine Nomaden.
>>Norbert Müller, An der Bahn 1, Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet
Carolin Lorenz